Kriegsministerin Baerbock

Am 31. Mai 1989 hielt Georg Bush, Präsident der USA,  in der Mainzer Rheingold-Halle eine außenpolitische Grundsatzrede. Darin bot er der Bundesrepublik „partnership in leadership“ an, die Deutschen sollten Partner der Amerikaner bei der Führung der westlichen Welt werden.
https://www.ksta.de/politik/nachruf-auf-george-h–w–bush–partnership-in-leadership—1676904?cb=1659618060848&

Mit Bezug darauf erklärte die grüne Außenministerin, die sich auf den Schultern von Madeleine Albright stehend sieht, in New York in welche Richtung sie Deutschland lenken will:

„Es ist ein 30 Jahre altes Konzept, das Baerbock am Dienstag aufgriff: die ‚partnership in leadership‘, eine ‚gemeinsame Führungspartnerschaft‘. Der ehemalige US-Präsident Georg Bush hatte Deutschland dieses Angebot um die Wende herum unterbreitet.
‚Der Gedanke war zu weit gehend für die damalige Situation‘, sagte Baerbock. Das sei nun anders. Deutschland müsse sich stärker denn je an die USA binden, gemeinsam im kommenden Kampf der Demokratien gegen die Autokratien bestehen. ‚Es obliegt meinem Land innerhalb der Europäischen Union, das maßgeblich mit voranzubringen‘, so die Grüne.“ https://www.diepresse.com/6173301/annalena-baerbock-und-die-autoritaeren-maenner

Die FAZ fasst zusammen, auf welchen drei Säulen die „partnership in leadership“ ausgerichtet werden soll: Sicherheit, gemeinsames Einstehen für die regelbasierte internationale Ordnung und die Stärkung der Widerstandskraft der Demokratien.
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/annalena-baerbock-will-europas-allianz-mit-usa-festigen-18217000.html

Was die USA in den vergangen Jahrzehnten unter „leadership“ verstanden:

Georg Bush (1989 – 1993)
Er befahl im Dezember 1989 die Militäroperation in Panama
1990- 1991 Golfkrieg
https://de.wikipedia.org/wiki/George_H._W._Bush#Intervention_in_Panama,_1989

Bill Clinton (1993 – 2001)
1999 Kosovokrieg
https://de.wikipedia.org/wiki/Bill_Clinton#Au%C3%9Fenpolitik

Georg W. Bush (2001 – 2009)
7.10.2002 Beginn des Kriegs in Afghanistan
Im August 2002 versuchte Bush, den neu errichteten Internationalen Strafgerichtshof zu schwächen. Bilaterale Abkommen mit anderen Staaten sollten Auslieferungen von US-Bürgern nach Den Haag, dem Sitz des Gerichtshofs, verhindern. Der American Service-Members’ Protection Act erlaubte es dem US-Präsidenten stattdessen, deren gewaltsame Befreiung anzuordnen.
März 2002 Irakkrieg, Folter in Abou Ghuraib und Guantanamo
https://de.wikipedia.org/wiki/George_W._Bush

Barack Obama (2009 – 2017)  
2009 Truppenentsendungen nach Afghanistan
Fortführung der Drohnenangriffe in Pakistan und Afghanistan
2015 USA unterstützen Saudi Arabien im Krieg gegen Jemen
https://de.wikipedia.org/wiki/Barack_Obama

Donald Trump (2017 – 2021)
Zur Leitlinie seiner Außenpolitik erklärte Trump „America First“:
Im Dezember 2017 stimmte Trump einer Waffenlieferung an die Ukraine zu, in der auch Panzerabwehrraketen des Typs Javelin enthalten sind. Trumps Vorgänger Obama hatte einen solchen Schritt abgelehnt
Am 6. Oktober 2019 teilte Trump, entgegen dem Rat von Vertretern seines eigenen Verteidigungsministeriums und seines Außenministeriums, dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan telefonisch seine Billigung des Einmarsches der Türkei in Nordsyrien mit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Donald_Trump#Au%C3%9Fen-_und_Sicherheitspolitik

Joe Biden (2021 – ?)
Im Juli 2022 autorisierte Biden die Tötung von Aiman az-Zawahiri, dem Nachfolger von Osama bin Laden bei al-Qaida. Am 1. August 2022 vermeldete Biden die gezielte Tötung von az-Zawahiri, die durch einen Drohnenangriff erfolgt sei
https://de.wikipedia.org/wiki/Joe_Biden 

Thomas Fischer setzt sich in seiner aktuellen Kolumne „Einstweilige Hinrichtung“ mit staatlichen Morden auseinander.

Ein letztes USA-Zitat der Außenministerin:
»Es ist gut, dass Ihr Land seiner Verantwortung für die internationale regelbasierte Ordnung gerecht wird. (…) Freiheit, Demokratie und Menschenrechte stehen unter Beschuss. Deshalb müssen wir standhaft sein. Und darum geht es bei unserer Führungspartnerschaft.«

Nun ja. Zu den Menschenrechten zählt, sagen die Menschenrechtscharta der VN (Art. 8, 10, 11) und die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 6), dass man auch als dringend verdächtiger mutmaßlicher Schwerverbrecher nicht einfach abgeknallt oder mit Himmelskörpern zermalmt wird durch Personen, die sich als Ankläger, Richter und Henker in einer Person gerieren und dazu sagen, es gehe ihnen am Ohr vorbei, was andere davon halten.

Der Präsident der USA gewinnt Wahlen, indem er die von ihm angeordnete Ermordung mutmaßlicher Verbrecher gegen jedes Recht öffentlich als besonders rechtstreue Handlung bejubelt. Im neuen Führungsstaat Deutschland fällt niemandem eine auch nur halbwegs plausible Erklärung ein, warum das gerechtfertigt sein könnte – außer der atemberaubenden Feststellung, Regierung und »Stellen« der USA wollten dies nun mal so. 
https://www.spiegel.de/kultur/usa-toeten-al-qaida-anfuehrer-aiman-al-sawahiri-wieso-gibt-es-keine-kritik-kolumne-a-2301d6fa-9e23-4866-977e-c3037453e9c5

Für Wirtschaftsminister Habeck wäre die Lieferung des russischen Erdgas, das er sich in großen Mengen über Nordstream 1 wünscht, eine Kapitulation, wenn dasselbe Gas über Nordstream 2 nach Deutschland käme.
Habeck und Baerbock trauen sich nicht öffentlich zu bekennen „die USA wollen dies nun mal so.“

Wann wird die Außenministerin abberufen?

Außenministerin Baerbock, die zu Beginn der Sanktionen gegen Russland noch triumphierte „Das wird Russland ruinieren“, wartet wieder mit einer Einschätzung auf, die wieder Kriegspropaganda statt Diplomatie transportiert.

Baerbock über Putin „Es geht ihm um Vernichtung – selbst von Kindern“  Und alle Massenmedien machen mit.
https://www.ksta.de/politik/baerbock-ueber-putin–es-geht-ihm-um-vernichtung—selbst-von-kindern–39805856

Kein Wunder, dass immer wieder Egon Bahr zitiert wird: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
https://beruhmte-zitate.de/zitate/2001846-egon-bahr-in-der-internationalen-politik-geht-es-nie-um-demo/

 „Es war den Preis wert.“
Im Irak-Krieg in den 1990er Jahren starben infolge der US-Sanktionen nach UN-Angaben über 500.000 Kinder. Als Madeleine Albrigth 1996 gefragt wurde, ob es das wert war, stimmte sie zu. ” Und das ohne jede Scham öffentlich im Fernsehen:
https://www.youtube.com/watch?v=KfxjM3D_vTQ

Als die Grünen auf ihrem Wahlparteitag Frau Baerbock als Kanzlerkandidatin kürten, haben sie anschließend über die außenpolitischen Orientierungen der Grünen debattiert, die sich vor allem für mehr Multilateralismus und ein starkes Europa einsetzen wollen. Als Gastrednerin war die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright vorgesehen. Wie immer in diesen Zeiten: digital.
https://www.dw.com/de/die-gr%C3%BCnen-und-baerbocks-achterbahnfahrt/a-57867862

Frau Baerbock im Nachruf auf Frau Albright:
Mit Haltung, Klarheit und Mut stand Madeleine Albright als erste US-Außenministerin ein für Freiheit und die Stärke von Demokratien. Mit ihr verlieren wir eine streitbare Kämpferin, wahre Transatlantikerin und Vorreiterin. Auch ich stehe heute auf ihren Schultern.
https://twitter.com/abaerbock/status/1506729101830197249?lang=de

Als einen der „schlimmsten Momente“ ihrer bisherigen Amtszeit bezeichnete Baerbock den Moment, als sie bei ihrem Besuch in der Ukraine Fotos erschossener Kinder gesehen habe. „Das sagt alles darüber, dass man mit diesem Putin derzeit nicht verhandeln kann“, sagte sie über den russischen Präsidenten. „Es geht ihm um Vernichtung. Selbst von Kindern.“ https://www.welt.de/politik/ausland/article239835977/Annalena-Baerbock-Ertragen-zu-muessen-dass-man-nichts-tun-kann-das-ist-die-Brutalitaet-von-Aussenpolitik.html

Gleichzeitig will Herr Habeck von der russischen Regierung Erdgas, mit der Frau Baerbock nicht verhandeln will, weil im Kreml Graf Dracula residiert. 

4. Juli 2022  – Berliner Regierung ratlos

Nach Bekanntgabe des ersten Sanktionspakets gegen Russland hat Deutschlands oberste Diplomatin Baerbock am 25. Februar 2022 ganz undiplomatisch getönt: „Das wird Russland ruinieren“
https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-baerbock-ueber-sanktionen-das-wird-russland-ruinieren-RZDYS2DEPRK5OST7ZGGRZ6UN4I.html

Nach weiteren Sanktionspaketen titelt heute der Kölner Stadt-Anzeiger:
„SORGE VOR RUSSISCHEM GASSTOPP“ 
Und mitten im Text wird fettgedruckt dieses Zitat von Bundeswirtschaftsminister Habeck präsentiert:
„Russland will, dass hohe Gas-Preise in Deutschland die Einheit und Solidarität des Landes zerstören.“

Auf KStA-online wird die Prognose Habecks über Russlands Absicht gleichzeitig zur Kaffeesatzleserei runtergestuft:
Unklar ist laut Habeck aber noch, ob Russlands Präsident Wladimir Putin das Gas tatsächlich abdreht. „Die Frage ist: Macht er es wirklich?“ Ausgeschlossen sei es nicht.
https://www.ksta.de/politik/extreme-preissteigerung-der-bund-ruestet-sich-fuer-moeglichen-gas-stop-39791738

Der Kommentar des Stadt-Anzeigers auf Seite 4 hat die Überschrift „Lösung liegt im Gassparen“

Warum kommt Nordstream 2 nicht vor? Warum ist die deutsche Regierung bereit Gas über Nordstream 1 zu empfangen, aber nicht über Nordstream 2?

Hoffnung macht, dass in immer mehr Medien abgerüstet wird.

Die taz hat dem Historiker Ulrich Herbert die Möglichkeit geboten, die Analogien zwischen Putin und den Nazis zu kritisieren. Er sieht das als Versuch einer Entlastung deutscher Schuld.
https://taz.de/Historiker-ueber-Putins-Ukraine-Krieg/!5861372/

Der US-amerikanische Ökonom Jeffrey David Sachs durfte in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung erklären, was die Deutschen nicht hören wollen, obwohl es  zur Wahrheit gehört: Die amerikanischen Neocons sind für den Ukraine-Krieg mitverantwortlich.
https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/die-ukraine-ist-die-neueste-katastrophe-amerikanischer-neocons-li.242093

In den USA wird heute der Independance Day gefeiert. Am 4.Juli 1776 wurden die ehemals britischen Dreizehn Kolonien erstmals in einem offiziellen Dokument als „Vereinigte Staaten von Amerika“ bezeichnet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngigkeitstag_(Vereinigte_Staaten)

Ich finde, dass der Nationalfeiertag der USA eine gute Gelegenheit ist, über die Unabhängigkeit von den USA nachzudenken.

4.Juli 2022
Klaus Jünschke

WARUM HAT KÖLN SO VIELE DROGENTOTE?

Auf Seite 23 der aktuellen Kölner Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird ein neuer Höchststand der in Köln bekannt gewordenen Drogentoten mitgeteilt. 74 wurden 2021 gezählt. https://koeln.polizei.nrw/sites/default/files/2022-02/PKS-Jahresbericht%202021%20Stadt%20Ko%CC%88ln.pdf

In der Kölner Öffentlichkeit ist das kein Thema.

Aktuell skandalisiert der Stadt-Anzeiger zwar wieder das Dealen und das öffentliche Konsumieren rund um den Neumarkt – die Drogentoten als Opfer einer repressiven Drogenpolitik kommen nicht vor.

Meines Wissens war es bisher allein die Kölner Redaktion der BILD-Zeitung, die gefragt hat „WARUM HAT KÖLN SO VIELE DROGENTOTE?“ Und sie fragte 2017 mit Marco Jesse vom Vision e.V. einen Experten in eigener Sache. Er verwies auf den starken Druck, der auf die Drogenkonsumenten ausgeübt wird. Die Folgen: „Diese Menschen weichen dann in die Seitenstraßen aus und versuchen dort, unter schlechten Bedingungen schnell sich eine Spritze zu setzen. Es kommt dadurch häufig zu Überdosierungen. Außerdem mangelt es an Hygiene.“
https://www.vision-ev.de/wp-content/uploads/2017/05/2017-05-09-Bild-Marco.jpg?x49682

Zur Geschichte dieses Elends

Ende der 1960er Jahre war plötzlich viel Heroin in der alten Bundesrepublik. Es entstand eine Selbsthilfebewegung von Drogenabhängigen, die Release-Bewegung. Sie war 1967 in London initiiert worden und gründete seit 1970 auch Zentren in der Bundesrepublik. Über den Selbsthilfeaspekt hinaus war die Release-Bewegung politisch aktiv, gegen die Kriminalisierung von Drogenabhängigen und für die Etablierung einer angemessenen Hilfestruktur. Sie leistete Pionierdienste für die Akzeptierende Drogenarbeit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Release-Bewegung

Es brauchte 30 Jahre bis die Forderungen der Selbsthilfeorganisationen der Drogenkonsumenten in der Politik ankamen.

Die Landesregierung von NRW gab am 26. September 2000 eine  Verordnung
über den Betrieb von Drogenkonsumräumen bekannt.
https://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/leistungen/abteilung02/24/verordnung_drogenkonsumraeume.pdf

Am 1.September 2001 eröffnete der Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) am Hauptbahnhof  den ersten Drogenkonsum in Köln.
https://www.drogenkonsumraum.net/meldung/20-jahre-drogenkonsumraum-koln

2016 forderten die Jungen Liberalen Drogenkonsumräume am Neumarkt, Eberplatz, in Mülheim und Kalk. In Ihrer Erklärung sprachen sie von 12 Hotspots auf denen sich die Drogenscene in der Stadt verteilt.
https://www.fdp-koeln.de/politik/mehr-drogenkonsumr%C3%A4ume-f%C3%BCr-k%C3%B6ln/beschl%C3%BCsse-der-parteigremien

Bürgermeisterin Elfi Scho Antwerpes teilte auf dem Gedenktag für die Drogentoten 2019 auf dem Rudolph-Platz mit, dass der Rat beschlossen hat, nicht nur in der Innenstadt am Neumarkt, sondern auch in Kalk und Mülheim Drogenkonsumräume einzurichten.
https://www.youtube.com/watch?v=bGPvK_yxAjg

2022, drei Jahre später ist endlich am Neumarkt ein zweiter Drogenkonsumraum eröffnet worden. Ohne dass gleichzeitig an anderen Hotspots der Drogenscene Konsumräume eröffnet worden sind. Die Folge ist die beobachtete Sogwirkung und das vermehrte Auftreten von Drogenkonsumenten und ihren Dealern am Neumarkt, die meist selbst Konsumenten sind und sich ihren Konsum mit Dealen finanzieren.

Die Eröffnung des Drogenkonsumraums im Gesundheitsamt stellte sich nicht wirklich dem Bedarf. Die Heroinkonsumenten brauchen alle 4 bis 6 Stunden neuen Stoff. Ein Drogenkonsumraum, der Abends und an den Wochenenden nicht auf hat, sorgt dann auch für zusätzlichen Stress, neben der tatsächlichen Hilfe, die er in den Öffnungszeiten leistet.

Warum hat eine Stadt, die eine Milliarde für Schauspiel und Oper ausgibt, nicht genug Geld und Personal für die Drogenkranken? Was ist das für eine Kultur in der das Existenzrecht von Armen eine so geringe Rolle spielte, wie es das Elend der Drogenkranken vermittelt?

Als sich der Bundestag 2008 endlich dazu durchringen konnte, Heroin als Medikament zuzulassen, geschah das so halbherzig, dass zwar in Köln eine Heroin-Ambulanz in der Lungengasse hinter dem Gesundheitsamt mit 80 Plätzen eröffnet werden konnte – aber die Zugangsvoraussetzungen sind so restriktiv, dass nicht einmal alle 80 Plätze ausgebucht sind.

Vom neuen Bundestag ist zu fordern das schnellstmöglich zu verbessern. Je mehr Heroin-Gebraucher mit Diamophin behandelt werden, desto weniger Drogentote wird es geben.

Beides zusammen – auf der lokalen Ebene die Vermehrung der Zahl der Konsumräume in der Stadt und im Bund die Lockerung des Zugangs zur Diamorphin-Behandlung – wird das Leid der Konsumenten, der Anwohner und der Opfer von Beschaffungsdelikten mildern.

Die Kölner Medien sollten endlich aufhören repressive Interventionen zu fordern.

1.Juli 2022

Klaus Jünschke.

PS
Siehe auch
https://klausjuenschke.net/2020/07/20/wann-ubernimmt-die-bundesregierung-die-verantwortung-fur-die-drogentoten/

Die Armut nimmt zu und die Obdachlosen und Flüchtlinge werden mehr

Mirijam Günter erklärt aktuell in der Wochenzeitung Freitag „Warum so viele Menschen nicht wählen gehen“:

„Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen scheint schon wieder ewig her, Schlagzeilen über die niedrige Wahlbeteiligung sind verschwunden. Wer dennoch wissen will, warum so viele von ihrem Recht keinen Gebrauch machten, muss mit ihnen reden.“

Sie hat nicht nur mit Wahlberechtigten gesprochen, sondern auch mit ihren Kindern, die unter der Armut ihrer Eltern genauso leiden.

U.a. schreibt sie:

„Eine ehemalige Arbeiterpartei hatte den Stadtteil zuvor mit dem Slogan: „Go gentrify yourself! But not our Veedel!“ zuplakatiert. Da kamen sich einige Menschen einfach nur noch verarscht vor. Was dieser Spruch zu bedeuten hatte, konnte mir selbst mein akademischer Bekanntenkreis nicht erklären.“
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/warum-so-viele-menschen-nicht-waehlen-gehen

Heute berichtet Dirk Riße im Stadt-Anzeiger von Forderungen für die Flüchtlinge, die der Flüchtlingsrat und der Runde Tisch für Integration an die neue Landesregierung richten.  Wie Oberbürgermeisterin Reker fordern sie mehr Geld für die Flüchtlinge.

Vor Jahren betonten beide Organisationen noch die Notwendigkeit der Verbindung von Sozialer Frage und Solidarität mit den Flüchtlingen.

So schrieb Claus-Ulrich Prölß am 13.11. 2018:
„Denn wir können nicht erwarten, dass sich ausgegrenzte, verarmte und verängstigte Bevölkerungsgruppen „solidarisch“ gegenüber Flüchtlingen zeigen, wenn wir das Thema soziale Gerechtigkeit und die Forderung nach Gleichheit ignorieren.“
https://koelner-fluechtlingsrat.de/userfiles/pdfs/2018-11FluePolNa.pdf

Verlangt wird auch das kommunale Wahlrecht für Migranten. Wolfgange Uellenberg van Dawen: „Wer mitbestimmten kann, interessiert sich auch für seine Gemeinde.“

Wie die steigenden Zahlen der Nichtwähler eindrücklich vermitteln, ist das nur richtig, wenn die Gemeinde sich der zunehmenden sozialen Ungleichheit stellt, und die Armut wirksam bekämpft.

Wir leben in einer Stadt, in der viel von Vielfalt und Menschenrechten die Rede ist, während für alle erfahrbar Menschen ins Bodenlose fallen,  und frühzeitig an den Folgen der Härten des Lebens auf der Straße sterben.

Wenn wir nicht zu einer Stadt ohne Obdachlosigkeit werden, werden die Ängste vor Deklassierung mit der zunehmenden sozialen Ungleichheit weiter um sich greifen.  

Das Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung hat dazu aufgerufen, morgen von 11 – 13 Uhr, Ecke Friedrich-Engels-Straße / Berrenrather Straße für die Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen in Wohnungen  und für die Beschlagnahme von zweckentfremdeten leerstehenden Wohnungen zu demonstrieren.
 

Der gemeinwohlorientierte Herr Greitemann und die Eigentümer

Für Samstag, den 21.05.2022 hatte die  Stadt Köln von 11 – 16 Uhr eingeladen, um über die Planungen Mülheim-Süd zu informieren.
https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/freizeit-natur-sport/veranstaltungskalender/muelheim-sued-und-muelheimer-hafen

In der reichbebilderten  64seitigen  Hochglanzbroschüre schrieb Planungs- und Baudezernent Markus Greitemann in seinem Vorwort: „Rat und Verwaltung der Stadt Köln haben mit der Schaffung von Plan- und Baurecht die Entwicklung und Gestaltung des Mülheimer Südens in der Hand.“

Prof. Jörn Walter, Vorsitzender der sechsköpfigen Ständigen Jury  Mülheimer Süden, sieht am Ende des mit ihm geführten Interviews noch einiges zu tun, u.a. den „Abschluss städtebaulicher Verträge mit den Eigentümer*innen. Letztere beinhalten auch finanziell relevante Verpflichtungen und sind deshalb nie einfach auszuhandeln.“  

Nach zwei Seiten über das kooperative Baulandmodell werden im Folgenden die sieben Plangebiete vorgestellt.

Zum aktuellen Stand beim Euroforum Nord steht auf den Seiten 36f.: „Nach einigen Wechseln mit den Eigentümer*innen bleibt jedoch abzuwarten, wie die Entwicklung im Plangebiet weitergeht.“ Und: „Ein zweiter Bauherr hat die Realisierung begonnener Bauvorhaben offenbar unterbrochen. Die Baustelle ruht, Krane wurden teilweise bereits demontiert.“

Am Schluss der zwei Seiten über das Euroforum West ist zu erfahren: „Eine kurzfristige Umsetzung der geplanten Maßnahmen im Teilbereich Euroforum West ist derzeit nicht absehbar. Aktuell ist nach den häufigen Wechseln der Eigentümer*innen ein Neustart des Verfahrens geplant.“ Und: „Die weiter Abstimmung dieser Themen hängt davon ab, wann die Planungsaktivitäten seitens der Eigentümer*innen und zuständigen Projektentwickler*innen  wieder aufgenommen werden.“ (S.41)

Zum Otto-Langen-Quartier wird auf S.48 diese Perspektive vorgestellt: „Die Stadt Köln kann die landeseigenen Flächen im Otto-Langen-Quartier  wegen haushaltsrechtlicher Vorgaben nichtdirekt erwerben…Nach Durchführung des mehrstufigen Vergabeverfahrens  möchte die Stadt Projektentwickler*innen finden, die an die Realisierung der Konzepte und in ein Bebauungsplanverfahren gehen.“

In der kleinen Projektvorstellung  zum Grünzug Charlier wird auf S. 49 mitgeteilt: „Der Nachweis einer Planung, die den Anforderungen des Kooperativen Baulandmodells der Stadt Köln entspricht, steht zum aktuellen Zeitpunkt aus.“

Auch beim Deutz-Areal wird nicht namentlich bekannt gegeben, wem der Boden gehört: „Eigentümer der Flächen sind neben einem Projektentwickler unter anderem ein Unternehmen aus der Schmuckbranche, ein Hotel sowie Gewerbetreibende.“ (S. 52) Der Stadt-Anzeiger wusste, dass der Investor Gateway hier 2.000 Wohnungen bauen will. Davon sollen 30% Sozialwohnungen sein.

Auch in der Präsentation des Windmühlenquartiers lesen wir schon wieder: „Die Entwicklung des Geländes wurde in den letzten Jahren durch häufige Wechsel der Eigentümer*innen erschwert.“ Die Perspektive ist: „Aller Voraussicht  nach wird für das Windmühlenquartier ein Neustart eines Bebauungsplanverfahrens notwendig.“ (S. 57)

Abschließend ist zum Projekt Lindgens-Areal zu lesen: „Geplant ist der Bau von rund 360 zum Teil öffentlich geförderten Wohnungen.“ (S. 60). Dazu ist auf der Homepage der WvM-immobilien zu lesen: „Auf dem Lindgens-Areal entwickelt das Unternehmen drei Baufelder mit ca. 260 Wohnungen und Gewerbeflächen. Mehr als 10 Prozent davon realisiert die WvM mit sozial gefördertem Wohnraum.
https://www.wvm-immobilien.de/news/neues-quartier-in-koeln-muelheim-wvm-immobilien-hat-grosses-vor

Am Ende des Berichts des Kölner Stadt-Anzeigers über den „Info-Spaziergang für Bürger in Köln-Mülheim“ heißt es, dass Mülheims Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs auf baldige Bürgerbeteiligung dringt. „Baudezernent Markus Greitemann stellte diese für dieses und das nächste Jahr in Aussicht.“
https://www.ksta.de/koeln/muelheim/info-spaziergang-fuer-buerger-in-koeln-muelheim-stadtvertreter-standen-rede-und-antwort-39711112

Als Herr Greitemann in der Eröffnung der Info-Veranstaltung erklärt, dass es in Mülheim-Süd um eine gemeinwohlorientiere Entwicklung ging, hat niemand gelacht. Als Amtsleiterin Brigitte Scholz später erklärte, dass sich die Gemeinwohlorientierung auf das Otto-Langen-Quartier konzentrieren soll, war ein Raunen im weißen Veranstaltungszelt zu vernehmen.

Warum nicht schon diesen Samstag auf dem Podium die Bürgerinnen und Initiativen vertreten waren, hat Anja Kolacek vom Raum 13 gefragt und auf die Fragen „WANN?“ es dazu kommt, keine Antwort erhalten.

Fazit

„Soziale Belange der Wohnversorgung müssen immer gegen private Profitinteressen durchgesetzt werden. Eine langfristig angelegte Wohnungspolitik sollte sich daher an der Perspektive einer grundlegenden Aufhebung der bestehenden Machtverhältnisse orientieren.“ (Andrej Holm)

23. Mai 2022
Klaus Jünschke

PS

Hintergrundinfos

Helmut Frangenberg am 8.11.2021 im Stadt-Anzeiger
https://www.ksta.de/koeln/muelheim/wohnungen–bueros–geschaefte-so-komplex-ist-die-neuentwicklung-des-muelheimer-suedens-39103626

Tim Attenberger 28.3.2019
„Die AfD war 2016/17 ein wichtiger Impulsgeber in der deutschen Politik“, hatte von Moers dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mitgeteilt. Es sei ihm mit seinen Spenden darum gegangen, durch Druck von außen eine Kurskorrektur bei der CDU, seiner eigentlichen politischen Heimat, zu erzielen.
https://www.ksta.de/koeln/geteilte-meinung-in-koeln-weitere-vereine-reagieren-auf-afd-naehe-ihres-sponsors-32286336

Philipp Haaser am 8.11.2021 in der StadtRevue
https://www.stadtrevue.de/archiv/artikelarchiv/07264-bauland-ohne-bauen/

Philipp Haaser am 29.6.2017 in der StadtRevue
https://www.stadtrevue.de/archiv/artikelarchiv/12831-schnell-zuschlagen/

Wie viel Gefängnis braucht NRW?

von Klaus Jünschke

Das Neubauprogramm

Daniel Taab schrieb am 20.08.19 in der Kölnischen Rundschau: „Der Bauzustand vieler NRW Gefängnisse ist dramatisch schlecht. Wie die Rundschau erfuhr, entsprechen rund 8000 Haftplätze von rund 18 500 Plätzen im Land nicht mehr den baulichen und auch vollzugsrechtlichen Anforderungen, also rund 43 Prozent. Betroffen sind 19 von 43 Gefängnissen in NRW, 16 der Anlagen sind demnach sogar noch in Altbauten aus preußischer Zeit untergebracht. Daher besteht Sanierungsbedarf, der besonders bei den Anstalten in Iserlohn, Köln, Münster und Willich ausgeprägt sei. Dort ist der Sanierungsbedarf laut Ministerium ‚besonders dringlich‘“.
https://www.rundschau-online.de/region/koeln/keine-haftplatzkapazitaeten-neubau-der-jvaossendorf-auf-unbestimmte-zeit-vertagt-33040926?cb=1652082379770&

Würden Politik und Justiz die im § 3 Gestaltung des Vollzuges der Strafvollzugsgesetze der Länder festgehaltenen Grundsätze ernst nehmen, müssten sie 100% der Haftplätze in Frage stellen. Nur Zimmer würden den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechen – Zellen tun es nicht. In Zellengefängnissen kann den schädlichen Wirkungen des Vollzuges nicht entgegengewirkt werden – sie produzieren sie.
https://www.juraforum.de/gesetze/stvollzg/3-gestaltung-des-vollzuges

Auf der Homepage des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW (BLB) wird über den aktuellen Stand des 2014 beschlossenen Justizvollzugsmodernisierungsprogramms informiert. Mit Fotos und Grafiken werden die Projekte JVA Wuppertal-Vohwinkel, JVA Iserlohn, JVA Willich I und JVA Münster vorgestellt. Die JVA Köln fehlt.
https://www.blb.nrw.de/kunden/justiz-und-justizvollzug

Der Artikel von Daniel Taab hatte die Überschrift „Keine Haftplatzkapazitäten. Neubau der JVA Ossendorf auf unbestimmte Zeit vertagt“. Dabei lagen die fertigen Baupläne damals schon seit 2018
vor. Gebaut werden soll wieder ein Zellengefängnis mit 1000 Haftplätzen, aber nicht mehr in der Kammbauweise der alten JVA. Die im neuen Gefängnis vorgesehenen 10 qm großen Zellen, mit abgetrennter Nasszelle, sollen in mehreren freistehenden vierstöckigen Gebäuden angeordnet werden. Der Neubau soll im laufenden Betrieb geschehen: quer durch die JVA soll eine Mauer gezogen werden und danach würde die eine Hälfte der alten Gebäude abgerissen und die neuen an ihrer Stelle hochgezogen. Dafür sollen während jedem Bauabschnitt 500 Gefangene in andere Gefängnisse verlegt werden. Weil die Kapazitäten in den anderen großen JVA in NRW dafür nicht vorhanden sind, ist der Neubau der JVA Köln auf die Zeit nach der Fertigstellungen der Gefängnisse Willich I und Münster zurückgestellt. Inzwischen ist die Rede von 2028.

Die Öffentlichkeit, die Gefangenen und die Straffälligenhilfe waren an dieser Entwicklung zu keiner Zeit beteiligt. Dabei ist die Unzufriedenheit mit der alten JVA schon bekannt gewesen, als an einen Neubau noch gar nicht gedacht wurde. Das Kölner Friedensbildungswerk hat daran erinnert:

„Am 17.11.1996 hatten über 500 geladene Gäste die Möglichkeit sich das Kölner Gefängnis in Köln
Ossendorf von innen anzusehen. Oberregierungsrat Heinz-Werner Haucke, der damalige Abteilungsleiter der Strafabteilung der JVA Köln scheute sich an diesem Tag der Offenen Tür nicht,
deutlich auszusprechen, was er von diesem Gefängnis mit seinen 1.100 Haftplätzen hält: ‚Heute
würde eine Justizvollzugsanstalt dieser Größe nicht mehr gebaut werden. Zu groß, zu
unübersichtlich. Heutzutage würde man lieber drei Einzelanstalten errichten.‘ (Kölnische Rundschau,
18.11.1996)“.

Auch der damalige Leiter der JVA, Jörn Foegen, der den Tag der Offenen Tür für die Familien der Bediensteten und die Straffälligenhilfe eingeführt hat, hat in Gesprächen immer betont, dass eine
JVA nur so groß sein sollte, dass er als Chef alle, die einsitzen und alle, die darin arbeiten, persönlich
kennenlernen kann.

Der Maßregelvollzug

Im Maßregelvollzug sind die Einrichtungen so klein und so überschaubar wie sich das Jörn Foegen
gewünscht hat. Der Maßregelvollzug untersteht allerdings nicht dem Justizministerium, sondern dem
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales und die Insassen sind keine Gefangenen, sondern
Patienten.

Wenn Straftäter aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer Suchterkrankung schuldunfähig
oder vermindert schuldfähig sind und aufgrund ihrer Erkrankung für die Allgemeinheit gefährlich
sind, werden sie im so genannten Maßregelvollzug untergebracht. In Nordrhein-Westfalen gibt es
derzeit 14 spezialisierte Einrichtungen, in denen rund 3.000 Patientinnen und Patienten behandelt
werden.
https://www.mags.nrw/massregelvollzug

Köln-Porz ist die mit Abstand jüngste Einrichtung. Sie wurde 2009 eröffnet und hat Platz für 150
Patienten. Hier leben ausschließlich Männer zwischen 19 und 74 Jahren. Etwa die Hälfte von ihnen
hat einen Migrationshintergrund.
https://rp-online.de/nrw/staedte/koeln/besuch-im-massregelvollzug-koeln-porz-patienten-nichthaeftlinge_aid-20966737

Seit 2006 gibt es im Vollzugskrankenhaus Fröndenberg psychiatrische Abteilungen.
https://www.jvk.nrw.de/aufgaben/betreuung_behandlung/Medizin/psycho/index.php

Über die Erweiterung der Zahl der Plätze durch einen Umbau in der Psychiatrie im
Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg war nicht etwas auf der Homepage der BLB zu erfahren, sondern aus der Lokalpresse.
https://www.hellwegeranzeiger.de/froendenberg/neue-psychiatrie-station-im-jvk-froendenbergv12724-p-1000595501/

Angesichts der Süchtigen in der JVA Köln hat Anstaltsleiter Jörn Foegen in den 1990er Jahre mehrfach
öffentlich gefragt „Bin ich Klinikdirektor oder bin ich Knastdirektor?“ Für ihn gehörten Süchtige und
psychisch Kranke nicht in den Strafvollzug. (So in einem Interview mit Elisabeth Thelen und Ossi
Helling im Dezember 1997 für „rathaus ratlos“ Nr. 105, 01/1998)


Die Abschiebehaft

Die Bau- und Liegenschaftsbehörde (BLB) hat auf ihrer Liste der Neubauprojekte nicht nur nicht die
Erweiterung der Psychiatrie in Fröndenberg präsentiert, es fehlt auch jeder Hinweis auf das geplante
Abschiebegefängnis in Düsseldorf.

In NRW gibt es ein Abschiebegefängnis mit 175 Plätzen in Büren. Es gehört zum Geschäftsbereich des
Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Es
heißt auch nicht mehr Gefängnis oder JVA, wie bis zum Mai 2015, sondern seither
„Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige Büren“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unterbringungseinrichtung_f%C3%BCr_Ausreisepflichtige_B%C3%BCren

Der geplante Neubau am Düsseldorfer Flughafen soll Platz für 25 Personen im sogenannten
„Ausreisegewahrsam“ (Inhaftierung bis zu 10 Tage) dienen und das Abschiebegefängnis in Büren
ergänzen. Gegen diesen geplanten Neubau hat sich ein Bündnis von über 14 Organisationen gebildet.
https://www.ddorf-aktuell.de/2022/04/16/buendnis-kritisiert-plaene-fuer-ein-abschiebegefaengnisin-duesseldorf/

Auch Verurteilungen wegen Bagatelldelikten können für eine Ingewahrsamnahme ausreichen. Daran
wird deutlich, dass das Aufenthaltsrecht und insbesondere die Durchsetzung der Abschiebung dazu
dienen, Menschen, die bereits strafrechtlich für ihr Vergehen belangt wurden, nochmals
aufenthaltsrechtlich zu bestrafen.
https://abschiebegefaengnis-verhindern.de/2022/ausreisegewahrsam/

Die Sensibilität für Flüchtlinge hat in der Bundesrepublik zugenommen, ein annährend
entsprechendes Engagement für Strafgefangene gibt es noch nicht.


Der Strafvollzug in NRW

Das nordrhein-westfälische Justizministerium informiert detailliert mit statistische Daten und
Grafiken aus dem Bereich des Justizvollzuges. In den 36 selbstständigen Justizvollzugsanstalten mit
fünf angeschlossene Zweiganstalten gibt es rund 18.900 Haftplätze. Davon sind rund 4.200 Haftplätze
im offenen Vollzug und rd. 14.700 Haftplätze im geschlossenen Vollzug. Fünf Jugendarrestanstalten
mit 237 Plätzen, davon 27 für weibliche Jugendliche, fallen auch unter die 18.900 Haftplätze
https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/zahlen_fakten/statistiken/justizvollzug/index.php

Im Bundesschnitt sind nur 14% aller Gefangenen im Offenen Vollzug. In Bayern sind es nur 6%. In
NRW immerhin 22%.
https://de.wikipedia.org/wiki/Offener_Vollzug

Während der große Anteil des Offenen Vollzugs in NRW positiv hervorsticht, zeigt die
Gefangenenrate, d.h. die Anzahl der Inhaftierten von 100.000 Einwohnern, ein negatives Bild:
In Deutschland beträgt die Gefangenenrate 69 von 100.000 (Stand 2020). Im Vergleich der
Bundesländer auf Basis der Daten des Jahres 2020 hatten Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin
mit 95, 88 und 84 von 100.000 die höchsten Werte. Die niedrigste Gefangenenrate unter den
Bundesländern hatte Schleswig-Holstein mit 38 von 100.000. Die Sanktionsforscher Frieder Dünkel
und Bernd Geng erklären dies damit, dass Schleswig-Holstein „seit jeher eine ‚reduktionistische
Einsperrungspolitik‘ betrieben hat.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenrate

Die verschieden hohen Anteile der Plätze des Offenen Vollzugs in den Bundesländern und die
deutlichen Unterschiede bei den Gefangenenraten vermitteln anschaulich, dass nichts so bleiben
muss, wie es ist. Diese Veränderbarkeit ist aber kein Thema bei der Präsentation der Daten durch die
Justizbehörden.

Das ist besonders traurig beim Jugendarrest, der 1940 von den Nazis eingeführt wurde. Laura
Gammon: „Der Jugendarrest ist nach wie vor ein umstrittenes Sanktionsinstrument, welches trotz
aller Kritik im Jugendstrafverfahren als häufigste freiheitsentziehende Maßnahme angeordnet wird.“
https://www.kriminologie.de/index.php/krimoj/article/download/23/28/115

Die Inhaftierten in NRW

Die Inhaftierten teilen sich wie folgt auf (gerundet):

 72 % erwachsene Strafgefangene,

 19 % Untersuchungsgefangene,

 7 % sind im Jugendstrafvollzug,

 6 % sind Frauen,

 37 % sind ausländische Gefangene

 1 % Gefangene befinden sich in Sicherungsverwahrung
https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/zahlen_fakten/statistiken/justizvollzug/index.php

Wie der Jugendarrest ist die Sicherungsverwahrung im Nazi-Reich Gesetz geworden: „Erst die
Nationalsozialisten setzten mit dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I
995) einen Vorschlag zur Sicherungsverwahrung in die Tat um.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Sicherungsverwahrung


Marginalisierte Männer im Gefängnis unter sich

Das für mich Auffälligste ist, dass das Justizministerium 6% Frauen hervorhebt, statt die 94% Männer.
Dass der Strafvollzug Männervollzug ist, darauf muss doch die Hauptaufmerksamkeit gerichtet
werden. Diese Geschlechtsblindheit zieht sich durch die ganze Geschichte der Auseinandersetzung
mit Kriminalität und Strafvollzug. In den Kriminologischen Wörterbüchern geht es um
Jugendkriminalität, Frauenkriminalität, seit neuestem Seniorenkriminalität – es finden sich keine
Kapitel über Männerkriminalität. Wer Männerkriminalität googelt, landet sofort bei Beiträgen, wo es
wieder um Frauen geht.

Öffentlich werden von Frauen und zunehmend auch von Männern seit Jahren gleiche Rechte
eingefordert: gleicher Lohn für gleiche Arbeit und 50% der Plätze in den politischen Gremien und in
den Aufsichtsräten und Vorständen in der Wirtschaft. 50% Frauen im Strafvollzug ist allenfalls ein
Thema auf Seiten der Bediensteten. Mit dem Gleichberechtigungsanspruch kommt man hier
offensichtlich nicht weiter.

„Wenn Kampf um den Machterhalt des Patriarchats eine Konstante innerhalb der
Geschlechterbeziehungen ist, dann haben die Anteilseigner des Patriarchats ein Interesse daran, jede
Männlichkeit zu unterdrücken, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnte.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Hegemoniale_M%C3%A4nnlichkeit

Gerlinda Smaus zu den symbolischen Funktionen des Strafrechts:
„Aufrechterhaltung der Ressourcenverteilung und der Genderstruktur
– Umfassender Schutz der politischen und wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft
– Umfassender Schutz des Eigentums und der Eigentumsverhältnisse
– Faktische Adressaten des Strafrechts bzw. die Gelegenheitsstruktur:
die „wirklichen“ Adressaten sind vornehmlich Männer der Unterschicht (vgl. Population der
Gefängnisse). Frauen haben zu den meisten Begehungsarten keinen Zugang.“
(Vortrag Prof.in Dr.in Gerlinda Smaus „Kriminologie aus gendertheoretischer Sicht“)
https://www.youtube.com/watch?v=zQ94_-6w7GQ)

Damit erklärt sich auch, warum zwar seit über 100 Jahren unermüdlich Franz von Liszt zitiert wird,
der in einer guten Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik sah und das folgenlos geblieben ist.


Kriminalisierung der Armut

Jedes Jahr kommen an die 100.000 Menschen in der Bundesrepublik in Haft. Die Allermeisten wegen
kurzen Freiheitsstrafen. 50.000 kommen nur in die Gefängnisse, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt
haben. Ein Viertel von ihnen, rund 12.500 sind mehrfach im öffentlichen Nahverkehr beim Fahren
ohne Ticket erwischt worden sind.
https://dejure.org/gesetze/StGB/265a.html

Die Linke und die Grünen haben schon 2018 die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein
gefordert.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw16-de-schwarzfahren-548956

Da die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag Hoffnung auf die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen
gemacht hat, hat die Linke zu den Ersatzfreiheitsstrafen wegen Fahrens ohne Fahrschein einen neuen
Vorstoß im Bundestag unternommen. Die Bundesregierung in der Vorbemerkung zu ihrer Antwort:

„Der Jurist Ronen Steinke weist darauf hin, dass Ersatzfreiheitsstrafen mittlerweile die häufigste
Form der Freiheitsstrafe sind. Meist gehe es bei den Geldstrafen, die nicht beglichen werden können,
um Beträge von wenigen hundert Euro. Betroffen sind ganz überwiegend Obdachlose, Suchtkranke
und prekär lebende Menschen, viele von ihnen sind bereits verschuldet (Ronen Steinke, Vor dem
Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz, Berlin 2022, S. 96).“

Wissentlich, dass damit Armut bestraft wird, kam die Bundesregierung zu dem Schluss:

„Die Ersatzfreiheitsstrafe stellt grundsätzlich ein wirksames Druckmittel dar, um die Geldstrafe
durchzusetzen. Ohne dieses Druckmittel würde bei der Geldstrafe, die eine zentrale Rolle im
deutschen Sanktionensystem spielt, die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs grundsätzlich in
Frage gestellt.“
https://dserver.bundestag.de/btd/20/015/2001568.pdf

Was das Sanktionensystem anrichtet, wird regelmäßig vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht.
Danach sind von allen Strafgefangenen vorbestraft:

1 Mal 5.487

2 Mal 3.908

3 Mal 3.282

4 Mal 2.869

5 bis 10 Mal 10.242

11 bis 20 Mal 4.478

21 Mal und öfter 746
https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Publikationen/DownloadsStrafverfolgung-Strafvollzug/strafvollzug-2100410207004.pdf

Da es sich bei den Inhaftierten, die 5 bis über 21 Mal und öfter vorbestraft sind, nur in
Ausnahmefällen um wegen schwerster Straftaten Verurteilte handelt, darf angenommen werden,
dass auch hier die Inhaftierten, die wiederholt eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen haben,
überpräsentiert sind. Zumal es sich auch hier nur um Stichtagsdaten handelt. Ein Hinweis darauf,
dass es dem Strafvollzug nicht gelingt, die armen Inhaftierten aus dieser Dauerkriminalisierungsfalle
zu befreien. Das Gefängnis sorgt selbst für den Nachschub an Gefangenen.

Nachdem jahrzehntelang eine „Ausländerkriminalität“ oder „Asylantenkriminalität“ skandalisiert
wurde, glauben viele, dass Kriminalität eine Ausländereigenschaft sei. Da das NRW- Justizministerium
die Zahl von 37% ausländischen Gefangenen veröffentlicht und im Bundesland nur 16% keinen
deutschen Pass haben, wird suggeriert, dass da was dran sein könnte. Nicht berichtet wird, was in den von Schily eingeführten Sicherheitsberichten zu lesen war, dass es einen Zusammenhang von
Aufenthaltsstatus und Kriminalisierung gibt. Da auch keine weiteren sozialen Daten erhoben werden,
wird ausgeblendet, dass es sich auch hier um Armutskriminalität handelt.

Am deutlichsten vermitteln das die Angaben über den Wohnsitz von Gefangenen. Zum Stichtag
31.03.2020 waren von den 46.054 Strafgefangenen 6.187 ohne festen Wohnsitz. Da die Zahl der
Obdachlosen und Wohnungslosen in der Bundesrepublik deutlich unter einer Million liegt, sind die
Gefangenen ohne festen Wohnsitz mindestens 14fach überrepräsentiert.

Entkriminalisierung des Drogengebrauchs

Die Armen in Haft sind nicht nur arm und überwiegend männlich, sie sind auch süchtig. Von sich aus
machen die Justizverwaltungen dazu keine Angaben. Sozialarbeiterinnen in der JVA Köln schätzen,
dass bei den Frauen 70% und bei den Männern 50% süchtig sind. Dabei sind die wenigsten direkt
wegen Drogendelikten verurteilt worden. Bekannt ist, dass rund ein Drittel aller Eigentumsdelikte in
den Großstädten durch Süchtige verursacht werden, die sich so das Geld zur Finanzierung der Drogen
beschaffen.

Jörn Foegen hat in den 1990er Jahren erklärt, dass er ein Drittel aller Zellen dicht machen könnte,
wenn es in der Bundesrepublik eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik geben würde.
Der Koalitionsvertrag der Ampel und der neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard
Blienert, machen Hoffnung auf eine Abkehr von der repressiven Drogenpolitik. Wie aus ersten
Interviews von Burkhard Blienert hervorgeht, wird das nicht schnell geschehen.
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/redezeit-burkhard-blienert-100.html

Schlussfolgerungen

Es ist falsch, neue große Gefängnisse zu bauen.

Kleine Haftanstalten, wie in der Forensik üblich, müssen mit Zimmern statt mit Zellen gebaut werden.

Wenn der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli davon spricht, dass nur 10% der derzeit
Inhaftierten ins Gefängnis gehören und für alle anderen Alternativen möglich sind, könnte der
Bestand an Haftplätzen in NRW um 90% reduziert werden.
https://www.thomas-galli.de/

Mit dem Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) werden nur 1% aller angezeigten Delikte ohne Inhaftierung
beigelegt. TOA und Restorative Justice können weit mehr Gefängnisstrafen vermeiden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Restorative_Justice

Die Entkriminalisierung des Gebrauchs aller Drogen, wie in Portugal, die Substitution aller Süchtigen,
wie es heute nach der Zulassung von Heroin als Medikament für einen kleinen Teil der
Drogenabhängigen möglich ist, würde nicht nur die Zahl der Drogentoten drastisch senken und die
Zahl der Strafgefangenen, sondern auch die Zahl der Gewalt- und Eigentumsdelikte. Auf illegalen
Märkten werden Konflikte mit Gewalt geregelt.

Wenn, wie in Schweden zu Ersatzfreiheitsstrafen nur verdonnert wird, wer Geldstrafen nicht bezahlt,
obwohl Geld vorhanden ist, würden jährlich 50.000 Menschen weniger in Haft kommen.

Wenn ein wirksamer Kampf zur Überwindung der Armut geführt wird und Wohnungs- und
Obdachlosigkeit Geschichte werden, wird auch die Kriminalisierung der Ärmsten der Armen
Geschichte sein.

Die Forderungen nach Gleichberechtigungen müssen verbunden werden mit einem Kampf zum
Abbau der sozialen Ungleichheit und der Hierarchien in der Gesellschaft.

Köln, 16. Mai 2022

Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S) 18. Mai 2022
https://www.bag-s.de/aktuelles/aktuelles0/wie-viel-gefaengnis-braucht-nrw

Katholische Gefangenenseelsorge 18.Mai 2022
https://gefaengnisseelsorge.net/wie-viel-gefaengnis-braucht-nordrhein-westfalen

Wohnen ein Menschenrecht – ohne Enteignung der profitorientierten Wohnungswirtschaft?

Zu einer wohnungspolitischen Diskussion hatten die Bürgergemeinschaft Rathenauplatz
(https://rathenauplatz.koeln/) und die Initiativen „Severinsviertel erhalten“ (https://severinsviertelerhalten.de/) und Recht auf Stadt (https://www.rechtaufstadt.koeln/) am 6. Mai 2022 Auf den Rathenauplatz eingeladen.

Die Redakteurin Mirjam Gehrke moderierte die Veranstaltung.  Der Studienstiftungschor Köln (https://www.studienstiftungschor-koeln.de/), begeisterte nicht nur mit seinen Liedern, z.B. von Kasalla, sondern stellte auch das halbe Publikum.  

Auf dem Podium saßen Marc Urmetzer (FDP), Alex Yohannes (CDU), Berivan Aymaz (Grüne), Florian Schuster (SPD) und Kalle Gerigk (Linke).

Angesichts der eskalierten Wohnungsnot in Köln und der gegensätzlichen Interessen von Eigentümern und Mieterinnen erwartete ich eine Auseinandersetzung, in der die Fetzen fliegen, aber es blieb beim Plauderton. Wahlkampf als Unterhaltung.

Im ersten Teil ging es um die soziale Erhaltungssatzung, die der Stadt die Möglichkeit gibt, die soziale Zusammensetzung im Viertel zu erhalten und die Mieterinnen vor Verdrängung zu schützen.  In vier Gebieten gelten sie inzwischen:
https://www.stadt-koeln.de/artikel/69318/index.html
Die CDU möchte es vorerst gerne dabei belassen und in vier Jahren evaluieren, was es gebracht hat. Grüne, SPD und Linke wollen die baldige Ausweitung und die Verschärfungen der Bestimmungen und damit es auch besser klappt, mehr Personal für die Stadt. Kalle Gerigk machte an zwei Beispielen deutlich, wie gering der Schutz für Mieter ist. Im Falle einer Familie mit vier Kindern in der Kornstraße gab es eine Kündigung unter dem Vorwand des Eigenbedarfs und für einen Eigentümer, der zehn Appartements über airbnb (https://www.airbnb.de/) dem Wohnungsmarkt entzog, gab es vom Gericht nur eine Strafe von 2.000 Euro.

In Köln ist viel von Vielfalt die Rede und die seit der Erfindung des Diversity Managements in US-Konzernen geleistet Kritik an diesem betriebswirtschaftlichen Führungsinstrument wird in der Öffentlichkeit ignoriert und ist, auch wie dieses Podium vermittelte, in der Politik nicht angekommen.

Eva Berger in der taz: „Während wir uns mit immenser Energie und kritischem Herzblut auf allen Ebenen der Gesellschaft der Anerkennung und Förderung von wie auch immer gearteter Diversität und dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung widmen, ist davon ein Ungleichheitsverhältnis nahezu unberührt geblieben bzw. hat sich radikalisiert: die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, die Verteilung des Reichtums ungerechter (die USA und Deutschland stechen hier laut OECD besonders hervor), die Ausbeutung insbesondere in den unteren Lohnsegmenten schärfer.“
https://taz.de/Buch-Der-Trubel-um-Diversitaet/!5807703/

„Da in vielen Fällen der Einsatz für die Diversität an die Stelle des Kampfes für die Gleichheit getreten ist (statt ihn zu ergänzen), hat er am Ende die Barrieren geschwächt, die den um sich greifenden Neoliberalismus eindämmen sollten.“  So Walter Benn Michaels.
https://monde-diplomatique.de/artikel/!726478

Auch lesenswert was Patricia Purtschert schon 2005 zu Diversity in der WoZ schrieb: https://www.woz.ch/-48f

In Köln gibt es längst Viertel mit wenig sozialer Vielfalt, z.B. im Hahnwald und in Finkenberg. In einem Viertel wohnen lauter Reiche und im anderen lauter Arme. Im Hahnwald ist die Wahlbeteiligung in der Stadt am höchsten und in Finkenberg dürfen 60% der Bewohnerinnen nicht wählen, weil sie keinen deutschen Pass haben und von denen die einen haben, geht nicht einmal jeder zweite wählen.  

Wie die Menschen in Finkenberg ihrem Schicksal überlassen werden, hat die Tage der WDR in einer Story vermittelt:
https://www.ardmediathek.de/video/die-story/die-gescheiterte-wohnvision-wie-ein-stadtteil-seinem-schicksal-ueberlassen-wird/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTI3YmZjNzNiLTRkYzQtNDI5Yy1hOGVlLWYwZDkyOTBmNmNlNg

Der von der Grünen nach Köln geholte Sozialdezernent Rau in dieser Sendung: „Ich hoffe, dass es nicht zynisch klingt. Auch Menschen, die benachteiligt sind, sind gut beraten quasi auch zu eigener Kraft zu finden. Und gerade Menschen, die gewissermaßen miteinander leiden, die sich abgehängt und benachteiligt fühlen, dass die sich treffen, dass die sich organisieren, das die überlegen, wo liegt unsere Stärke, wie wollen wir denn leben. Das ist etwas Wertvolles. Das ist auch die Pflicht dieser Menschen. Wir leben nicht in einem Staat, wo jeder nur rufen kann ‚Staat hilf mir‘“.(ab Minute 42)

In dem Film war zuvor von einer vor 10 Jahren gegründeten Mieterinitiative berichtet worden und es wurde gezeigt wie Jugendliche aus Finkenberg vor fünf Jahren, als Rau als Sozialdezernent anfing, ein Video über ihre Situation gedreht und an Oberbürgermeisterin Reker geschickt haben, die Frau die vor Rau Sozialdezernentin war. Ohne Antwort.

Rau ab Minute 38: „Da wo eine hohe Nachfrage ist, da haben die Vermietenden auch eine hohe Macht, das ist quasi eine Gesetzmäßigkeit des Marktes. Und ich sage jetzt mal von mir selber, wenn ich sehr leiden würde, würde ich mir schon auch überlegen, welche anderen Möglichkeiten habe ich, muss ich in eine Millionenstadt oder kann ich vielleicht auch an den Rand einer Stadt.“

Der zweite Teil dieses Abends auf dem Rathenauplatz wurde von Hans-Jörg Depel, dem Geschäftsführer des Mietervereins Köln eröffnet. Er war gebeten worden seine Einschätzung zur wohnungspolitischen Lage in Köln mitzuteilen. https://www.mieterverein-koeln.de/

Für Herrn Depel ist die Lage auch dem Kölner Wohnungsmarkt dramatisch: es gibt nicht genügend Wohnungen und es fehlt an bezahlbaren Mieten. Im Kölner Wohnbündnis wurde 2007 vereinbart die jährliche Bauleistung schrittweise auf bis zu 6000 Wohnungen zu steigern. Es wurde nie erreicht.
2016 – 2020 gehörte Köln nicht zu den 30 deutschen Städten mit dem meisten Wohnungsbau.
Er verglich Köln und München, das mehr Einwohner und eine geringere Fläche als Köln hat und leitete daraus die Forderung nach Verdichtung im Wohnungsbau ab.
Er erinnerte, dass die Hälfte der Bevölkerung in Köln einen Wohnberechtigungsschein hat. Gab es Anfang der 1990er Jahren noch gut 20 Prozent Sozialwohnungen in der Stadt, waren es 2018 nur noch 6,9 Prozent oder gut 38.600 Wohnungen gewesen.
Er zitierte die Studie der Hans-Böckler-Stiftung, laut der immer mehr Haushalte über 40% ihrer Einkünfte für die Miete ausgeben müssen und prognostizierte, dass das mit den geraden steigenden Energiekosten noch schlimmer wird. Die Mietpreisbremse hat seiner Einschätzung nach zuviele Schlupflöcher.

In der anschließenden Diskussion wurden die schon oft gehörten Forderungen und Wünsche genannt. Aber nur Kalle Gerigk wagte sich an die Ursachen, in dem er die Entmachtung der profitorientieren Wohnungswirtschaft forderte.

7.Mai 2022
Klaus Jünschke

RWE, jetzt ist Schluss

Seit Jahren prangert Jean Ziegler den Kapitalismus an: „Die 500 größten transkontinentalen Privatkonzerne kontrollieren 52,8% des Weltbruttosozialproduktes. Diese 500 Konzerne haben eine ideologische, militärische, technologische, wissenschaftliche, politische Macht, die nie ein Kaiser, ein König oder ein Papst innehatte auf diesem Planeten. Sie entschwinden jeglicher sozialer, parlamentarischer, gewerkschaftlicher Kontrolle. Sie sind stärker.“
Jean Ziegler glaubt nicht mehr, dass die repräsentativen Demokratien fähig sind, dieser zerstörerischen Konzernmacht Einhalt zu gebieten und er verweist auf die vielen tausend sozialen Bewegungen, große und kleine, die an verschiedenen Fronten gegen das kapitalistische Unterdrückungssystem kämpfen.
https://kontrast.at/jean-ziegler-kapitalismus-neues-buch/

Mit „People have the Power“ hat Patti Smith das vorgesungen:
https://www.youtube.com/watch?v=y6Wz3i_BYUc

In diesem Zusammenhang hat das RWE-Tribunal den Kampf gegen RWE aufgenommen. Nach dem 1. Tribunal in Lützerath, dem 2. In Essen, fand am 23. und 24. April 2022 in Düsseldorf das 3. RWE-Tribunal statt.
https://www.rwe-tribunal.org/

Moderiert wurde die zweitägige Veranstaltung von Christiane Niesel und Martin Krauß.

„Lebenslaute – klassische Musik – politische Aktion“ (https://www.lebenslaute.net/), Maria Arians-Kronenberg, in der Tradition der Protestsongs der Anti-AKW-Bewegung, und der Liedermacher Gerd Schinkel (https://gerdschinkel.jimdofree.com/cds-und-liedertexte/) begleiteten und unterstützten das Tribunal musikalisch. Künstlerisch haben sie auf den Punkt gebracht, was die Zeuginnen und Gutachterinnen vorgetragen haben.

Zu Beginn stellte sich die siebenköpfige Jury vor: Renate Heurich (Extinction Rebellion), Klaus Jünschke (Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung), Benno Mirtschink (Klimagerechtigkeitsbewegung), Jörg Obergefell (BUND),  Aribert Peters (Bund der Energieverbraucher), Danielle Schulte am Hülse (Teachers for Future) und  Rolf Schwermer (Fossil Free Essen).              

Nachdem Christa Schliebs die Anklageschrift verlesen hatte, startete das  Tribunal mit einem Vortrag der Politischen Geographin Andrea Brock.
https://profiles.sussex.ac.uk/p322495-andrea-brock

Ihr Thema:  RWE im Rheinland: Wie Widerstand unterdrückt und Konsens fabriziert wird, und RWEs Interessen zu Allgemeininteressen wurden. Der Konzern ist Europas größter Emitter und hat sich in Deutschland zu einem der einflussreichsten Unternehmen entwickelt.
Nachdem sie den Konzern vorgestellt hat und aufgezeigt hat, wem er gehört, kommt sie dazu, zu erklären, warum für RWE trotz aller bekannt gewordenen Zerstörungen und tödlichen Folgen der Einfluss in der Region fast ungebrochen ist. Was das Unternehmen macht, um Widerstand zu unterdrücken und Konsens zu fabrizieren, erklärt sie treffend durch die Übernahme der Aufstandsbekämpfungs-Strategie aus der asymmetrischen Kriegsführung. Sie nennt es corporate counterinsurgency. In der zweiten Hälfte ihres Vortrags schildert sie die harten und weichen Methoden und Techniken mit denen Widerstand unterdrückt und Konsens hergestellt wird. Das ist so aufklärend, dass ich allen vor dem Weiterlesen nur empfehlen kann, ihr diese eine Stunde zuzuhören: https://www.youtube.com/watch?v=URAPG23BqmM

Uwe Brustmeier, der zweite  Sachverständiger, hatte es nach diesem Vortrag von Andrea Bock leicht, das Agieren des Konzerns als organisierte Kriminalität zu beschreiben, indem mit viel Geld und dem Entzug der Zuwendungen Herrschaft ausgeübt wird. Die Dimension dieses Engagements machte er am Landschaftsverband deutlich, der von RWE 100 Stellen für freiwillige Leistungen finanziert bekam.
https://www.youtube.com/watch?v=Vw9oiBO8xT4

 Vladimir Slivyak, der dritte Sachverständige, ist Gründer der russischen Umweltorganisation Ecodefense.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-09/vladimir-slivyak-right-livelihood-award-ecodefense-russland-umweltorganisation

Allen, die behaupten, dass Atom-Strom sauber sei und ihn sogar als Green-Energy bezeichnen, hält er vor, dass sie verschweigen, dass 100.000e Tonnen Atommüll aus der Urananreicherungsanlage Gronau nach Russland geschickt wurden. Er schilderte diese Atommülltransporte nach Russland, wo der Atommüll hinter den Zäunen von „Closed Cities“ verschwindet. „Aus den Augen, aus dem Sinn“.
Die Verheerungen des Kohleabbaus in Russland vermittelten eindrückliche Fotos.

Cécile Lecomte begann ihren Vortrag mit der Aussage „Atomausstieg von RWE ist Fake“.
https://de.wikipedia.org/wiki/C%C3%A9cile_Lecomte
Sie schilderte wie schwer es ist die Transportwege der Atomindustrie zu recherchieren. Überall wo Uran bewegt wird und bearbeitet wird, steigt das Krebsrisiko.
Sie widersprach der Behauptung von der zivilen Nutzung der Atomenergie – ohne die militärische Nutzung gibt es keine zivile Nutzung. 40% des Uran, das Europa nutzt, kommt aus Russland und Kasachstan.
Zur „sauberen Kernenergie“: 40% des Stroms für die Urananreicherungsanlage in Gronau kommt aus den Kohlekraftwerken vom Hambacher Forst. Auch der Uranbau, z.B. in Niger, ist ohne Kohlekraftwerke nicht möglich.
Über den Atommüll gibt es keine echte gesellschaftliche Debatte. Statt Atommüll zu verschicken, kann es nur darum gehen ihn ganz zu vermeiden.
Sie plädierte dafür, die Kämpfe gegen die Kohle und die Kämpfe gegen Atom zusammenzuführen.

Emilio Weinberg behandelte den NRWE-Komplex am Beispiel von Ina Scharrenbach, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Saal hing ein Plakat mit der Aufschrift „Wann treten Sie zurück, Frau Scharrenbach?“, auf das er verwies. Zur Begründung berichtete er  von der Gründung einer GmbH mit RWE, mit der der Allgemeinheit die Kosten der Ewigkeitsschäden um die Kraftwerke und die Tagebaue aufgehalst werden. 2018 war Frau Scharrenbach involviert bei der Räumung des Hambacher Forstes unter dem Vorwand mangelnder Brandvorsorge. Sie hat die Stadt Kerpen genötigt, gegen das Gerichtsurteil, das ihre Weisungen als gesetzwidrige erklärte, Widerspruch einzulegen. Und bei dem Mallorca-Geburtstagstreffen von CDU-Ministerinnen fehlte sie auch nicht.
Emilio Weinberg erinnerte an die Mitverantwortung von RWE bezüglich der Erderhitzung und der daraus folgenden  Katastrophe im Ahrtal.
Die Rolle des Landesamtes für Natur, Umweltschutz und Verbraucherschutz wurde angesprochen: die Feinstaubmessstellen stehen immer da, wo der Wind nicht hinweht.
Er stellte ein 4.RWE-Tribunal in Köln in Aussicht, weil in der Stadt RWE Power residiert.
Lützerath hält er noch nicht für verloren. Herr Heukamp darf bis Ende August bleiben. Zeit, um dafür zu mobilisieren, dass Lützerath als 1,5Grad-Grenze respektiert wird.
http://weinberg-psychodrama-soziodrama.de/emilio-alfred-weinberg/

Aus Lützerath erreichten uns in Düsseldorf Berichte über die Demonstration von 4.000 Gegnerinnen von RWE. Für den 28.April 2022 ist eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude von RWE in Essen angekündigt.

 Am Sonntag, den 24.4.2022  las Sibylle Arians die  Anklage vor.
Als Mitarbeiterin der Stiftung ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie brachte sie zum Tribunal ein Dossier mit, das der Verleihung des Internationalen ethecon Dead Planet Award 2021 gewidmet ist, der an Armin Laschet, Markus Krebber, Werner Brandt und Larry Fink geht. Das 86-Seiten starke Heft mit umfassenden Informationen zu RWE kann bei der Stiftung bezogen werden: www.ethecon.org

Der  Sachverständige Prof. Dr. Volker Quaschning war aus Berlin zugeschaltet.
https://www.volker-quaschning.de/about/index.php

Volker und Cornelia Quaschning: ENERGIE­REVOLUTION JETZT! Mobilität, Wohnen, grüner Strom und Wasserstoff: Was führt uns aus der Klimakrise – und was nicht?
https://www.volker-quaschning.de/publis/energierevolution/index.php

Er hat deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik bis 2035 komplett mit erneuerbaren Energien ausgestattet werden kann. Die Dörfer müssen nicht geopfert werden.
Er erinnerte, das noch in den 1990er Jahren auch von Bundeskanzlerin Merkel vertreten wurde, dass mit den erneuerbaren Energien gerade mal 4% der benötigten Energie beschafft werden könnte. Die erneuerbaren Energien werden erst seit 3 – 4 Jahren ernst genommen.
Die aktuelle Diskussion um Kernenergie findet er albern. In der Bundesrepublik macht Kernenergie nur 2% der Gesamtenergie, weltweit sind es nur 3%. Beim Atomausstieg zum 31.12.2022 muss es bleiben.
Angesichts der steigenden Energiepreise sprach er sich für die gezielte Unterstützung der einkommensschwachen Haushalte aus.

Cécile Lecomte berichtete heute mit vielen Fotos von den Widerstandsaktionen gegen die Atomtransporte. Ihr Buch „Kommen Sie da runter!“ Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin, ist im Verlag Graswurzelrevolution erschienen.
https://www.graswurzel.net/gwr/produkt/kommen-sie-da-runter/

Auf vielen Websites sind ihre Widerstandsaktionen dokumentiert. Gerade angesichts der übermächtig erscheinenden RWE zeigt sie immer wieder, dass man immer etwas machen kann, auch allein, auch zusammen mit nur ganz wenigen.
https://blog.eichhoernchen.fr
https://urantransport.de
http://www.atomtransporte-hamburg-stoppen.de
https://eichhoernchen.ouvaton.org/

Zeuge Franz Josef Rottmann
https://www.klimatechniker.net/gronau/franz-josef-rottmann-oekotechnik-aULJQG

vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atom sprach über die Urananreicherungsanlage in Gronau. https://de.wikipedia.org/wiki/Urananreicherungsanlage_Gronau

Mit dem angereicherten Uran das Urenco in Gronau produziert können jährlich 30 Kernkraftwerke versorgt werden. RWE ist zu 50% an Urenco beteiligt.
Höhepunkt der Proteste gegen die Anlage war 2011 mit 15.000 Teilnehmerinnen.
Heute ist ihm kein politischer Wille erkennbar, die Anlage stillzulegen. Obwohl die Produktion von Atomstrom unwirtschaftlich ist.
Er sprach von den Krebsraten in und um die Anlagen, beim Transport und in der Nachbarschaft.

Gerd Schinkel ergänzte: Solange es die Urananreicherungsanlage in Gronau gibt, kann die Bundesrepublik am Katzentisch der Atommächte sitzen – deshalb spielt die Wirtschaftlichkeit keine Rolle.

Die Sachverständigen / Zeugen Michael Zobel und Eva Töller
 http://naturfuehrung.com/ und https://www.youtube.com/watch?v=x_QUXz8Jkrg

Sie berichteten anschaulich von den Zerstörungen durch NRWE. Das Bergamt in Arnsberg sollte eigentlich eine Kontrollbehörde sein. Tatsächlich führen sie aus, was sich RWE wünscht. Die Aufsichtsbehörden kommen ihrer Pflicht nicht nach.
Sie stellten das Greenwashing bloß. So wird behauptet, die Löcher am Hambacher Forst und in Inden könnten zu Seen werden, die mit einem Kanal verbunden werden. Obwohl es einen Höhenunterschied von 60 m zwischen den Seen geben wird. Die Löcher mit Wasser zu füllen, wenn die Kohle abgebaut ist, läuft auf dasselbe raus, wie wenn man den eigenen Kohlenkeller mit Wasser füllt. Es gibt eine Giftbrühe.
Sie erinnerten an die 50 Millionen Euro, die für die Räumung des Hambacher Forstes ausgegeben wurden – was hätte damit für den Naturschutz getan werden können!
Sie klagten RWE an, der nicht vor der 600m Schutzzone vor dem Forst haltgemacht hat und jetzt auf 50 m herrangerückt ist – das wird den Wald austrocknen.  
450 Millionen Kubikmeter Grundwasser darf RWE abpumpen um das Loch trocken zu halten. Es kann dazu führen, dass die Region zwischen Aachen und Köln unbewohnbar wird.
„RWE enteignen – alle Dörfer bleiben“ kam in ihren Beiträgen wiederholt vor.

 Peter Singer ist für die Linke im Rat von Frechen.
https://www.die-linke-im-kreistag-rhein-erft.de/fraktion/peter-singer/

Er berichtete über seine Zeit im Braunkohleausschuss, der für das Braunkohlegebiet Aachen-Düsseldorf-Köln  die Fortschreibung des Braunkohlebergbaus genehmigt. Dieser hat 40 Mitglieder. Er hat noch nie Kritik im Ausschuss an RWE gehört, auch nie kritische Nachfragen. Im Ausschuss stimmen alle für RWE.
Im Vorfeld eines neuen Großprojekts von RWE hatte Peter Singer Akteneinsicht verlangt. Er bekam nur 1 ½ Wochen vor der Sitzung einen Berg von 48 Aktenordnern voller nur für Fachleute verständlichen Informationen. Diese Unmengen von Informationen sind unmöglich in so kurzer Zeit zu verarbeiten, weshalb die meisten Mandatsträger in kleinen Gemeinderäten bis hin zum Bundestag in aller Regel solche Projekte abnicken, ohne sie tatsächlich zu kennen.
Er berichtete über die letzte Brikettfabrik, die nicht nur Briketts herstellt, sondern auch Braunkohle zu Staub zermahlt – 250 Millionen Tonnen Staub für die Industrie, weil der Staub für hohe Temperaturen geeignet ist.  Im Kohleausstiegsgesetz steht nichts von Staub. Da er nachgefragt wird, wird weiter Kohle gebraucht.

Nach all diesen Informationen, die sich die Jury an diesem Wochenende anhören konnte, war ihre Entscheidung eindeutig:   RWE  muss enteignet werden.

Zu viele Menschen wurden wegen RWE und dem Kohleabbau enteignet. Was der Menschheit erspart worden wäre, wenn das umgesetzt worden wäre, was in den beiden Jahren nach dem Ende des 2.Weltkrieges allgemeine Zustimmung fand, als es noch ein Bewusstsein vom Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus gab – daran muss erinnert werden.  

Beispielhaft für die geforderten Konsequenzen sei aus dem Aufruf zum Neuaufbau der SPD vom 15. Juni 1945 zitiert: „Verstaatlichung der Banken, Versicherungsunternehmen und der Bodenschätze, Verstaatlichung der Bergwerke und der Energiewirtschaft. Erfassung des Großgrundbesitzes und der lebensfähigen Großindustrie und aller Kriegsgewinne für die Zwecke des Wiederaufbaus. Beseitigung des arbeitslosen Einkommens aus Grund und Boden und Miethäusern.“ (Gebhard Diemer: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Wege zur Republik 1945-1947, Schöningh, 1979, S. 170)

Die drei Siegermächte Großbritannien, Sowjetunion und USA, die vom 17. Juli – 2. August 1945 in Potsdam tagten, kamen zu ähnlichen Beschlüssen. Der antifaschistisch-demokratische Neubeginn sollte sich an den „großen D’s“ orientieren: Demokratisierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung.
Bei den Festlegungen der Grundsätze zur Behandlung Deutschlands wurden Kriterien für eine antifaschistische und friedliche Perspektive dieses Landes formuliert, wie z.B. Forderungen nach Auflösung hegemonialer Wirtschaftsstrukturen, Forderungen nach wirklicher demokratischer Partizipation, Entmilitarisierung u.a., die bis heute visionären Charakter besitzen.
https://dasjahr1945.de/das-potsdamer-abkommen/

25.April 2022
Klaus Jünschke

Zum wachsenden Strafbedürfnis

Fritz Sack hat vor 12 Jahren schon über den weltweiten „punitive Turn“ geschrieben und gefragt, ob die Bundesrepublik dagegen gefeit ist.

In der aktuellen ZEIT schreibt der Berliner Rechtsanwalt Stefan Conen über das zunehmende Strafbedürfnis unter Juristinnen, Politikerinnen und in den Medien. Er zitiert aus den Umfragen des Erlanger Strafrechtlers Franz Streng unter seinen Erstsemestern aus den Jahren 1989 – 2012. Danach haben zuletzt ein Drittel der Studienanfänger die Todesstrafe befürwortet und fast jeder Zweite wollte Folter als Befragungsmittel zulassen.

Er erinnert daran, dass in den letzten Legislaturperioden die Beschuldigten- und Angeklagtenrechte zurückgeschraubt wurden: „teilweise hinter den vordemokratischen Stand des Kaiserreichs“.

Er kritisiert, dass die Mindeststrafrahmen bei Missbrauchsdelikten angehoben wurde, „obwohl für die öffentlich diskutierten Fälle der untere Strafrahmen nie in Rede stand.“

In der Berichterstattung über Kriminalität sieht er, dass  „seit der Jahrtausendwende die Unsitte einer vorverurteilenden, aus den Ermittlungsakten zitierenden Vorberichterstattung“ um sich greife, „die letztlich Ausdruck einer Missachtung des Gerichts und seiner Pflicht sei, ein Urteil ausschließlich aus dem Ergebnis der Hauptverhandlung zu schöpfen“.

„Es gibt Forschungen dazu, wie sehr sich Richter von der Medienberichterstattung über ihre Prozesse beeinflussen lassen (verkürztes Ergebnis: zu sehr!).“

„Eine tragfähig Brücke über den real existierenden Graben  zwischen Medien, die Kriminalfälle emotional aufladen, und der Justiz, die diese zu rationalisieren versucht, ist nicht in Sicht.“
https://www.zeit.de/2022/15/strafrecht-justiz-rechtsstaat-strafverteidigung

Die wachsende soziale Ungleichheit der letzten Jahrzehnte, und die damit verbundene Verunsicherung vieler Menschen, kommt bei Stefan Conen nicht vor.

Im 3. Sicherheitsbericht steht immerhin:
„Die Ergebnisse des jüngsten Standard-Eurobarometers zeigen, dass die Sorge vor Kriminalität in Deutschland auf den hinteren Rängen rangiert. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland (11 %) allerdings über dem Durchschnitt der 27 Mitgliedstaaten (8 %).376 Auch EU-weit beschäftigen die Bürgerinnen und Bürger seit 2020 vor allem wirtschaftliche Sorgen.“
https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/BfJ/3_Periodischer_Bericht.pdf;jsessionid=E824B472148D14E51499E423C27A6C20.2_cid503?__blob=publicationFile&v=4

Womit wir wieder bei Karl Marx wären, der nicht den „Crime“ sondern den „Context“ im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit sehen möchte. Man müsse »nicht das Verbrechen am einzelnen strafen, sondern die antisozialen Geburtsstätten des Verbrechens zerstören und jedem den sozialen Raum für seine wesentliche Lebensäußerung geben. Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden.« (Friedrich Engels und Karl Marx: Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Frankfurt a.M. 1845, S.207)

12. April 2022
Klaus Jünschke