Zeit der Ungeduld

Vor der Kommunalwahl kamen fast alle im Rat vertretenen Parteien zu unseren Kundgebungen gegen Wohnungsnot – mit Ausnahme von Grünen und CDU, die wir für ihre Verantwortung für die Wohnungsnot in den vergangenen Jahren immer wieder heftig kritisierten. Von der AfD reden wir nicht. Gestern kam nur noch die Linke. Ihr sozialpolitischer Sprecher Jörg Detjen zeigte sich solidarisch, sprach von seiner Betroffenheit über die vielen Farbanschläge auf Obdachlose und berichtete vom  Antrag seiner Partei an den Rat unbezahlte Strom- und Wasserrechnungen nicht länger zum Verlust der Wohnung werden zu lassen.

Sozialdezernent Dr. Harald Rau erschien zu unserem Erstaunen nicht wie bisher im edlen Armani-Look der Besserverdienenden, sondern in einem schicken Second-Hand-Outfit mit knallgelben Schnürsenkeln im blankpolierten schwarzen Schuhwerk. Zwar äußerlich etwas näher bei den Obdachlosen und Sozialhilfeempfängern präsentierte er sich von einem menschenwürdigen Umgang mit ihnen weiter entfernt als noch im Januar. Damals hatte der Sozialausschuss einstimmig die Einzelunterbringung aller Obdachlosen in abschließbaren Zimmern bis Ende März beschlossen. Jetzt verkündete er kaltschnäuzig, dass es für Obdachlose besser sei, in einem Vierbett-Zimmer unterzukommen, als auf der Straße zu übernachten. Damals lag die Inzidenz bei 93, diesen Monat weit über 200. Nicht alle Obdachlosen sind geimpft, und die Geimpften wurden mit Johnson & Johnson versorgt, dem Einmal-Impfstoff der die meisten Durchbrüche hat.

Rainer Kippe fragte Dr. Rau, warum er Anfang des Monats nicht bei dem Treffen mit den 14 Bürgerinitiativen im Maritim war. Statt ihm, dem zuständigen Sozialdezernenten, war dort die neue Stadtdirektorin Blome (CDU).  Sie stellte den langsam die Geduld verlierenden Geschäftsleuten einen workshop im kommenden Frühjahr in Aussicht. Von konkrete Sofortmaßnahmen, die den Obdachlosen auf der Straße hilft, kam nichts. Dr. Rau, der ein soziales Konzept für die Obdachlosenhilfe erarbeitet hat und damit bei Frau Reker und Frau Blome nicht durchkam, versicherte nichts desto trotz, dass alle Dezernate in der Wohnungsfrage dezernatsübergreifend zusammen arbeiten und Frau Blome, die Herrin der städtischen Ordnungskräfte, das alles koordiniert. 

Da trifft es sich gut, dass alle das Gespräch von Frank Deja von „Köln kann auch anders“ mit Sebastian Tautkus auf dessen kommunalpolitischen Podcast „Ohrenblut“ verfolgen können. Nachvollziehbar wird erklärt, dass es und warum es in Köln in der Politik und der Verwaltung an Kommunikations-, Streit- und Fehlerkultur mangelt und folglich eine Kultur der Verantwortung und des Möglichmachens fehlt.
https://open.spotify.com/episode/6QfBoseBZLXTOz55ZESYnL

Enttäuschend war auch die Begegnung mit Floris Rudolph, der sich Rainer Kippe als neuer wohnungspolitischer Sprecher der Grünen vorstellte. Auf den ausstehenden Neubau des 2019 vom Rat beschlossenen 3. Frauenhauses angesprochen, erzählte uns der jungen Mann wie ein alter Verwalter irgendwas von Abstimmungsproblemen mit der Landesregierung bei der Finanzierung – statt Vorschläge zu unterbreiten, wie die schutzsuchenden Frauen, die in den beiden Frauenhäusern keinen Platz finden, untergebracht werden können.

Beide Frauenhäuser mussten in den vergangenen Jahren Hunderte schutzsuchende Frauen abweisen oder auf andere Städte verweisen, weil sie keinen Platz für sie hatten.
https://www.ksta.de/…/neues-konzept-koeln-bekommt…&

Und gestern kam in den Nachrichten, dass in NRW die Gewalt gegen Frauen im vergangenen Jahr um 7,9% zugenommen hat. Die Polizei registrierte 32.707 Opfer. Wie viele misshandelte Frauen keine Anzeige stellten ist nicht bekannt.
https://www.ksta.de/…/nrw-ministerin-will-opfern-helfen…&

Genauso wie der Umgang mit der Not der Obdachlosen und der misshandelten Frauen in der Kölner Politik und der Verwaltung normalisiert wurde, so wird seit Jahren hingenommen, dass es Jahr für Jahr um die 50 Drogentote von der Polizei gemeldet werden. Die Drogenhilfe ist unbeirrt davon abstinent orientiert – mit Ausnahme von Vision e.V.

Ein Lichtblick für die Drogenkranken ist die zu erwartende Legalisierung von Cannabis durch die Ampel-Koalition und die damit verbundene Absicht das sogenannte Drugchecking und andere Maßnahmen der Schadensminderung auszubauen.
https://www.spiegel.de/…/ampel-parteien-einigen-sich

Zum Abschluss der Kundgebung machte Rainer Kippe bekannt, dass wir Anfang Dezember mit Obdachlosen übernachten wollen und dazu auch Frau Reker, Frau Blome und Herrn Rau einladen. Vielleicht finden sie durch so eine Erfahrung zur Empathie für das Elend auf den Straßen, das zu sofortigen wirksamen und von den Betroffenen akzeptierten Hilfsmaßnahmen führt, die frei von Demütigungen und Entwürdigungen sind.

Dass Köln auch anders kann, hat sich in den Jahren 2015 und folgende gezeigt. Die große Zahl ankommender Flüchtlinge wurden untergebracht, Turnhallen wurden geöffnet, Container aufgebaut, neue Häuser errichtet, alle wurden mit mehr als dem Nötigsten versorgt. Es wurden Stellen für das Wohnungsmanagement geschaffen, das viele Flüchtlinge mit richtigen Wohnungen versorgte. Das Ende der Flüchtlingsunterbringung in Sammelunterkünften hat der Rat beschlossen.

Wir wollen nicht mehr und nicht weniger, als dasselbe für die Obdachlosen, die misshandelten Frauen und Drogenkranken.

Für eine Stadt ohne Obdachlosigkeit

Für eine Stadt ohne Drogentote

Für eine Stadt ohne Gewalt gegen Frauen und Kinder

Für eine Stadt ohne Armut

Nicht vergessen werden soll in diesem Bericht von unserer gestrigen Kundgebung, dass auch Herr Ludwig vom Wohnungsamt da war und versichert hat, dass für das OMZ, für die Obdachlosen mit Zukunft, Mitte 2022 ein geeigneteres Gebäude gesucht wird.

Es sprachen auch Bewohner der Siedlung Egonstraße direkt an Frau Reker gerichtet: In der Siedlung leben zwei behinderte Brüder in einem kleinen Zimmer – der Antrag für einen Anbau zur Erweiterung ihres Hauses ist bis heute unbearbeitet. Auch das werden wir nicht mehr hinnehmen.

19.November 2021