Arm und reich in Köln
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat in der heutigen Ausgabe entdeckt, dass „die Bekämpfung von sozialer Ungerechtigkeit überhaupt kein kommunalpolitisches Thema“ ist. Dem folgt aber keine harte Kritik an den Parteien im Rat und der Verwaltung, denn „die Entscheidungen darüber, wer wieviel Geld in den Taschen hat, fallen nicht im Rathaus, sondern vor allem auf Bundesebene.“
Die Zeitung, die einer der reichsten Familien Kölns gehört, gibt eine Überblick über die auch in Köln weiter aufgehende Schere zwischen arm und reich:
An der Spitze der Einkommenspyramide lokalisieren sie 53.000 Personen, das sind 6 % der Geld verdienenden Einwohner Kölns. Darunter wird die 30 % der Bevölkerung umfassende obere Mittelschicht ausgemacht mit 260.000 Personen, gefolgt von der 41% starken unteren Mittelschicht mit 353.00 Personen. Ganz unten finden mit 202.000 Personen 23% der Kölnerinnen und Kölner. Sie werden nicht als Unterschicht in der Logik der oberen Klassifizierungen ausgewiesen sondern so: „Armut (Gefährdung)“. Damit sind in der Tradition der Armutsforschung Frauen und Männer gemeint, deren monatliches Einkommen „weniger als 60% des Einkommensmedians von 1780 Euro“ ausmacht.
Helmut Frangenberg macht in seinem Beitrag Vorschläge zur besseren Verwaltung der Armut. So plädiert er für den Ausbau der „Sozialraumkoordination“. Kein Mensch in den elf bestehenden „Sozialraumgebieten“ spricht von seinem Veedel oder Stadtteil von „Sozialraum“. Der Begriff kommt aus der Wirtschaft, wo er für die Räume mit den Duschen und Umkleidekabinen noch immer benutzt wird. Mit der Ökonomisierung der Sozialpolitik und der Agenda 10 wurde er von professionellen Armutsverwaltern in die sozialarbeiterische Gemeinwesenarbeit eingeführt. Er steht für das Elend einer entpolitisierten Sozialarbeit, in der Helfer und Klientel unterschiedliche Sprachen sprechen, die Profis aber behaupten, sie stünden „für Kommunikation in Augenhöhe.“
Wenn es in Köln keine wirkliche Armut, sondern nur „Armut (Gefährdung)“ gibt, warum überleben dann Menschen mit ihrem Hartz-IV-Bezügen nur dank der Tafeln und der Kleiderkammern?
Seit Karl Marx könnte es zur Allgemeinbildung gehören, dass der kapitalistische Reichtum auf der Armut jener beruht, die ihn als Lohnabhängige herstellen, vermehren und verwalten. Arm sind sie, weil sie ausgeschlossen sind von den Produktionsmitteln. Das begründet überhaupt ihre Lohnabhängigkeit. In diesem Sinn sind sie objektiv absolut arm.
Stadtanzeiger und viele Armutsforscher verharmlosen die gegensätzlichen Einkommensquellen von Kapital und Lohnarbeit zu vermeintlich gleichartigen „Einkommensbeziehern“. Damit hat auch die Stadt keinen Klassencharakter und die Bekämpfung der sozialen Ungerechtigkeit kann nach Berlin ausgebürgert werden. Damit bei uns in Kölle alles bunt bleiben kann.
https://www.ksta.de/koeln/soziale-gerechtigkeit-in-koeln-die-schere-zwischen-arm-und-reich-wird-groesser-31798494
28.12.2018
Klaus Jünschke
Kapitalismus muss weg
Gerhard Schröder (SPD) in seiner Regierungserklärung am 14.3.2003: „Niemanden aber wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt – wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern – der wird mit Sanktionen rechnen müssen.“
Begeisterung bei der FDP: „Die Treffsicherheit des Sozialstaats muss größer werden… ..Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit.“ (Guido Westerwelle am 14.3.2003 im Bundestag) (Der soziale Staat S. 263)
Die durch die Agenda 2010 „neu gewonnene, rechtlich garantierte Freiheit in der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse eröffnet Unternehmern aller Art bisher ungeahnte Möglichkeiten der Ausbeutung.“
„Zehn Jahre später lautet die Bilanz der Agenda: Deutschland hat den angestrebten Konkurrenzerfolg in Europa und auf dem Weltmarkt erreicht. Deutschland ist bis 2009 und ab 2012 wieder Exportweltmeister, die führende Ökonomie der EU, die alle anderen europäischen Länder niederkonkurriert und das Land, das vergleichsweise gut durch die seit 2008 manifeste Finanzkrise kommt. Die finanziellen Schäden für die lohnabhängige Bevölkerung sind beträchtlich. Gerhard Schröder lobt sich (im Januar 2005, K.J.) beim Weltwirtschaftsforum in Davos dafür ‚den größten Niedriglohnsektor Europas‘ herbeigeführt zu haben.“ (Der soziale Staat, S.265)
Ohne wirksame Konsequenzen wird seither das Auseinandergehen der Schere zwischen arm und reich beklagt:
„Im Jahr 2013 kamen die 10 Prozent Bestverdiener auf 40 Prozent des Gesamteinkommens, die untere Hälfte der Bevölkerung dagegen nur auf 17 Prozent – das ist das gleiche Gefälle wie im Jahr 1913, wie aus einer Untersuchung von Forschern um den französischen Ökonomen Thomas Piketty hervorgeht.“
https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/afxline/topthemen/article171574131/Einkommens-Ungleichheit-in-Deutschland-so-gross-wie-1913.html
Die finanziellen Schäden für die lohnabhängige Bevölkerung sind mit den immer schlechter werdenden Wahlergebnissen inzwischen auch in der SPD angekommen. Thomas Kutschaty, der SPD-Fraktionschef in NRW. ist für eine Abkehr vom Hartz-IV-System. Angesichts von 2,6 Millionen Aufstockern fordert er eine Erhöhung der Mindestlöhne. „Dass die Steuerzahler die Einkommen von Geringverdienern aufstocken müssen, obwohl viele von ihnen Vollzeit arbeiten, ist ohnehin ein sozialpolitischer Skandal.“ (Kölner Stadt-Anzeiger, 27.12.2018, S.8)
Gegen diese Rückbesinnung in der SPD gibt es Widerstände in der eigenen Partei, von der FDP und der CDU/CSU und natürlich aus der Wirtschaft. Ohne die Überwindung dieser Widerstände kann es für die Lohnabhängigen nur schlimmer werden:
„Der Sozialstaat muss dem Deutschen Städte- und Gemeindebund zufolge tiefgreifend reformiert werden. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, in Deutschland habe sich „eine Form der Vollkaskomentalität ausgebildet, wonach der Staat alles und überall leisten kann und für jedes individuelle Problem eine Lösung bereithalten muss“. Das könne auf Dauer nicht funktionieren.“
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/staedtebund-geschaeftsfuehrer-kritisiert-vollkasko-mentalitaet-der-deutschen-a-1245372.html
Was am Anfang der Agenda 2010 zu hören war, die Denunziation von Arbeitslosen in Politik und Bild-Zeitung, findet in der Behauptung einer „Vollkaskomentalität“ eine Fortsetzung, mit der verhindert werden soll, dass die Ursachen der vielen sozialen Notlagen in der vielgelobten Marktwirtschaft öffentlich zur Sprache kommen.
Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Kaiser, Gott und auch kein sozialer Staat. (Der soziale Staat, S. 285)
27.12.2018
Klaus Jünschke
PS 1:
Renate Dillmann / Arian Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat. Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen | Politische Maßnahmen | Historische Etappen. 304 Seiten | Hardcover | 2018 | EUR 19.80 ISBN 978-3-89965-885-9
https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/der-soziale-staat/
PS. 2:
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) vertritt als kommunaler Spitzenverband in Deutschland und Europa die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung kreisangehöriger Gemeinden. Er ist föderal organisiert, parteipolitisch unabhängig und arbeitet ohne staatliche Zuschüsse. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Der Sitz des eingetragenen Vereins[1] ist in Berlin.
Hauptzweck ist die Vertretung der kommunalen Interessen gegenüber dem Bund und Europa. Er tut dies durch kontinuierliche Kontaktpflege bei Bundestag, Bundesrat, Europäischer Union und anderen Organisationen und Institutionen. Durch sein Wirken arbeitet er somit gezielt am politischen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess mit.
Als kommunale Koordinierungsstelle sorgt er für permanenten Erfahrungs- und Informationsaustausch unter den 17 Mitgliedsverbänden, als kommunales Kommunikationsnetzwerk sensibilisiert und mobilisiert er die Öffentlichkeit und die Medien für aktuelle kommunalpolitische Themen und Probleme.
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_St%C3%A4dte-und_Gemeindebund
und
https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/
PS. 3:
Der Deutsche Mieterbund warnt vor weiter steigenden Mieten im neuen Jahr. „Es gibt nach unserer Einschätzung keine Faktoren, die den Anstieg der Mieten bremsen dürften“, sagte Direktor Lukas Siebenkotten.
Was wäre, wenn in allen Häusern, in denen Mieten erhöht werden, die Mieter aufhören zu zahlen? Wieso ruft der Mieterbund dazu nicht auf?
http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/deutschland-mieten-sollen-2019-um-bis-zu-fuenf-prozent-steigen-a-1245410.html
Beispielhaft wehrlos: Ehrenfeld und Josef Wirges
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutschland-das-sind-die-szeneviertel-in-den-grossstaedten-a-1223648.html
„Flüchtlingspolitik“
Stephan Lessenich hat in der taz die Flüchtlingspolitik kommentiert.
Sein Buch „Neben uns die Sintflut“ erschien 2016. Er ist Mitautor des Buchs „Todesursache Flucht. Eine unvollständige Liste“, das die über 35.000 Toten an den Grenzen der EU dokumentiert.
Er skandalisiert, dass Menschen, die sich fragen, wie der Nationalsozialismus möglich werden konnte, dass diese Menschen nicht merken, dass es heute Menschenverachtung und eine Gleichgültigkeit wie damals gibt:
„So geht kollektives Ausblenden heute – im Grunde genommen nicht anders als damals.“
Aber seine Anklage richtet sich gegen ein „wir“, das es nicht gibt:
„Wir handeln so, als ob das alles nichts mit uns zu tun hätte: Die Toten im Mittelmeer und die Hetzjagden auf Andersaussehende, die Rückhaltelager in Nordafrika, die Arbeitsbedingungen in Südostasien, die Umweltzerstörungen in Lateinamerika. Das Elend der Welt, die Verdammten dieser Erde – not our business. So wir nicht sogar noch Geschäfte damit machen.“
Er klagt: „Was diese Gesellschaft hingegen derzeit kollektivindividuell betreibt, ist die große Gleichgültigkeit. Unsere Gesellschaft ist indifferent gegenüber all denen, die die Zeche zahlen müssen für unsere einzigartige Wohlstandsposition.“
Was ist mit solchen Aussagen über „diese Gesellschaft“ gewonnen?
Tatsächlich sind Menschen auf dem Mittelmeer unterwegs um Menschen zu retten. In den Herkunftsländern von Flüchtlingen sind Frauen und Männer aktiv um Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen. In Deutschland haben Menschen vor den Fabriken der Rüstungsindustrie protestiert und es gibt eine Vielzahl von Initiativen, die nicht nur Flüchtlingen helfen und sich nicht nur Gedanken machen, wie die Fluchtursachen made in Germany zu überwinden sind, sondern auch handeln.
Wie können wir mehr werden? Wie kann die Solidarität mit den Flüchtlingen so stark werden, dass sie zu wirklichen Lösungen führt?
Ganz aktuell, wie kann die Verteidigung der Demokratischen Förderation Nordsyrien, wie kann Rojava unterstützt werden?https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5557479&s=Lessenich/
24.12.2018
Klaus Jünschke
„Die Gesundheitsbranche in NRW wächst“
So beginnt eine kleine dpa-Meldung, die heute im Kölner Stadt-Anzeiger auf S.8 zu lesen ist.
„Mehr als eine Million Menschen arbeiten in Krankenhäusern, Praxen, im Rettungsdienst, Gesundheitsschutz oder Verwaltungen. Seit 2010 ist die Gesundheitswirtschaft laut statistischem Landesamt mit einem Anstieg von 14,4% doppelt so stark gewachsen wie die NRW Gesamtwirtschaft.“
Das war‘s. Nicht reflektiert wird, ob die Behandlung von Krankheiten ein Geschäft sein muss.
Das gerade von Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie veröffentlichte Buch “Der soziale Staat“ leistet das: Wir „leben in einer Gesellschaft, die ihre Gesundheit systematisch attackiert: erstens durch die allgemeinen Lebensbedingungen, die diese Art von Wirtschaft mit sich bringt, und zweitens durch den Verschleiß, den Beschäftigte im Arbeitsleben erfahren.“ (S.98)
„Für den Patienten hat die Tatsache, dass Gesundheit in dieser Gesellschaft ein Geschäft ist, insofern vor allem die beunruhigende Konsequenz, dass er seinen Ärzten nicht vertrauen kann – obwohl er das als Laie in den Fragen, mit denen er zu ihnen kommt, gerade muss.“ (S. 105)
„Das Massensterben der Menschen in der Dritten Welt an Krankheiten, die für ein paar Dollar mit Medikamenten westlicher Konzerne heilbar wären, kennzeichnet den eigentümlichen Charakter des ‚medizinischen Fortschritts‘ im Kapitalismus.“ (S. 106)
„Der Standpunkt medizinischer Versorgung passt mit dem des Geschäfts nicht zusammen; die vom nationalen Lohn einbehaltene Summe beschränkt den Markt, auf den sich wachsende Ansprüche richten; umgekehrt verteuert ein vergrößerter Topf für medizinische Leistungen den Lohn. Und es ist klar, welches Interesse in einer kapitalistischen Ökonomie angesichts dieser Gegensätze notwendigerweise am meisten unter die Räder kommt.“ (S.107)
„Lohnarbeit macht krank. Weil sie dem Zweck dient fremden Reichtum zu vermehren, ist sie rücksichtslos gegenüber den Bedürfnissen von Geist und Körper der Arbeitenden, dauert sie allem technischen Fortschritt zum Trotz oft bis zur Erschöpfung und Verblödung, ist sie oft gefährlich und belastend und fast immer vereinseitigend und stressig.
Der Konsum im Kapitalismus macht auch krank.
Und die Umwelt, d.h. Luft, Gewässer, Böden usw. machen zunehmende krank, weil sie als Rohstofflager der Produktion ausgebeutet und als kostengünstiges Endlager für die Rückstände der Profiterwirtschaftung genutzt und damit vergiftet werden.“ (S. 110 f.)
https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/der-soziale-staat/
19.12.2018
Klaus Jünschke
Chancengleichheit
Auf der „wir helfen“-Seite des Kölner Stadt-Anzeigers vom 1.12.2018 spricht die Soziologin Jutta Almendinger über verlorene Chancen und verschenkte Potenziale: „Darüber, dass Kinder in Verhältnisse hineingeboren werden, und sich der Staat zu sehr zurückhält, um annähernd gleiche Ausgangssituationen, also Chancengleichheit zu schaffen.“
https://www.ksta.de/region/wir-helfen/chancengleichheit–auch-die-armut-an-anregung-kann-kindern-schaden–31673072
Im vergangenen Jahr haben in Köln 451 Schülerinnen und Schüler ihre Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, das waren fast 5%. Die Folgen für den beruflichen Werdegang, für die gesellschaftliche Teilhabe, für die Gesundheit und selbst für die Lebenserwartung sind bekannt.
https://www.ksta.de/koeln/koeln-archiv/-erschreckend-hohes-niveau–451-schueler-in-koeln-verlassen-die-schule-ohne-abschluss-30609862
Jutta Almendinger schätzt, dass 15 Prozent aller Kinder bildungsarm sind und dass dieser Anteil zu reduzieren ist. „Es ist eine Katastrophe, dass wir das nicht tun. Dabei wissen wir, wie viel gezielte Zuwendung durch Pädagoginnen und Pädagogen bewirken kann. Unsere Bildungsarmut ist ein Staatsversagen.“
Ihre Vorschläge richten sich nicht darauf, wie dieser Versagerstaat erneuert werden könnte. Sie trägt altbekannte Forderungen vor:
Arme Kinder, Flüchtlinge und Migranten schon vorschulisch fördern. Die Kinder nicht nach der vierten sondern erst nach der sechsten Klasse trennen. Durchmischte Klassen erhalten – in ihnen bleiben die guten Schüler*innen gut und die weniger guten werden besser.
Ganz aus dem Blick verloren hat sie den gesellschaftlichen Verhältnisse nicht, in denen Schule und Erziehung stattfinden: „Gerade in Köln ist in den vergangenen Jahren die soziale Segregation stark angestiegen. Und der Anteil der Kinder, die in benachteiligten Quartieren wohnen, ist relativ hoch in der Stadt. Von Chancengleichheit kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Wir brauchen eine Stadtentwicklungsplanung, die das soziale Miteinander an die erste Stelle setzt.“
Wie es um das „soziale Miteinander“ steht, wurde gerade in einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Einkommensverteilung in Deutschland bekannt: Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.584719.de
Ina Henrichs, die das Interview führt, will trotzdem ernsthaft wissen, ob wir wirklich fähig sind, Chancengleichheit herzustellen, die die Auswirkungen der Geburt und der sozialen Ungleichheiten neutralisiert: „Es gibt nun vorherrschende Ungleichheiten allein durch die Einkommens- und Vermögensverteilung, die sich durch Bildungspolitik auch nicht abbauen lassen.“
Frau Almendinger ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), des größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts Europas. Ihre Antwort: „Ja, aber wir können doch daraus etwas Positives ziehen! Das hohe Vermögen könnte für den Bildungsbereich genutzt werden. Wir müssten die Steuerpolitik stärker darauf ausrichten. Wieso nicht verpflichtend Bildungspatenschaften einführen, deren Anzahl man bei der Steuererklärung angeben kann? Es gibt so viele Menschen, denen ein solcher Beitrag nicht wehtun würde.“
Ja, wieso nicht? Was meint Finanzminister Olaf Scholz?
Attac beklagt in der Presserklärung am 3.12.2018 das Aus für die Finanztransaktionssteuer als ein weiterer Beweis dafür, dass die politische Macht des Finanzsektors ungebrochen ist. „Letztlich haben sich nicht die Interessen der Mehrheit der Menschen durchgesetzt, sondern jene Regierungen, denen die Profite des Finanzsektors wichtiger sind als seine Stabilisierung und Beteiligung an den Krisenkosten“, sagt Detlev von Larcher von Attac Deutschland. „Anders als sein Vorgänger hat Bundefinanzminister Olaf Scholz dabei von vornherein jegliches Engagement für eine Finanztransaktionssteuer missen lassen.“
Seit über 100 Jahre wird Franz von Liszt zitiert: „Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik.“ Er hat nur einen Schluss aus der Tatsache gezogen, dass die Armen in den Gefängnisse nahezu unter sich sind. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In den Jugendgefängnissen haben über zwei Drittel der Gefangenen keinen Schulabschluss. Es ist prima, dass einigen von ihnen die Gelegenheit gegeben wird, Schulabschlüsse in Haft nachzuholen. Über den 2.Bildungsweg gelingt das auch einigen Jugendlichen, die die Schule Jahr für Jahr ohne Abschluss verlassen.
Die Hilfsaktion des Kölner Stadt-Anzeiger sammelt das Jahr über um die 1.5 Millionen Euro, die an Initiativen verteilt werden, die benachteiligte Kinder und Jugendlichen fördern.
Warum sind es keine 15 Millionen oder 150 Millionen? Um mit Frau Almendinger zu sprechen: „Das hohe Vermögen vieler Kölnerinnen und Kölner könnte für den Bildungsbereich genutzt werden.“
Aber warum ist überhaupt „wir helfen“ in einer der reichsten Städte der Welt nötig? Warum wird die Tafel gebraucht?
Warum erklärt die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), des größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts Europas, nicht, dass der Kampf für die Chancengleichheit Hand in Hand gehen muss mit dem Kampf für die Reduzierung der sozialen Ungleichheiten, der Ungleichheiten der Positionen und der Ressourcen. Braucht es weitere Forschungen, die zeigen, dass es weder der Schule noch dem Arbeitsmarkt gelingt, die Wirkungen der sozialen Ungleichheiten unwirksam zu machen?
Kein Zufall, dass in einer Gesellschaft, die sich weigert, ihren Klassencharakter wahrzunehmen und die Eigentumsfrage zu stellen, Bildung zum zentralen Mittel für die Lösung gesellschaftlicher Probleme gemacht wird. „Dass die soziale Herkunft die Bildungschancen entscheidend beeinflusst, wird zwar gesehen. Dem kann man aber durch Veränderungen im Bildungssystem begegnen, so der Glaube der Verantwortlichen. Was ungeachtet möglicher Fortschritte aber ignoriert wird, ist die Tatsache, dass eine zentrale Voraussetzung der Angleichung von Bildungschancen in der Angleichung der materiellen Lebensbedingungen besteht. Armut führt auch beim besten Bildungssystem zu schlechteren Abschlüssen.“ (Michael Hartmann)
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/und-schuld-bist-du?
4.12.2018
Klaus Jünschke
PS.
Morgen werden die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage vorgestellt, die der Stifterverband, die SOS-Kinderdörfer weltweit und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung in Auftrag gegeben haben. Rund die Hälfte (47 Prozent) der befragten 14- bis 21-Jährigen glauben nicht daran, dass alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben.
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/chancengleichheit-jugendliche-zweifeln-an-bildungsgerechtigkeit-a-1241668.html
Antisemitismusforscher sind ein Problem
Die Vergangenheit ist nicht vergangen
Antisemitismusforscher haben wieder mal gefragt, ob Juden zu viel Einfluss in der Gesellschaft haben: „Mehr als ein Viertel der befragten Europäer sei der Meinung, Juden hätten zu viel Einfluss auf die Geschäfts- und Finanzwelt, teilte CNN mit.“
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/antisemitismus-viele-junge-deutsche-wissen-nichts-oder-wenig-ueber-holocaust-a-1240814.html
Warum wird nicht gefragt, ob die Adligen, die Großgrundbesitzer, die Banken und Konzerne, die Hitler und die NSDAP vor 1933 unterstützt haben – und ihre Erben – zu viel Einfluss haben?
Gerade aktuell: August von Finck senior hat Hitler vor 33 unterstützt und bis 1945 von Arisierungen profitiert. Sein Sohn August von Fink junior fördert die AfD.
https://de.wikipedia.org/wiki/August_von_Finck_senior
Warum ignoriert die Antisemitismusforschung, dass es in Deutschland mit seiner Erinnerungskultur keine Aufarbeitung der Vergangenheit gegeben hat?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeichnet am 4. Dezember in Schloss Bellevue 14 Frauen und 14 Männer mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland aus. Unter dem Motto „Zukunft braucht Erinnerung“ würdigt er anlässlich des Tages des Ehrenamtes ihr herausragendes Engagement für die Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland.
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Frank-Walter-Steinmeier/2018/12/181204-Verdienstorden-Ehrenamt.html
Werden die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien davor oder danach wieder aufgenommen?
28.11.2018
Klaus Jünschke
Integration und Vielfalt in Köln
Am 12. Juni 2018 hat Sabine Wotzlaw vom Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln mitgeteilt, dass Oberbürgermeisterin Henriette Reker noch in diesem Jahr ein Amt für Integration und Vielfalt einrichten will.
https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/neues-amt-fuer-integration-und-vielfalt
Vergangene Woche hat Frau Reker das neue Amt vorgestellt. Es wird im Dezernat der Oberbürgermeisterin angesiedelt und soll im Dezember seine Arbeit aufnehmen. Die Dienststellen zu den Themen Einwanderung, Integration, Vielfalt und Inklusion sind dann unter einem Dach gebündelt. Die Leitung der 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt der bisherige Flüchtlingskoordinator Hans-Jürgen Oster.
https://www.rundschau-online.de/region/koeln/80-mitarbeiter-stadt-koeln-stellte-neues-amt-fuer-integration-und-vielfalt-vor-31601690
Ein langer Weg wurde zurückgelegt. Von dem mit zwei Stellen ausgestatteten Ausländerreferat unter Friedemann Schleicher im Sozialamt, über das personell aufgestockte interkulturelle Referat hin zum kommunalen Integrationszentrum sollen mit dem neuen Amt die Anliegen und Probleme der in Köln lebenden Menschen mit Migrationshintergrund endlich „Chefsache“ werden. Initiiert durch die jahrelange Lobbyarbeit des Runden Tisches für Integration hat der Rat der Stadt Köln schon am 14.12.2006 die Verwaltung beauftragt, ein Gesamtkonzept für die Integration von Migrantinnen und Migranten zu erstellen.
Was lange währt, wird nicht zwangsläufig gut. Wie in der Presseerklärung vom Juni und im Artikel der Kölnischen Rundschau vom 16.11.2018 über die Vorstellung des neuen Amtes das Thema Integration präsentiert wird, ist erschreckend selbstgerecht und ignorant.
Wenn es um die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus geht, lässt Köln die Welt wissen, dass die Stadt mit dem NS-Dokumentationszentrum die größte lokale Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland hat.
Wenn es um Köln und die Zuwanderer geht, hat das „Dritte Reich“ regelmäßig nicht stattgefunden: „Köln ist seit Jahrhunderten eine Einwanderungsstadt für Menschen aus vielen Ländern, die aus persönlichen, politischen, religiösen, aber auch wirtschaftlichen Gründen in die Kommune am Rhein kommen. Köln ist als bunte und tolerante Stadt in Deutschland bekannt.“ (Presseerklärung vom 12.Juni 2018) Diese Sorte Selbstdarstellung von Politik und Verwaltung wird von vielen Kulturschaffenden und Teilen der Bevölkerung mitgetragen. So hieß es vor drei Jahren in der Kölner Botschaft: „Aber an dem kulturellen und materiellen Reichtum, den uns die Zuwanderung seit mehr als 2000 Jahren in Köln beschert, erkennen wir auch, dass Integration ein lohnendes und ein realistisches Ziel ist.“ https://mobil.koeln.de/koeln/koelner-botschaft-gegen-gewalt_980882.html?page=0%2C1
Hin und wieder steht sogar im Boulevard wohin der „kulturelle und materielle Reichtum, den uns die Zuwanderung seit mehr als 2000 Jahren in Köln beschert“ gegangen ist. In einem Artikel des Kölner Express über die zunehmende Armut in NRW war am 19.02.2015 zu lesen: „Auffällig ist, dass in Köln sowohl die Armutsquote als auch die Zahl der Millionäre über dem Durchschnitt liegen.“
Frau Reker, die damals noch Sozialdezernentin der Stadt Köln war, hatte andere Prioritäten. Über den Neujahrsempfang der deutschen Bank berichtet die Kölnische Rundschau am 14.1.2016: „Die mit Beifall begrüßte Oberbürgermeisterin Henriette Reker forderte mehr Personal für Polizei und Justiz. Zudem lud sie die Anwesenden ein, mit ihr den Wirtschaftsstandort Köln zu stärken, denn dies sei die „eindrucksvollste Sozialpolitik, die es gibt“. In den nächsten Jahren dürfe es keine Erhöhung der Gewerbesteuer geben. Sie wolle Köln bei Medien, Uni und Messe auf Platz eins in Deutschland führen.“
Über Kritik an diesem Verständnis von Sozialpolitik ist in Köln nichts bekannt geworden. Die Wohlfahrtsverbände und die sozialen Initiativen, die mit den Lebenswelten der 250.000 Armen in Köln vertraut sind, halten nicht nur still. Allen Ernstes war im Stadt-Anzeiger zu lesen: „Fakten statt Vorurteile will der neue Caritas-Leitfaden „Arm in Köln“ liefern. Die Broschüre soll zu mehr Sicherheit im Umgang mit Betteln und Armut führen und Verständnis dafür wecken, dass Bettler und Obdachlose zur urbanen Gesellschaft einer Großstadt wie Köln dazugehören“. (KStA 17.10.2017)
https://www.ksta.de/koeln/koeln-archiv/armut-in-koeln-hilft-es–bettlern-auf-der-strasse-geld-zu-geben–28603894
Für die Abschaffung der Armut ist Köln nicht zuständig. Die Kämmerin Frau Klug in einem Interview mit Sarah Brasack und Helmut Frangenberg vom Stadt-Anzeiger: „Wir müssen vom Bund, der für die Sicherung gleicher Lebensgrundlagen zuständig ist, erwarten, dass er sich mehr und schneller einbringt.“ Auf die Frage „Was geschieht, wenn das nicht passiert?“ antwortet Frau Klug: „Davon gehe ich nicht aus.“
Davon gehen aber viele aus: „Eine Überwindung von Not, Armut und Unsicherheit oder gar eine »Angleichung der Lebensverhältnisse« erwartet sich – zu Recht – niemand mehr vom sozialen Staat, der in den letzten 15 Jahren große Teile seiner lohnabhängigen Bevölkerung im Interesse seiner Wirtschaft und seiner globalen Macht verarmt und verunsichert hat.“
https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Dillmann-Schiffer-Nasserie-Der-soziale-Staat.pdf
Immerhin sind kritisches Denken und die Bereitschaft zum Engagement für die Veränderung der Verhältnisse, die Armut produzieren, nicht gänzlich in Köln verschwunden. Claus-Ulrich Prölß, der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats in der November-Ausgabe der Flüchtlingspolitischen Nachrichten: „Wir können nicht erwarten, dass sich ausgegrenzte, verarmte und verängstigte Bevölkerungsgruppen „solidarisch“ gegenüber Flüchtlingen zeigen, wenn wir das Thema soziale Gerechtigkeit und die Forderung nach Gleichheit ignorieren.“
https://koelner-fluechtlingsrat.de/userfiles/pdfs/2018-11FluePolNa.pdf
Damit könnte auch in Köln angefangen werden zu fragen „Wieso gibt es »soziale Ungleichheit«, die »ausgeglichen« werden muss, wieso fehlt es an Möglichkeiten zur »Teilhabe« und was gefährdet eigentlich so systematisch den allseits beschworenen sozialen Zusammenhalt?“
https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Dillmann-Schiffer-Nasserie-Der-soziale-Staat.pdf
Hans-Jürgen Oster betonte bei der gestrigen Vorstellung, dass es das Ziel des neuen Amtes sei, „Teilnahme und Chancen aller Menschen in Köln zu verbessern“.
Eine Voraussetzung wäre, dass in Köln endlich eine Verständigung über Integration stattfindet.
Im Gespräch von Siegfried Jäger mit Manuela Bodjadzijev und Serhat Karakayali vom Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung wurde überlegt, ob der Begriff Integration überhaupt solidarisch-egalitär besetzt werden kann.
Manuela Bojadzijev & Serhat Karakayali: „Der Begriff und das Konzept der Integration sind schon lange – zumindest in der Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland – ordnungspolitisch ausgerichtet. Er taucht in der Vergangenheit dort auf, wo nach 1973 – dem Jahr, in dem der Anwerbestopp verhängt wurde – von der Entstehung von Ghettos und damit von sozialen Unruheherden und „sozialem Sprengstoff“ geredet wird. Auch diese Rede ist, ebenso wie der sich zu dieser Zeit etablierende Diskurs der Integration, als Reaktion auf die politischen und alltäglichen Organisierungsbemühungen von Migrantinnen und Migranten zu lesen. Vermutlich ließe sich zeigen, dass es hier eine bis in die Anfänge der Sozialpolitik zurückreichende Genealogie gibt, etwa den Umgang mit den berühmten „gefährlichen Klassen“. Integration impliziert unter einer solchen Perspektive eine strukturelle Asymmetrie: Integriert wird in etwas, nämlich die herrschende soziale Ordnung. Zugleich geschieht noch etwas Weiteres: Diese Ordnung wird samt ihrer Bevölkerung als existent und in gewisser Weise auch homogen gedacht und gesetzt. Sexistische Geschlechterverhältnisse, Klassenkämpfe etc. werden (…) negiert.
https://www.diss-duisburg.de/2010/12/soll-der-begriff-%E2%80%9Eintegration-kritisiert-oder-verteidigt-werden/
Das neue Amt trägt den Namen Amt für Integration und Vielfalt. Für die Auseinandersetzung mit „Vielfalt“ kann ich empfehlen:
Patricia Purtschert: Wir sind alle divers. https://www.woz.ch/-48f
Walter Benn Michaels: Wider den multikulturellen Imperativ http://rageo.twoday.net/stories/5542778/
17.11.2018
Klaus Jünschke
Nie wieder?
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben im Wald von Compiègne gemeinsam an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erinnert.
Aus Macrons Umfeld hieß es, der „Ort der Revanche“ werde durch den gemeinsamen Besuch mit Merkel zum Ort der „allerletzten Versöhnung“ zwischen beiden Ländern.
Die Kanzlerin bedankte sich später für die „symbolische Geste“ des französischen Präsidenten. Dieser Tag sei „nicht nur Mahnung, sondern auch Ansporn“.
Zum Abschluss machten Merkel und Macron einen Rundgang mit eingeladenen Schülerinnen und Schülern, Armeeangehörigen und Diplomaten. Macron erinnerte dabei an die Überzeugung der damaligen Kriegsgeneration: „Nie wieder!“
https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-11/waffenstillstand-1918-erster-weltkrieg-gedenken-angela-merkel-emmanuel-macron
Die Geschichte der deutschen Rüstungsindustrie blieb außen vor.
Das Beispiel Rheinmetall:
Bei Beginn des Ersten Weltkrieges war Rheinmetall einer der größten Rüstungshersteller im Deutschen Kaiserreich und beschäftigte fast 8000 Mitarbeiter. Bis zum Ende des Krieges vergrößerte sich die Belegschaft auf knapp 48 000 Arbeiter und Angestellte, darunter etwa 9000 Frauen. Die bebauten Flächen im Stammwerk vervierfachten sich in dieser Zeit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinmetall
Auf der aktuellen Homepage von Rheinmetall wird beklagt, wie die NS-Bürokratie die Firma „ausgebremst“ hat: „Im Jahr 1943 war die Deutsche Wehrmacht an allen Fronten im Westen und im Osten in schwere Kämpfe verwickelt. Zahllose Mitarbeiter der Rheinmetall-Borsig AG waren zum Fronteinsatz eingezogen, viele von ihnen bereits gefallen. An ihrer Stelle verrichteten Frauen und Zwangsarbeiter ihre Arbeiten in der Rüstungsproduktion. Was bei allem Mangel und Notstand jedoch noch ausgezeichnet zu funktionieren schien, war die Bürokratie. Selbst die für den immer noch erhofften „Endsieg“ notwendige Waffenfertigung wurde durch sie immer wieder ausgebremst. Das betraf sowohl die Beschaffung von Arbeitskräften – selbst die von Zwangsarbeitern –, als auch die Verlegung von Betrieben.
https://www.rheinmetall.com/…/12…/jahre_1936_bis_1/index.php
Damit die Bürokratie der Bundesrepublik nicht in Verlegenheit kommt Rheinmetall „ausbremsen“ zu müssen, baut Rheinmetall im Ausland Fabriken für Munition und Panzer:
Die deutschen Rüstungsexportregeln zählen zu den strengsten der Welt. Doch der größte deutsche Rüstungskonzern will sich von diesen Regeln unabhängig machen. Über Umwege exportiert die Rheinmetall AG Bomben und komplette Munitionsfabriken in Länder wie Ägypten oder Saudi-Arabien. Und die Politik lässt dies ungehindert zu.
http://www.3sat.de/page/?source=/ard/198512/index.html
11.11.2018
Klaus Jünschke
Grüner Holzweg
Kretschmann will „Männerhorden in die Pampa“ schicken
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/winfried-kretschmann-will-maennerhorden-in-die-pampa-schicken-a-1237739.html
Vor sechs Jahren fand in Stuttgart eine Fachtagung zum Thema „Männer als Täter und als Opfer –zwischen Verletzungsmacht und Verletzungsoffenheit“ statt. Sie steht inzwischen für viele Forschungen und Erklärungen zur Kriminalisierung von jungen Männern, die allesamt Ergebnisse haben, die schwarz-weiß-Zeichnungen – die Trennung in gut und böse – ausschließen.
http://www.uni-bielefeld.de/soz/personen/lengersdorf/pdf/AIM_Tagungsbericht_2012_pfuetsch.pdf
SPD, Grüne und Die Linke sind bei jeder Demo gegen die AfD dabei, aber sie wollen nicht kapieren, dass »Law and Order« genauso ein Kernelement des Neofaschismus ist wie Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Militarismus. Ein Ergebnis dieser Ignoranz: Zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler der genannten Parteien sind für die Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern. Dass Kriminalität eine Zuschreibung ist, wissen sie nicht, für sie ist Kriminalität eine Ausländereigenschaft. Die Parteien gehen da nicht dran, weil sie Schiss haben, ihre desorientierte Wählerschaft bestraft sie bei den nächsten Wahlen. Oder sie machen selbst einen »Law and Order«-Wahlkampf, wie Gerhard Schröder, SPD, 1998 oder jetzt in diesem Wahljahr, wo alle sich mit Forderungen nach mehr Abschiebungen übertrumpfen.
„Kriminalität als Zuschreibung“ erklärt uns der Etikettierungsansatz
https://de.wikipedia.org/wiki/Etikettierungsansatz
Da der Ruf nach immer mehr Härte soziale Konflikte in Probleme der Überwachung und Kontrolle transformiert statt sie sozial zu lösen, wird aus dem Sozialstaat ein law-and-order-Staat. Als könnte die Polizei Armut abschaffen oder die Gewalt in der Familie gegen Kinder und Frauen.
Vor 10 Jahren hat Joachim Kersten in der taz erklärt, warum härtere Strafen Jugendliche nicht abschrecken. http://www.taz.de/!5189000/
Wie eng die soziale Frage mit patriarchaler Herrschaft verbunden ist, zeigt die Zusammensetzung ganz oben und ganz unten in der Gesellschaft: in den Aufsichtsräten und Vorständen der Banken und Konzerne und in den Gefängnissen sind Männer nahezu unter sich. Eine gesellschaftlich relevante Diskussion dieses Zusammenhangs steht aus.
10.11.2018
Klaus Jünschke
„Messias Friedrich Merz“
In der Geschichte der Verlagsgesellschaft und Großdruckerei M. DuMont Schauberg wurde früh Linientreue zu Hitler und seiner Partei gezeigt:
Der Verlag schwenkte bereits Wochen vor der Machtergreifung – und damit deutlich früher als andere – auf nationalsozialistische Linie ein. Die Kölnische Illustrierte Zeitung druckte in der Neujahrsausgabe vom 1. Januar 1933 einen euphorischen Artikel über die faschistische Jugenderziehung in Italien,[3] die Kölnische Zeitung titelte am gleichen Tag: „Auf Hitler kommt es an!“ und prognostizierte: „Das Jahr 1933 stellt Hitler vor die Entscheidung, ob er als vergötterter Führer und vielleicht auch als Märtyrer einer Glaubensgemeinschaft vor den Toren der Politik stehen bleiben will, oder ob er die Verantwortung zu tragen bereit ist, die positiven Kräfte seiner Bewegung in die Waagschale der praktischen Politik zu werfen. Im Interesse einer nationalen Festigung möchte man hoffen, daß Hitler den zweiten Weg findet.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Neven_DuMont#Fr%C3%BChe_Linientreue
Angesichts dieser historischen Erfahrung wäre heute eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf das Erscheinen neuer Führungsgrößen in Deutschland zu erwarten. Das Gegenteil ist der Fall. Friedrich Merz wird als „Messias-Gestalt“ angepriesen:
https://www.ksta.de/politik/rnd/kommentar-zu-friedrich-merz-die-spaete-revanche-eines-messias-31518184
31.10.2018
Klaus Jünschke
Ebertplatz- soll der dumme Kleinkrieg zwischen Polizei und Drogengebrauchern und ihren Dealern andauern?
Im Stadt-Anzeiger sorgt man sich um den Ebertplatz – aber nicht um die durch die reaktionäre Drogenpolitik kriminalisierten Menschen, die Drogengebraucher und ihre Dealer. Die kommen nur als „Kriminalität“ vor.
Die Künstler*innen und die Bürger*innen, die mit verschiedensten Aktivitäten dazu beigetragen haben, den Platz zu beleben, müssen sich fragen lassen, ob es sein kann, dass es nur „weiter so“ gehen soll oder ob es neben Kunstaktionen und Blumenrabatten, auch etwas Besseres gibt, als die Dealer und ihre Kunden nur zu vertreiben.
https://www.ksta.de/koeln/koelner-sorgenkind-was-passiert–wenn-der-brunnen-am-ebertplatz-abgeschaltet-wird–31518490
31.10.2018
Klaus Jünschke
PS
Hierzu nochmal mein vor einem Jahr veröffentlichter Beitrag.
20 vertane Jahre in der Drogenhilfe
Wer ist hier verantwortlich: In den fünf Städten Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln und München wurden in den Jahren 1997 bis 2016 über 7.266 Drogentote gezählt, davon 917 in Köln.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4976/umfrage/drogentote-entwicklung-in-deutschen-grossstaedten/
1997 forderten Polizeipräsidenten Heroin vom Staat.
Am 27.01.1997 berichtete der Spiegel in seiner Titelgeschichte, dass viele Polizeipräsidenten für die Abgabe von Heroin an die Süchtigen sind, auch Kölns damaliger Polizeipräsident Roters zählte zu den Befürwortern.
„Junkie-Jogging zu betreiben belastet viele Polizisten. „Die Gruppe der Schwerstabhängigen, teilweise psychisch labil, HIVinfiziert, von einer Ecke zur anderen zu vertreiben, ohne Lösungsmöglichkeiten, weil sie weder für Methadon-Programme noch für Langzeittherapien zu gewinnen sind, führt zu großen Gewissenskonflikten bei unseren Kollegen auf der Straße“, sagt der Kölner Polizeipräsident Roters.“
„Nachdem der Gießener Kriminologieprofessor Arthur Kreuzer hundert Junkies befragen ließ, rechnete er hoch, daß 45 Prozent der Autoaufbrüche, 37 Prozent der Wohnungseinbrüche und 20 Prozent der Raubüberfälle auf das Konto von Süchtigen gehen. In den Städten ergab sich die Faustregel, daß den Drogen ein Drittel der Eigentumskriminalität zuzurechnen ist.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8651170.html
Auch Jörn Foegen, der damalige Leiter der JVA Köln, sprach sich 1997 für die Abgabe von Heroin aus: „Entscheidend ist, daß wir sagen, ein Drogenabhängiger ist krank. Dann frag ich mich, was soll der denn bei mir? Bin ich leitender Arzt oder bin ich Knastdirektor? Wenn die krank sind, dann muß ich ihnen das Medikament geben. Das ist im Moment die Droge. Ein Schweizer Versuch hat ja sogar gezeigt, daß es besser ist, gleich anständiges Heroin zu geben anstatt Methadon. Gäbe es das notwendige Suchtmittel unter ärztlicher Begleitung in anderer Form, dann hätten wir beides, den vernünftigen Umgang mit der Droge und das Infektionsproblem gelöst.“ https://www.gruenekoeln.de/pages/rr/105/rr10507.htm
Von 2002 bis 2008 kam es in Deutschland in sieben Städten zu einem Modellprojekt. Auch in Köln wurden an die 50 Abhängige mit Heroin behandelt: „Im Rahmen des bundesdeutschen Modellprojekts zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger erhalten Drogenabhängige, bei denen bisherige Drogentherapien nicht erfolgreich waren oder bei denen die Methadonsubstitution nicht befriedigend verläuft, versuchsweise injizierbares Heroin als Medikament; eine Kontrollgruppe bekommt parallel die Ersatzdroge Methadon. Beide Gruppen werden regelmäßig medizinisch betreut und erhalten eine psychosoziale Begleittherapie.“
„Der Gesundheitszustand der Patienten hat sich unter der Diamorphinbehandlung außerordentlich verbessert.“
Am 28.05.2009 wird Diamorphin als Medikament zugelassen.
„Mit breiter Mehrheit hat der Deutsche Bundestag heute ein Gesetz beschlossen, das die rechtlichen Voraussetzungen für die Überführung der diamorphingestützten Behandlung in die Regelversorgung schafft. Das Gesetz regelt u.a., dass Diamorphin (pharmazeutisch hergestelltes Heroin) – unter engen Voraussetzungen – als Betäubungsmittel im Rahmen der Substitutionsbehandlung von Schwerstopiatabhängigen verschreibungsfähig wird.“
http://www.heroinstudie.de/
Heroin im Knast
Seit 2011 sieht eine Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums Baden-Württemberg vor, dass geeignete Gefangene an einer „Diamorphin-Substitution“ teilnehmen können sollen. Bis dato umgesetzt wurde die Vorschrift nicht.
http://annefreiburg.blogsport.de/2013/11/08/heroin-im-knast/
2017: Köln hat nicht einmal genug Drogenkonsumräume
Bettina Janacek am 20.05.2017 im Stadt-Anzeiger in ihrem Kommentar zur Diskussion um den geplanten Drogenkonsumraum: „Ein kurzer Blick ins Land macht deutlich: Köln ist, was die Versorgung mit Drogenkonsumräumen angeht, Schlusslicht. Düsseldorf hat zehn, Wuppertal elf und Dortmund gar 18 – alles Städte mit niedrigerer Bevölkerungszahl.“
Wieso stellt sich überhaupt 10 Jahre nach dem erfolgreichen Heroinprojekt in Köln immer noch die Frage nach Drogenkonsumräumen?
Wer ist dafür verantwortlich, dass der dumme Kleinkrieg zwischen Polizei und Süchtigen andauert?
Portugal – eine andere Antwort
João Goulão, Leiter des portugiesischen Instituts für Drogen und Drogenabhängigkeit, hat Anfang des Jahrtausends in seinem Land die Entkriminalisierung des Drogenkonsums erstritten. Was passiert, wenn in einem Land alle Drogen legalisiert werden, kann seit 17 Jahren in Portugal studiert werden.
http://derstandard.at/2000042539163/Was-passiert-wenn-ein-Land-alle-Drogen-legalisiert
28.11.2017
Klaus Jünschke
„Ehrenamtliche – Ihr seid umzingelt“
„Sozialpolitik in Deutschland ist ein Armutszeugnis über die materielle Lebenslage der Lohnabhängigen“ (Arian Schiffer-Nasserie)
Mit dem Abbau des Sozialstaats, der Verarmung von Millionen durch Hartz IV und der Schaffung eines „der besten Niedriglohnsektoren, den es in Europa gibt“ (Gerhard Schröder), wurde der Ruf nach mehr Bürgerengagement immer lauter. Die Regierenden in Bund, Länder und Gemeinden sowie die profitierenden Unternehmen und viele ihrer Stiftungen haben erfolgreich öffentliche Aufgaben auf die Schultern von Freiwilligen verlagert – kostengünstig .
Und fast alle machen mit:
über 500 Freiwilligenagenturen
und Engagement-Botschafter rühren die Werbetrommel für
Ehrenamtstage
über 680 Ehrenamtspreise
Ehrenamtsnadeln
Ehrenamtskarten
die Woche des bürgerschaftlichen Engagements
der Tag des Ehrenamts
nationale Jahre der Freiwilligenarbeit
internationale Jahre der Freiwilligenarbeit
und als Höhepunkt den Deutschen Engagementpreis verliehen am Deutschen Engagement-Tag
http://shop.papyrossa.de/Pinl-Claudia-Ein-Cappuccino-fuer-die-Armen
Die Alternative: 7.200 Euro für alle
Der Präsident des Deutschen Fußballbundes Reinhard Grindel, der laut DFB-Satzung ein Ehrenamt bekleidet, erhält eine monatliche Aufwandsentschädigung von 7.200 Euro .
Aus: Claudia Pinl: Ein Cappuccino für die Armen. Kritik der Spende- und Ehrenamtsökonomie. 2018 Köln, PapyRossa-Verlag.
http://shop.papyrossa.de/Pinl-Claudia-Ein-Cappuccino-fuer-die-Armen
Grindel (CDU) war von 2002 bis 2016 Mitglied des Deutschen Bundestages. 2013 hielt Grindel in der Diskussion des Bundestags zum Optionsmodell eine Rede, in der er ausführte: „Wer Ja zu Deutschland sagt, wer gerne bei uns leben will, von dem kann ich auch die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft unter Ablegung seiner alten Staatsbürgerschaft erwarten“. Özcan Mutlu beschwerte sich mit Ekin Deligöz und 37 weiteren Unterzeichnern im Juli 2013 in einem Offenen Brief beim DFB[8][9] und fasste 2018 zusammen: „Was Grindel da von sich gab, war nicht nur tendenziös. Es war reinster AfD-Sprech, bevor es diese Partei überhaupt gab.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Grindel
28.10.2018
Klaus Jünschke
Erinnerungskultur ohne Aufarbeitung der Vergangenheit
Der Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald vom 19. April 1945 endete mit den Worten:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach: WIR SCHWÖREN!“ Buchenwald/Weimar 19.April 1945
https://dasjahr1945.de/der-schwur-von-buchenwald/
Im Potsdamer Abkommen, das vom 17. Juli – 2. August 1945 beraten wurde, sind Grundsätze zur Behandlung Deutschlands festgelegt worden und es wurden Kriterien für eine antifaschistische und friedliche Perspektive formuliert, wie z.B. Forderungen nach Auflösung hegemonialer Wirtschaftsstrukturen, Forderungen nach wirklicher demokratischer Partizipation, Entmilitarisierung u.a.
Der antifaschistisch-demokratische Neubeginn sollte sich an den „großen D’s“ orientieren: Demokratisierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung.
https://dasjahr1945.de/das-potsdamer-abkommen/
Dazu ist es nicht gekommen.
Im Juni 1947 legte eine Sonderkommission der amerikanischen Militärverwaltung (OMGUS — Office of Military Government for Germany – U.S.) einen Untersuchungsbericht über die Deutsche Bank vor.
Die OMGUS-Untersuchungsgruppe, das „Deutsche Bank Team“, war dem Finanzministerium unter Henry Morgenthau angegliedert und bestand aus jüdischen deutschen Emigranten, amerikanischen Finanzwissenschaftlern und Historikern. Dieser Gruppe war es nach der faschistischen Niederlage 1945 einige Monate lang möglich, relativ frei in Deutschland zu forschen, während die Nürnberger Prozesse vorbereitet wurden. Ihr oberster Dienstherr, der amerikanische Finanzminister Morgenthau, verfolgte ein Konzept, Deutschland zu entmilitarisieren, die Montanindustrieanlagen zu demontieren und die großen Banken und Industriekonzerne zu entflechten.
Der OMGUS-Bericht verschwand dann 1947 in der Versenkung, nachdem in den USA die Truman-Administration Roosevelt abgelöst hatte und Deutschlands wirtschaftlicher Wiederaufbau einen wichtigen Faktor im beginnenden Kalten Krieg ausmachte.
Der Bericht des „Deutsche Bank Teams“ wies nach, daß die Führer dieses Bankgiganten die engsten politischen Beziehungen zum Machtzentrum des „Dritten Reiches“ hatten, und daß führende Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bank wie Emil G. von Stauß, Philipp Reemtsma, Carl Friedrich von Siemens oder Albert Pietsch Hitler bereits lange vor dessen Machtantritt finanziert hatten. Der Bericht legte die Mechanismen bloß, durch welche die Bank das Finanzgeflecht des Reichsgebiets kontrollierte und ihre Kontrolle auch über die Industrie ausübte. Er zeigte, welche Rolle sie bei der Wiederaufrüstung und Kriegsvorbereitung gespielt hatte und wie sie die „Arisierung der Wirtschaft“ vorantrieb, von der sie selbst massiv profitierte. Er wies nach, wie sich ihr Auslandsgeschäft entwickelte und wie eng ihre weltweiten Operationen mit den Annexionsprogrammen des „Dritten Reiches“ koordiniert waren.
Ein besonderes Kapitel befaßte sich mit der Ausbeutung der Zwangsarbeiter, KZ-Insassen und Kriegsgefangenen durch die Aktiengesellschaften, welche die Deutsche Bank kontrollierte, darunter die Mannesmann-Röhrenwerke, die Bayrischen Motoren-Werke, Daimler-Benz oder Siemens.
Die Quintessenz wird in folgenden Empfehlungen zusammengefaßt, die jedoch nach 1947 niemanden mehr interessierten:
„Es wird empfohlen, daß:
1. die Deutsche Bank liquidiert wird,
2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,
3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden.“ (O.M.G.U.S. Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, Nördlingen, 1985)
https://www.wsws.org/de/articles/1999/02/fond-f23.html
Im Schluss seines Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ sagte Adorno 1959: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt werden. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“
Statt der Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, statt der Auflösung hegemonialer Wirtschaftsstrukturen, statt Entmilitarisierung, statt wirklicher demokratischer Partizipation gibt es eine Erinnerungskultur ohne Auseinandersetzung mit den Ursachen der eigenen Verbrechen.
Aktuell zum Thema Erinnerungskultur ein Interview mit Jan und Aleida Assmann, die am 14. Oktober 2018 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben:
Jan Assmann: Aleida gehört zu den Gründungsfiguren der deutschen Erinnerungskultur – das Wort hat sie erfunden. Ich habe mit meinen Forschungen zum kulturellen Gedächtnis in der Antike für die historische Tiefenzeit und die religiöse Dimension gesorgt. Wir werden auch die Friedenspreisrede als Paar halten.
Frau Assmann, was verstehen Sie unter Erinnerungskultur?
AA: Angefangen haben wir mit dem kulturellen Gedächtnis. Ich habe nach und nach gewisse Differenzierungen eingearbeitet. Das politische oder nationale Gedächtnis zum Beispiel ist an einen Staat gekoppelt, der Rahmenbedingungen des Erinnerns vorgibt. Davon habe ich das soziale Gedächtnis der Gesellschaft abgesetzt, das auf Medien und Kommunikation beruht. Hinzu kommen das Familien- und das persönliche Gedächtnis. Diese Arbeit beschäftigte mich, als sich in Deutschland mit einem Generationswechsel vieles veränderte. Der Historikerstreit 1986 spielte dabei auch eine ganz wichtige Rolle, zusammen mit der Rückkehr der Holocaust-Erinnerungen. Damals endeten vier Jahrzehnte eines ‚kommunikativen Beschweigens’ der NS-Zeit. Die Erinnerungskultur entstand mit dieser Rückkehr der Erinnerung. Getragen wurde sie zunächst von unten von zivilgesellschaftlichen Initiativen und künstlerischen Projekten, bevor sie bei der Entscheidung für das Berliner Holocaust-Denkmal bei Kanzler Helmut Kohl oben ankam und vom Bundestag aufgegriffen wurde. Neu daran war, dass eine Nation nicht allein mit dem Blick des Stolzes und der Ehre auf ihre Geschichte blickte, sondern auch die eigenen Verbrechen ins nationale Gedächtnis aufnahm.
https://www.rnz.de/panorama/magazin_artikel,-heidelberger-professorenpaar-den-buchpreis-kannten-sie-bisher-nur-aus-dem-fernsehen-_arid,390940.html
8.10.2018
Klaus Jünschke
Schleim liegt über dem Land
Nach dem Sitzstreik von Heinrich Böll in Mutlangen sollte von den „Kulturschaffenden“ erwartet werden, dass dieses Engagement als Maßstab wahrgenommen wird.
Statt dessen dieser Schleim:
290 Kulturschaffende zeigen sich entsetzt darüber, „dass der Bundesinnenminister fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiere und dem internationalen Ansehen des Landes schadet.“
Zur Arbeitsfähigkeit der Regierung gehören die von Jahr zu Jahr steigenden Rüstungsexporte, der eskalierende Ausbau der Festung Europa, die andauernde Ausplünderung der afrikanischen Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen.
Alle haben die Bücher von Jean Ziegler im Regal und wissen, dass jeder verhungernde Mensch ein ermordeter Mensch ist. Aber die deutschen Eliten waschen sich ihre schmutzigen Hände in Unschuld und haben eine Riege Kulturschaffender an ihrer Seite, die PR für das internationale Ansehen macht statt wenigstens einmal einen Rüstungskonzern zu blockieren.
https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-ruecktrittsforderung-101.html
22.09.2018
Klaus Jünschke
Köln ist überdurchschnittlich
Im Express war das mal so zu lesen: „ Auffällig ist, dass in Köln sowohl die Armutsquote als auch die Zahl der Millionäre über dem Durchschnitt liegen.“
In Köln leben 402 Einkommensmillionäre und über 250.000 Kölnerinnen sind arm. (Ja, wegen der überdurchschnittlich hohen Lebenshaltungskosten sind in Köln nicht 20% sondern 25% aller Kölnerinnen arm).
Im Aufruf „Gemeinsam zeigt Köln Haltung“ heißt es davon unberührt: „Wir fordern die gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation geflüchteter Menschen. Ihr Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheit und menschenwürdigem Wohnen muss sichergestellt sein.“
Zugang Bildung
In Köln fehlen Lehrer und Klassenzimmer. „Mehr als 11 100 Schüler haben im vergangenen Sommer (in NRW) die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Wie das Statistische Landesamt am Mittwoch mitteilte, entspricht das 5,7 Prozent der gut 197 000 Schulabsolventen. Die Zahl hat sich leicht erhöht: Im Vorjahr waren es gut 10 800. Die Schüler stehen damit vor einer ungewissen Zukunft und einem erhöhten Risiko, arbeitslos zu werden.
Zugang Arbeit
Die Agentur für Arbeit hat im August 2018 in Köln 46.401 Arbeitslose gezählt.
Unterbeschäftigt, weil sie Teilnehmer an einer Maßnahme der Arbeitsförderung oder kurzfristig erkrankt sind, waren im gleichen Zeitraum zusätzlich 60.840 Menschen.
Gerhard Schröder: „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“
Zugang Gesundheit
Köln ist an 4.Stelle der Städte mit den meisten Drogentoten. In den vergangen 20 Jahren waren es 967. Im vergangen Jahr waren es in Deutschland 1.272.
Drei Millionen Kinder wachsen in Deutschland in Familien mit Suchtproblemen auf.
http://www.trend.infopartisan.net/trd0116/Schiffer-Nasserie_8_Thesen.pdf
Zugang Wohnungsmarkt
Mit ca. 460 Euro Monatsmiete zahlen Studenten in Köln für ein WG-Zimmer mehr als im Bundesdurchschnitt. Wenn sie ein Zimmer kriegen. In Köln hat etwa die Hälfte der Menschen ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein, der den Bezug einer geförderten Wohnung erlaubt. Allerdings gibt es nur rund 38.000 solcher Sozialwohnungen. Zum Vergleich: 1990 waren es noch rund 100.000. Die Zahl der Obdachlosen wird auf 3.000 bis 5.000 geschätzt.
Was mit der Forderung nach „gleichberechtigter Teilhabe und Partizipation geflüchteter Menschen“ ganz ignoriert wird, ist dass es Frauen und Männer sind, die flüchten und in einer Gesellschaft ankommen, die patriarchal strukturiert ist. In den Aufsichtsräten der Banken und Konzerne sind Frauen mit 5% vertreten. Ganz unten, in den Gefängnissen, sind gleichfalls die Männer mit 95% nahezu unter sich. Folge einer bisher ausgebliebenen gesellschaftlich relevanten Auseinandersetzung mit dieser hegemonialen Männlichkeit, für die diese Daten beispielhaft stehen, ist nicht zuletzt dieser Dauerbrenner „gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation.“. Nicht einmal genügend Schutz gibt es für die Opfer dieser Gewaltverhältnisse. Der Verein Frauen helfen Frauen teilte diesen Januar mit: „Ein drittes Frauenhaus konnten wir bisher politisch nicht durchsetzen.“
Die Pogrome von Hoyerswerda zwischen dem 17. und 23. September 1991 und in Rostock-Lichtenhagen zwischen dem 22. und 26. August 1992 und die Mord-Anschläge in Mölln am 23. November 1992 und Solingen am 29. Mai 1993 führten in Deutschland zu den größten Kundgebungen gegen Rassismus mit mehreren Millionen Teilnehmerinnen. Am 9. November 1992 versammelten sich über 100.000 Menschen auf dem Chlodwigplatz in Köln. Am 6.Dezember 1992 beteiligten über 400.000 Menschen an einer Lichterkette in München.
Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag die Neuregelung des Asylrechts. Durch die Änderung des Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes (mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 umbenannt in Asylgesetz) wurden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Die von Politikern zur Besänftigung der Proteste versprochene Bekämpfung der Fluchtursachen fand nicht statt. Deutschland beteiligt sich wieder an Kriegen, die Rüstungsexporte stiegen auf nie dagewesene Höhen und die Plünderung Afrikas ging weiter.
Aber von Fluchtursachen ist im Aufruf „Gemeinsam zeigt Köln Haltung“ nicht die Rede. Dafür ist zu lesen: „Die EU und Deutschland haben sich von der Geltung des Flüchtlingsschutzes verabschiedet.“ Wie können sich die EU und Deutschland vom Flüchtlingsschutz verabschieden, wenn sie mit ihrer Wirtschafts- und Militärpolitik ständig Fluchtursachen produzieren? Arian Schiffer-Nasserie: „Deutschland ist zentral an der Verursachung der Fluchtgründe beteiligt. Darüber muss man reden, wenn einem wirklich etwas an der Abschaffung des Flüchtlingselends gelegen ist… …Wenn man sich nicht mehr mit den Ursachen der Notlagen in Deutschland und der Welt befassen will, dann ist Hilfe gar kein erster Schritt zur Überwindung der Probleme, sondern nur die Betreuung des Leids… …Die Ursache liegt in einer Weltordnung, die darauf ausgelegt ist, dass die erfolgreichen kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas den Nutzen aus der Welt ziehen und die Armutsresultate, die sie dabei überall produzieren, und das Elend, das dabei notwendig zustande kommt, bei sich nicht haben wollen.“
Wer nicht will, dass sich arme Zuwanderinnen und arme Einheimische bei uns als Feinde gegenüberstehen, muss sich für die Überwindung der Armut engagieren. Politkitsch wie „Liebe ist stärker als Hass“, „gemeinsam sind wir Köln“ oder „wir sind 1“ versöhnt mit dem was ist.
10.9.2018 Klaus Jünschke
1968
Fast immer wird nach den Errungenschaften von 1968 gefragt und es werden solche Antworten präsentiert, wie z.B. von Claus Leggewie: „Die 68er haben die Frauenbewegung, eine weniger autoritäre Pädagogik, ein neues Verhältnis der Generationen und der Geschlechter sowie viele Lockerungen im öffentlichen Leben, im Effekt auch viele Gesetzesliberalisierungen befördert.“http://www.giessener-anzeiger.de/lokales/stadt-giessen/nachrichten-giessen/themenwoche-50-jahre-1968-claus-leggewie-sieht-errungenschaften-von-1968-bedroht_18662109.htm
Aber für Rudi Dutschke bezweckte die antiautoritäre Protestbewegung nicht diese Lockerungsübungen. Er hatte einen Begriff von Emanzipation in dieser Tradition: Adorno in der 1944 verfassten Minima Moralia: „Auf die Frage nach dem Ziel der emanzipierten Gesellschaft erhält man Antworten wie die Erfüllung der menschlichen Möglichkeiten oder den Reichtum des Lebens. So illegitim die unvermeidliche Frage, so unvermeidlich das Abstoßende, Auftrumpfende der Antwort, welche die Erinnerung an das sozialdemokratische Persönlichkeitsideal vollbärtiger Naturalisten der neunziger Jahre aufruft, die sich ausleben wollten. Zart wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll.“
Nicht zufällig begann die Protestbewegung die zu 68 wurde im Dezember 1964 mit einer Demonstration gegen den kongolesischen Ministerpräsidenten Moise Tschombé. Rudi Dutschke hat darüber geschrieben:
http://www.glasnost.de/hist/apo/DutschkeTschombe.html
Rudi Dutschke hat aufgenommen, was aus der Dritten Welt kam. Frantz Fanon
in seinem 1961 erschienen antikolonialen Manifest „Die Verdammten dieser Erde“:
„Für die Dritte Welt geht es darum, eine Geschichte des Menschen zu beginnen, die den von Europa einst vertretenen großartigen Lehren, aber zugleich auch den Verbrechen Europas Rechnung trägt, von denen das verabscheuungswürdigste gewesen sein wird: beim Menschen die pathologische Zerstückelung seiner Funktionen und die Zerstörung seiner Einheit; beim Kollektiv der Bruch, die Spaltungen; und schließlich auf der unermesslichen Ebene der Menschheit der Rassenhass, die Versklavung, die Ausbeutung und vor allem der unblutige Völkermord, nämlich das Beiseiteschieben von anderthalb Milliarden Menschen.“
Rudi Dutschke am 3.12.1967 im Interview im Südwest-Fernsehen:
„Wir sind nicht hoffnungslose Idioten der Geschichte, die unfähig sind, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Das haben wir uns jahrhundertelang eingeredet.
Viele geschichtliche Zeichen deuten darauf hin, dass die Geschichte einfach nicht ein ewiger Kreisel ist und nur immer das Negative triumphieren muss. Warum sollen wir vor dieser geschichtlichen Möglichkeit Halt machen und sagen: »Steigen wir aus, wir schaffen es doch nicht, irgendwann geht es mit dieser Welt zu Ende.«
Ganz im Gegenteil, wir können eine Welt gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat, eine Welt, die sich auszeichnet, keinen Krieg mehr zu kennen, keinen Hunger mehr zu haben, und zwar in der ganzen Welt. Das ist unsere geschichtliche Möglichkeit, und da aussteigen? Ich bin kein Berufspolitiker, aber wir sind Menschen, die nicht wollen, dass die Welt diesen Weg geht und darum werden wir kämpfen und haben wir angefangen zu kämpfen.“
Was in den meisten bisher erschienen Texten zu „50 Jahre 68“ fehlt, ist die Auseinandersetzung mit den Folgen der Niederlage der Protestbewegung.
Wie viele Menschen sind seit 1968 in Kriegen umgekommen?
Wie viele Menschen sind seit 1968 verhungert und an leicht heilbaren Krankheiten gestorben?
Es ist schwerer die Zahl der Toten seit 1968 zu ermitteln, als die Zahlen der von Jahr zu Jahr wachsenden Gewinne der internationalen Konzerne:
„Die Beträge, die in solche Standorte geflossen sind, stiegen von 11 Milliarden US-Dollar im Jahr 1968 über 385 Milliarden US-Dollar 1978 und 6 Billionen US-Dollar 1998 auf 21 Billionen US-Dollar im Jahr 2010. Nach konservativen Schätzungen hat die Verlagerung von Geldvermögen von 1968 bis heute somit um das 2.000fache zugenommen. Nahezu alle großen Konzerne verfügen über Offshore-Zweigunternehmen, mehr als die Hälfte des Welthandels fließt durch diese Steueroasen, fast alle hochvermögenden Privatpersonen besitzen Offshore-Konten, die ihnen steuerliche „Gestaltungsmöglichkeiten“ eröffnen.“
(John Urry: Grenzenloser Profit – Wirtschaft in der Grauzone, Berlin 2015)
14.04.2018
Klaus Jünschke
Rassismus und soziale Ungleicheit
Vor einem halben Jahr hat der ehemalige Chefredakteur des Stadt-Anzeigers den Ebert-Platz zur no-go-area erklärt – mit bundesweitem Echo. Meine Kritik vom 31.10.2017 an diesem law-and-order-Stück endete so: „Was Peter Pauls und seine gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen uns einreden wollen hat Zygmunt Baumann als Law-and-Order-Wahn diagnostiziert – als ein Ersatz für den ernsthaften Versuch, sich der Herausforderung einer ständig wachsenden existentiellen Unsicherheit zu stellen.“
Seither hat es immer wieder Aktionen auf dem Platz gegeben, mit denen die Veranstalter behaupten, sie wollen den Platz den Kölnern zurückgeben. Vor zwei Tagen war es wieder mal so weit. Im Stadt-Anzeiger wurde heute darüber berichtet:
„Anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus veranstaltete das Bündnis ‚Kölner Forum gegen Rassismus und Diskriminierung‘ ein Bühnenprogramm. Ihr erklärtes Ziel: Den Ebertplatz für das Stadtleben zurückerobern.“ Und allen Ernstes fragt die Autorin Anna Hörter: „Doch kann eine Aktion das Image des Platzes umkrempeln?“ Statt die Kölner Medien für ihre law-and-order-Berichterstattung zu kritisieren, wird brav geantwortet: „‘Uns ist bewusst, dass die Aktion symbolhaft ist‘, sagte Hans-Peter Killguss vom NS-Dokumentationszentrum. Die Veranstalter wollten andere Perspektiven für den Ebertplatz aufzeigen: ‚Wir stehen gemeinsam gegen Rassismus‘.“
Warum fällt es diesem hilflosen Anti-Rassimus so schwer „sich der Herausforderung einer ständig wachsenden existentiellen Unsicherheit zu stellen“?
Fast jeden Tag kann man lesen, dass die Armen immer mehr und immer ärmer werden und die Reichen immer reicher. „Fast jeder Zehnte ist in Deutschland auf staatliche Unterstützung wie Sozialhilfe oder Hartz-IV-Leistungen angewiesen.“
Die Vorstandsvorsitzenden der zehn größten Konzerne verdienten im vergangenen Jahr zwischen 6 und 15 Mio Euro. Die Tagesschau berichtete „Chefs verdienen 50mal so viel wie Angestellte“.
Es gibt Aktionäre die 100mal mehr einnehmen als diese „Chefs“. Am Internationale Tag gegen Rassismus berichtete Spiegel-online, dass die BMW-Großaktionäre Stefan Quandt und Susanne Klatten für 2017 eine Milliarde Euro Dividende bekamen.
Wenn dieser Extremismus nicht Hauptthema des Antirassismus wird, dient er wie die Erinnerungskultur nur legitimatorischen Zwecken.
23.03.2018
Klaus Jünschke
Internationalismus 50 Jahre nach 68
Urlaub gebucht?
Was verdienen die Zimmermädchen?
Warum kommt es zu Obdachlosigkeit der Einheimischen in Dörfern und Städten, in denen immer mehr Hotels und Ferienwohnungen entstehen?Eine erste Annäherung in der WDR-Doku „Kanaren: Inseln der Arbeitslosen“
Leider wird nicht wirklich erklärt, wohin das Geld fließt, das mit Kreuzfahrtschiffen und Ferienanlagen verdient wird.
Metaller-Streik und Free Deniz
Was wäre, wenn Bosch, MAN, Mercedes und Siemens ihren Abzug aus der Türkei erklärten, wenn es nicht zu einer Rückkehr zur Demokratie kommt?
Nach ihrer schändlichen Rolle im Nationalsozialismus und danach in der Dritten Welt, besonders in Südafrika und den lateinamerikanischen Diktaturen kann es nicht länger hingenommen werden, dass die Rolle deutscher Firmen in der Türkei einfach ignoriert wird.
Als Angela Merkel im vergangenen Dezember Deniz Yücels Frau traf stand in der Welt: „Die Sorge um Deniz Yücel ist im Hohen Haus offenkundig ziemlich fraktionsübergreifend. Und das ist auch ein gutes Zeichen für Demokratie an diesem Tag.“
In derselben Woche tagte in Genf die Arbeitsgruppe UN-Treaty, die von Südafrika und Ecuador initiiert wurde. Ihr Ziel ist ein UN-Menschenrechtsabkommen, das den Menschenrechten Vorrang vor Investitionsinteressen einräumt. Angesichts der Geiselnahmen von deutschen Staatsbürgern in der Türkei bei andauernden Milliarden-Investitionen deutscher Konzerne in der Türkei sollte man meinen, dass die Medien ausführlich über UN-Treaty berichten – das wäre „ein gutes Zeichen für Demokratie“ – aber bitte: sucht selbst nach Berichten über UN-Treaty in deutschen Medien.
Wann fangen die Arbeiterinnen und die Angestellten an von Ihren Firmen zu verlangen, dass Menschenrechte Vorrang vor Investitionsinteressen haben?
15.01.2018
Klaus Jünschke
Zum Reichtum in der weltoffenen Stadt Köln
„Es gibt zu wenige Leute, die sich mit Reichtum beschäftigen.“ (Wolfgang Lauterbach)
In der Bundesrepublik werde zudem nur »wenig über Reichtum« gesprochen, dies verhindere einen »gesellschaftlichen Diskurs« über Verteilungsgerechtigkeit und die Macht der Superreichen.
Loic Wacquant in einem aktuellen Text in der Zeitschrift Sub Urban: „Die Menschen an der Spitze der Sozialordnung gestalten sowohl die materielle Realität als auch das Image ihres Ortes in der Stadt, während jene am unteren Ende zusehen müssen, wie ihr Raum und Ort weitestgehend durch externe Kräfte für sie bestimmt wird.“ Und damit das so bleibt wird soziales Leid geschaffen und alle sind aufgefordert sich damit zu beschäftigen. „Dieser ausschließliche Fokus offenbart eine naive Akzeptanz der von den Eliten konstruierten Lesart des Urbanen als Oberbegriff für die lästigen ‚sozialen Probleme‘ in und mit der Großstadt – eine Lesart, die von den Sozialwissenschaften viel zu häufig bestätigt statt infrage gestellt wird.“ (Wacquant). Wer wieviel in der und durch die Stadt verdient bleibt außen vor.
„Als Orte, an denen sich die gesellschaftlichen Widersprüche materialisieren, sind Städte aber zugleich und notwendigerweise auch Räume der Eliten und der Macht. Hinter den Strukturen und Mechanismen von Unterdrückung, Ausbeutung und Marginalisierung stehen die Interessen und gesellschafspolitische Positionen bestimmter, stabiler oder sich wandelnder Konstellationen mächtiger Akteure, Netzwerke und Gruppen. Besonders die Rolle ökonomisch und politisch mächtiger Akteure in Raumproduktionen wird bisher kaum untersucht.“
Obwohl das Bundesarbeitsministerium die Studie des Reichtumsforschers Wolfgang Lauterbach gefördert hatte, fehlten in der veröffentlichen Version bestimmte Passaen – und zwar darüber, ob Menschen mit mehr Geld einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen hagen, als Einkommensschwache.
Die reichsten Kölner
2017 lebten in Köln 374 Einkommensmillionäre (Als Einkommensmillionäre bezeichnet man Steuerpflichtige, die in einem Kalenderjahr Einkünfte von einer Million Euro oder mehr erzielt haben)
Die 10 reichsten Vermögensmillionäre in Köln (Zahlen von 2013)
(Die Erhebung der Vermögenssteuer ist seit1996 ausgesetzt)
1. Rolf Gerling, vormals Gerling-Versicherung, 950 Millionen Euro
2. Familie Mülhens, vormals 4711, 500 Millionen Euro
3. Künstler Gerhard Richter 450 Millionen Euro
4. und 5. Bernhard Greubel und Botho von Schwarzkopf aus der Zucker-Dynastie Pfeier & Langen mit jeweils einem Vermögen von 400 Millionen Euro
6. und 7. Die Familien Alfred Neven DuMont und Christian DuMont-Schütte die Eigentümer des Medienhauses DuMont Schauberg: je 350 Millionen Euro
8. Familie Imhoff, vormals Stollwerck, 300 Millionen Euro
9. Dirk Ströer von der Ströer Media AG: 300 Millionen Euro
10. Udo Müller, Ströer Media, 250 Millionen Euro
Die größten Arbeitgeber in Köln (1.2.2017)
1. Fordwerke: 18.000
2. Stadtwerke 12.430
3. Rewe 11.500
4. Uni Klinik 10.700
5. Lanxess 5.100
6. Axa 5077
7. Kliniken der Stadt Köln 4.500
8. WDR 3567
9. Sparkasse KölnBonn 3119
10. Kaufhof (gehört der kanadischen Hudson’s Bay Company (HBC): 3.000
Die großen Unternehmen des Stadtwerkekonzerns zahlten ihren Vorstandsvorsitzenden 2013:
Rheinenergie
Für den Vorstandsvorsitzenden der Rhein-Energie AG, Dieter Steinkamp, sind beispielsweise 792.700 Euro ausgewiesen.
KVB
Vorstandsvorsitzenden Jürgen Fenske: 391.700 Euro
Hafengesellschaft
Vorstandschefs Horst Leonhardt erhielt 338.000 Euro
Bäder
Bäder-Chef Berthold Schmitt erhielt trotz des Rekordverlustes von 18,9 Millionen Euro rund 13.000 Euro mehr als 2011 – insgesamt 233.800 Euro.
OB
Nach der offiziell anerkannten Besoldung stehen dem obersten Kölner Politiker und Verwaltungschef rund 150.000 Euro Brutto-Jahresgehalt zu –
Der Hauptgeschäftsführer der Kölner Industrie- und Handelskammer Ulf Reichardt erhält jährlich 380.000 Euro. Der Landesrechnungshof hat das kritisiert.
Schulden der Stadt
Köln hat als größte Stadt des Landes mit rund 4,9 Milliarden Euro den größten Schuldenberg angehäuft.
Wer verdient an der Schuldentilgung der Stadt Köln?
Geschichte
Hochgelobt und preisgekrönt ist das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Köln.
Die Rolle der Kölner Eliten für die Machtergreifung von Hitler kennen nur wenige.
Zwei Beispiele:
Kurt Neven DuMont
„Der Verlag schwenkte bereits Wochen vor der Machtergreifung
– und damit deutlich früher als andere – auf nationalsozialistische Linie ein.
Die Kölnische Illustrierte Zeitung druckte in der Neujahrsausgabe vom 1. Januar
1933 einen euphorischen Artikel über die faschistische Jugenderziehung in
Italien, die Kölnische Zeitung titelte am gleichen Tag: „Auf Hitler kommt es
an!“ und prognostizierte: „Das Jahr 1933 stellt Hitler vor die Entscheidung, ob
er als vergötterter Führer und vielleicht auch als Märtyrer einer
Glaubensgemeinschaft vor den Toren der Politik stehen bleiben will, oder ob er
die Verantwortung zu tragen bereit ist, die positiven Kräfte seiner Bewegung in
die Waagschale der praktischen Politik zu werfen. Im Interesse einer nationalen
Festigung möchte man hoffen, daß Hitler den zweiten Weg findet.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Neven_DuMont
Kurt Freiherr von Schröder, 1933-1945 Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer:
„Von Schröder gehörte auch zum Studienkreis für Wirtschaftsfragen („Keppler-Kreis“), dem späteren Freundeskreis Reichsführer SS, und verwaltete das „Sonderkonto S“ seines Bankhauses, auf das die Mitglieder des Freundeskreises jährlich eine Million Reichsmark für Sonderaufgaben von Heinrich Himmler einzahlten. Mit Wilhelm Keppler organisierte er am 4. Januar 1933 eine Geheimbesprechung in seiner Villa (Stadtwaldgürtel 35) in Köln-Lindenthal[2], in der Hitler und Franz von Papen Vorbereitungen für eine Regierungsübernahme vereinbarten. Hitler wurde zu diesem Treffen von Wilhelm Keppler, Heinrich Himmler und Rudolf Heß begleitet. Bei dieser Zusammenkunft einigten sich Hitler und Papen darauf, die Regierung Kurt von Schleichers zu stürzen und gemeinsam eine Rechtskoalition Hitler-Hugenberg-Papen zu bilden.“ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Freiherr_von_Schr%C3%B6der
19.12.2017
Klaus Jünschke
20 vertane Jahre in der Drogenhilfe
Wer ist hier verantwortlich:
In den fünf Städten Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln und München wurden in den Jahren 1997 bis 2016 über 7.266 Drogentote gezählt, davon 917 in Köln.
1997 forderten Polizeipräsidenten Heroin vom Staat. Am 27.01.1997 berichtete der Spiegel in seiner Titelgeschichte, dass viele Polizeipräsidenten für die Abgabe von Heroin an die Süchtigen sind, auch Kölns damaliger Polizeipräsident Roters zählte zu den Befürwortern. „Junkie-Jogging zu betreiben belastet viele Polizisten. „Die Gruppe der Schwerstabhängigen, teilweise psychisch labil, HIVinfiziert, von einer Ecke zur anderen zu vertreiben, ohne Lösungsmöglichkeiten, weil sie weder für Methadon-Programme noch für Langzeittherapien zu gewinnen sind, führt zu großen Gewissenskonflikten bei unseren Kollegen auf der Straße“, sagt der Kölner Polizeipräsident Roters.“ „Nachdem der Gießener Kriminologieprofessor Arthur Kreuzer hundert Junkies befragen ließ, rechnete er hoch, daß 45 Prozent der Autoaufbrüche, 37 Prozent der Wohnungseinbrüche und 20 Prozent der Raubüberfälle auf das Konto von Süchtigen gehen. In den Städten ergab sich die Faustregel, daß den Drogen ein Drittel der Eigentumskriminalität zuzurechnen ist.“ Auch Jörn Foegen, der damalige Leiter der JVA Köln, sprach sich 1997 für die Abgabe von Heroin aus: „Entscheidend ist, daß wir sagen, ein Drogenabhängiger ist krank. Dann frag ich mich, was soll der denn bei mir? Bin ich leitender Arzt oder bin ich Knastdirektor? Wenn die krank sind, dann muß ich ihnen das Medikament geben. Das ist im Moment die Droge. Ein Schweizer Versuch hat ja sogar gezeigt, daß es besser ist, gleich anständiges Heroin zu geben anstatt Methadon. Gäbe es das notwendige Suchtmittel unter ärztlicher Begleitung in anderer Form, dann hätten wir beides, den vernünftigen Umgang mit der Droge und das Infektionsproblem gelöst.“ Von 2002 bis 2008 kam es in Deutschland in sieben Städten zu einem Modellprojekt. Auch in Köln wurden an die 50 Abhängige mit Heroin behandelt:
„Im Rahmen des bundesdeutschen Modellprojekts zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger erhalten Drogenabhängige, bei denen bisherige Drogentherapien nicht erfolgreich waren oder bei denen die Methadonsubstitution nicht befriedigend verläuft, versuchsweise injizierbares Heroin als Medikament; eine Kontrollgruppe bekommt parallel die Ersatzdroge Methadon. Beide Gruppen werden regelmäßig medizinisch betreut und erhalten eine psychosoziale Begleittherapie.“
„Der Gesundheitszustand der Patienten hat sich unter der Diamorphinbehandlung außerordentlich verbessert.“ Am 28.05.2009 wird Diamorphin als Medikament zugelassen
„Mit breiter Mehrheit hat der Deutsche Bundestag heute ein Gesetz beschlossen, das die rechtlichen Voraussetzungen für die Überführung der diamorphingestützten Behandlung in die Regelversorgung schafft. Das Gesetz regelt u.a., dass Diamorphin (pharmazeutisch hergestelltes Heroin) – unter engen Voraussetzungen – als Betäubungsmittel im Rahmen der Substitutionsbehandlung von Schwerstopiatabhängigen verschreibungsfähig wird.“
Heroin im Knast Seit 2011 sieht eine Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums Baden-Württemberg vor, dass geeignete Gefangene an einer „Diamorphin-Substitution“ teilnehmen können sollen. Bis dato umgesetzt wurde die Vorschrift nicht.
2017: Köln hat nicht einmal genug Drogenkonsumräume Bettina Janacek am 20.05.2017 im Stadt-Anzeiger in ihrem Kommentar zur Diskussion um den geplanten Drogenkonsumraum: „Ein kurzer Blick ins Land macht deutlich: Köln ist, was die Versorgung mit Drogenkonsumräumen angeht, Schlusslicht. Düsseldorf hat zehn, Wuppertal elf und Dortmund gar 18 – alles Städte mit niedrigerer Bevölkerungszahl.“
Wieso stellt sich überhaupt 10 Jahre nach dem erfolgreichen Heroinprojekt in Köln immer noch die Frage nach Drogenkonsumräumen? Wer ist dafür verantwortlich, dass der dumme Kleinkrieg zwischen Polizei und Süchtigen andauert? Portugal – eine andere Antwort João Goulão, Leiter des portugiesischen Instituts für Drogen und Drogenabhängigkeit, hat Anfang des Jahrtausends in seinem Land die Entkriminalisierung des Drogenkonsums erstritten. Was passiert, wenn in einem Land alle Drogen legalisiert werden, kann seit 17 Jahren in Portugal studiert werden.
28.11.2017
Klaus Jünschke
Ebertplatz
Am 26.10.2017 erschien im Kölner Stadt-Anzeiger ein Kommentar seines Chefautors Peter Pauls zum Ebertplatz mit dem Titel „Der Ort verkommt zu einer No-go-Zone.“ Woher kommt dieses Wort?
Das amerikanische Militär hat im Vietnamkrieg, der 1975 endete, Südvietnam in Go-Areas, die heimischen Gebiete, in denen die Bevölkerung versorgt und unterstützt wurde, und No-Go-Areas, die gegnerischen Gebiete, aufgeteilt. Wie kommt es, dass diese Vokabeln No-Go-Area oder No-Go-Zone aus der damaligen Psychologischen Kriegsführung heute in Deutschland für Orte gebraucht werden? Sind wir im Krieg?
Herr Pauls meint: „Wer die Existenz solcher Quartiere in unseren Städten bestreitet, der sollte einmal nach Sonnenuntergang über den Kölner Ebertplatz gehen – und es riskieren, eines Besseren belehrt zu werden.“ Dass ein junger Mann aus Guinea erstochen wurde und ein paar Tage später jemand mit einer abgebrochenen Flasche verletzt wurde, sind für ihn Beweis genug. Dabei sind solche Gewalttaten als untypisch zu qualifizieren. Für die jungen Leute aus dem Maghreb und aus Ländern südlich der Sahara, die sich auf dem Ebertplatz in den letzten Monaten zum Handel mit Cannabis eingefunden haben, sind solche Ereignisse ganz offenkundig geschäftsschädigend. Wer kommt schon zum Drogenkauf auf den Ebertplatz, wenn dort mit körperlichen Angriffen zu rechnen ist?
Um den Tod des 22jährigen aus Guinea wird getrauert. Da wo er niedergestochen wurde sind am nächsten Tag Blumen und Kerzen abgelegt worden. Am Freitag Nachmittag, den 21.10. haben sich über 100 junge Leute zu einer Trauerfeier versammelt. Der Stadt-Anzeiger hat einspaltig davon berichtet – mit einem Foto, das kaum größer war als eine Briefmarke. Seither sind die Blumen und die Kerzen immer weggeräumt worden und wenig später sind immer wieder neue Blumen und Kerzen am Rand des Platzes zu sehen. Wer nicht mehr auf dem Platz zu sehen ist sind die Kleindealer. Vielleicht kommen sie wieder, vielleicht sind sie mit ihren Kunden abgewandert. Da nicht mal die Gefängnisse drogenfrei sind wird es auch die Stadt nicht.
Wegen Cannabis sind in Deutschland 2016 von der Polizei 183.015 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Grünen hatten 2015 einen Antrag zur Entkriminalisierung im Bundestag eingebracht, der keine Mehrheit fand. Immerhin: Seit 10. März 2017 können bedürftige Schwerkranke staatlich kontrolliert angebautes Cannabis auf Rezept bekommen. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Alle anderen Drogengebraucher sind weiterhin auf den illegalen Markt angewiesen. Das Problem ist nicht nur, dass die jungen und zunehmend auch alten Leute, die im Drogenhandeln ihren Broterwerb gefunden haben, sich strafbar machen. Illegalen Märkten führen bei Konflikten wie z.B. Betrug häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Peter Pauls ist weit davon entfernt zu fragen, was die repressive Drogenpolitik mit den Geschehnissen auf dem Eberplatz zu tun hat. Er instrumentalisiert die Gewalttaten um den „trägen Rechtsstaat“ anzuprangern, der es nicht schafft diese „Kriminellen“ abzuschieben:
„Die Täter aus Algerien und Marokko, die jetzt Flaschen als potenzielle Mordwaffen einsetzten, leben mit „Duldungsstatus“ bei uns. Im Polizeicomputer verfügen sie über Einträge in zweistelliger Zahl. Warum sind sie trotzdem immer noch hier?“
Ende der 70er, Anfang der 80 Jahren haben sich junge Kriminologen in mehreren Studien mit der Überrepräsentation ausländischer Jugendlicher in der Polizeilichen Kriminalstatistik und in den Gefängnissen auseinandergesetzt. Die Titel ihrer Bücher: „Die Kriminalisierung junger Ausländer“, „Junge Ausländer im Konflikt. Lebenssituationen und Überlebenssituationen“, „Zur Delinquenz ausländischer Jugendlicher. Bedingungen der Entstehung und Prozesse der Verfestigung.“ Auch Schriftsteller stellten sich dem Thema. Metin Gür hat 1991 das Buch „Warum sind sie kriminell geworden? Türkische Jugendliche in deutschen Gefängnissen“ veröffentlicht.
Was sie herausfanden wurde unter der ersten rot-grünen Bundesregierung amtlich: In den Periodischen Sicherheitsberichten, die von den Bundesministerien des Innern und der Justiz herausgeben wurden, wird das Thema „Ausländerkriminalität“ im Kontext der Migration und der dazu erlassenen Gesetze analysiert: „Insofern die Deliktbegehung stark mit dem Aufenthaltsstatus und dessen Folgen für die Integrationschancen zusammenhängt, ist Prävention vor allem durch Integration und dabei für die 2. und 3. Generation mittels Bildungsförderung zu erreichen.“
Schon hundert Jahre davor hat Franz von Liszt erkannt, dass die beste Kriminalpolitik in einer guten Sozialpolitik besteht. Was also ist, wenn die herrschende Politik das Gegenteil macht und den Sozialabbau vorantreibt? Dann wird die Kriminalisierung der Armut verstärkt.
Die SPD weigert sich trotz ihrer Niederlagen, die Agenda 2010 als Ursache ihres Niedergangs wahrzunehmen und die Medien weigern sich trotz des vor aller Augen sich ausbreitenden sozialen Elends für die Wiederherstellung der sozialen Leistungsfähigkeit des Staates zu streiten.
Was Peter Pauls und seine gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen uns einreden wollen hat Zygmunt Baumann als Law-and-Order-Wahn diagnostiziert – als ein Ersatz für den ernsthaften Versuch, sich der Herausforderung einer ständig wachsenden existentiellen Unsicherheit zu stellen.
31.10.2017
Klaus Jünschke
„Das Geld ist da“
Unter diesem Titel ist heute im Stadt-Anzeiger über die ganze Seite 24 ein Interview mit der Kämmerin Gabriele C. Klug zu lesen.
Ihr gehe es um „ein gutes Leben in einer nachhaltig und robust aufgestellten Stadt.“
Ein Viertel aller Kölner sind arm. Aber weder in den Fragen von Sarah Brasack und Helmut Frangenberg, noch in den Antworten von Frau Klug kommen die Worte „arm“ und „Armut“ vor. Dafür das: „Wir müssen vom Bund, der für die Sicherung gleicher Lebensgrundlagen zuständig ist, erwarten, dass er sich mehr und schneller einbringt.“ Auf die Frage „Was geschieht, wenn das nicht passiert?“ antwortet Frau Klug: „Davon gehe ich nicht aus.“
In den Außenbeziehungen der reichen Länder findet sich nirgendwo das Ziel zu allererst und so schnell wie möglich den Hunger zu beenden. Über 800 Millionen Menschen hungern. Solange ihr Existenzrecht missachtet wird, ist jedes Reden von Menschenrechten Gerede.
In den Innenbeziehungen der reichen Städte steht nicht zu allererst und so schnell wie möglich Armut zu überwinden, Obdachlosigkeit zu beenden, Drogentote zu verhindern.
Über den Neujahrsempfang der deutschen Bank berichtet die
Kölnische Rundschau am 14.1.2016: „Die mit Beifall begrüßte Oberbürgermeisterin
Henriette Reker forderte mehr Personal für Polizei und Justiz. Zudem lud sie
die Anwesenden ein, mit ihr den Wirtschaftsstandort Köln zu stärken, denn dies
sei die „eindrucksvollste Sozialpolitik, die es gibt“. In den nächsten Jahren
dürfe es keine Erhöhung der Gewerbesteuer geben. Sie wolle Köln bei Medien, Uni
und Messe auf Platz eins in Deutschland führen.“
4.1.2017
Klaus Jünschke