Ebertplatz

Am 26.10.2017 erschien im Kölner Stadt-Anzeiger ein Kommentar seines Chefautors Peter Pauls zum Ebertplatz mit dem Titel „Der Ort verkommt zu einer No-go-Zone.“  Woher kommt dieses Wort?

Das amerikanische Militär hat im Vietnamkrieg, der 1975 endete, Südvietnam in Go-Areas, die heimischen Gebiete, in denen die Bevölkerung versorgt und unterstützt wurde, und No-Go-Areas, die gegnerischen Gebiete, aufgeteilt. Wie kommt es, dass diese Vokabeln No-Go-Area oder No-Go-Zone aus der damaligen Psychologischen Kriegsführung heute in Deutschland für Orte gebraucht werden? Sind wir im Krieg?

Herr Pauls meint: „Wer die Existenz solcher Quartiere in unseren Städten bestreitet, der sollte einmal nach Sonnenuntergang über den Kölner Ebertplatz gehen – und es riskieren, eines Besseren belehrt zu werden.“ Dass ein junger Mann aus Guinea erstochen wurde und ein paar Tage später jemand mit einer abgebrochenen Flasche verletzt wurde, sind für ihn Beweis genug. Dabei sind solche Gewalttaten als untypisch zu qualifizieren. Für die jungen Leute aus dem Maghreb und aus Ländern südlich der Sahara, die sich auf dem Ebertplatz in den letzten Monaten zum Handel mit Cannabis eingefunden haben, sind solche Ereignisse ganz offenkundig geschäftsschädigend. Wer kommt schon zum Drogenkauf auf den Ebertplatz, wenn dort mit körperlichen Angriffen zu rechnen ist?

Um den Tod des 22jährigen aus Guinea wird getrauert. Da wo er niedergestochen wurde sind am nächsten Tag Blumen und Kerzen abgelegt worden. Am Freitag Nachmittag, den 21.10. haben sich über 100 junge Leute zu einer Trauerfeier versammelt. Der Stadt-Anzeiger hat einspaltig davon berichtet – mit einem Foto, das kaum größer war als eine Briefmarke. Seither sind die Blumen und die Kerzen immer weggeräumt worden und wenig später sind immer wieder neue Blumen und Kerzen am Rand des Platzes zu sehen. Wer nicht mehr auf dem Platz zu sehen ist sind die Kleindealer. Vielleicht kommen sie wieder, vielleicht sind sie mit ihren Kunden abgewandert. Da nicht mal die Gefängnisse drogenfrei sind wird es auch die Stadt nicht. 

Wegen Cannabis sind in Deutschland 2016 von der Polizei 183.015 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Grünen hatten 2015 einen Antrag zur Entkriminalisierung im Bundestag eingebracht, der keine Mehrheit fand. Immerhin: Seit 10. März 2017 können bedürftige Schwerkranke staatlich kontrolliert angebautes Cannabis auf Rezept bekommen. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Alle anderen Drogengebraucher sind weiterhin auf den illegalen Markt angewiesen. Das Problem ist nicht nur, dass die jungen und zunehmend auch alten Leute, die im Drogenhandeln ihren Broterwerb gefunden haben, sich strafbar machen. Illegalen Märkten führen bei Konflikten wie z.B. Betrug häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Peter Pauls ist weit davon entfernt zu fragen, was die repressive Drogenpolitik mit den Geschehnissen auf dem Eberplatz zu tun hat. Er instrumentalisiert die Gewalttaten um den „trägen Rechtsstaat“ anzuprangern, der es nicht schafft diese „Kriminellen“ abzuschieben:

„Die Täter aus Algerien und Marokko, die jetzt Flaschen als potenzielle Mordwaffen einsetzten, leben mit „Duldungsstatus“ bei uns. Im Polizeicomputer verfügen sie über Einträge in zweistelliger Zahl. Warum sind sie trotzdem immer noch hier?“

Ende der 70er, Anfang der 80 Jahren haben sich junge Kriminologen in mehreren Studien mit der Überrepräsentation ausländischer Jugendlicher in der Polizeilichen Kriminalstatistik und in den Gefängnissen auseinandergesetzt. Die Titel ihrer Bücher: „Die Kriminalisierung junger Ausländer“, „Junge Ausländer im Konflikt. Lebenssituationen und Überlebenssituationen“, „Zur Delinquenz ausländischer Jugendlicher. Bedingungen der Entstehung und Prozesse der Verfestigung.“ Auch Schriftsteller stellten sich dem Thema. Metin Gür hat 1991 das Buch „Warum sind sie kriminell geworden? Türkische Jugendliche in deutschen Gefängnissen“ veröffentlicht.

Was sie herausfanden wurde unter der ersten rot-grünen Bundesregierung amtlich: In den Periodischen Sicherheitsberichten, die von den Bundesministerien des Innern und der Justiz herausgeben wurden, wird das Thema „Ausländerkriminalität“ im Kontext der Migration und der dazu erlassenen Gesetze analysiert: „Insofern die Deliktbegehung stark mit dem Aufenthaltsstatus und dessen Folgen für die Integrationschancen zusammenhängt, ist Prävention vor allem durch Integration und dabei für die 2. und 3. Generation mittels Bildungsförderung zu erreichen.“

Schon hundert Jahre davor hat Franz von Liszt erkannt, dass die beste Kriminalpolitik in einer guten Sozialpolitik besteht. Was also ist, wenn die herrschende Politik das Gegenteil macht und den Sozialabbau vorantreibt? Dann wird die Kriminalisierung der Armut verstärkt.

Die SPD weigert sich trotz ihrer Niederlagen, die Agenda 2010 als Ursache ihres Niedergangs wahrzunehmen und die Medien weigern sich trotz des vor aller Augen sich ausbreitenden sozialen Elends für die Wiederherstellung der sozialen Leistungsfähigkeit des Staates zu streiten.

Was Peter Pauls und seine gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen uns einreden wollen hat Zygmunt Baumann als Law-and-Order-Wahn diagnostiziert – als ein Ersatz für den ernsthaften Versuch, sich der Herausforderung einer ständig wachsenden existentiellen Unsicherheit zu stellen.

31.10.2017

Klaus Jünschke