Zur Entkriminalisierung von Fahren ohne Ticket
In einem Offenen Brief an Bundesjustizminister Buschmann wird die ersatzlose Abschaffung von § 265a StGB Beförderungserschleichung gefordert.
Hier geht es zu dem von Nicole Bögelein und Luise Klaus initiierten Brief und der Liste der Unterstützerinnen:
https://kriminologie.uni-koeln.de/sites/kriminologie/UzK_2015/bilder/aktuelles/OffenerBrief265a_formatiert_unterschrieben_06.08.2024.pdf
Die neue Richtervereinigung unterstützt die Forderung
https://www.rechtundpolitik.com/politik/rechtspolitik/neue-richtervereinigung-unterstuetzt-die-forderung-der-ersatzlosen-abschaffung-des-%C2%A7-265a-stgb/
Auch NRW-Justizminister Limbach ist für die ersatzlose Abschaffung, Der Deutsche Städtetag und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sind dagegen.
https://www.welt.de/regionales/nrw/article252940268/NRW-Minister-Strafbarkeit-von-Schwarzfahren-abschaffen.html
Ziemlich alle Medien haben berichtet, z.B.:
https://taz.de/Fahren-ohne-Fahrschein/!6025369/
Praktische Konsequenzen gibt es längst
Der Freiheitsfonds hat seit seiner Gründung vor zwei Jahren schon über 1000 Menschen freigekauft, die in Haft waren, weil sie die Geldstrafen wegen fahren ohne Ticket nicht bezahlen konnten.
https://www.freiheitsfonds.de/
Einige Städte, wie Mainz und Wiesbaden zeigen nicht mehr an
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/rhein-main-gebiet-schwarzfahren-nicht-mehr-anzeigen-265a-stgb
Bundesjustizminister Buschmann
In Köln war es der FDP-Ratspolitiker Volker Görzel, der mit seinem Antrag dafür sorgte, dass der Kölner Stadtrat im Dezember 2023 beschloss, dass in der Stadt künftig auf Strafanzeigen wegen Fahren ohne Ticket verzichtet werden soll. Görzel ging es um die Entlastung der Justiz.
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/schwarzfahren-koeln-100.html
Bundesjustizminister Buschmann hat mit der Reform der Ersatzfreiheitsstrafe gezeigt, dass er mit der Halbierung dieser Strafe auch nur die Justizvollzugsanstalten entlasten wollte – die Zahl der Armen, die in Zukunft ins Gefängnis kommen, mit all den negativen Folgen, die eine Inhaftierung für sie hat, wird dadurch nicht halbiert.
Die Entkriminalisierung der Armut ist aber ein Anliegen von Nicole Bögelein und Luise Klaus. Sie begründen ihr Engagement für die ersatzlose Abschaffung des § 265a StGB so:
„• geringer Unrechtsgehalt der Tat
• 265a StGB als Beispiel für die Kriminalisierung von Armut
• hohe Anzahl an Menschen, die deshalb in Ersatzfreiheitsstrafen landen – jede vierte
Ersatzfreiheitsstrafe geht auf eine Geldstrafe wegen §265a StGB zurück (insgesamt landen
jährlich rund 7.000 Menschen wegen Fahrens ohne Fahrschein in einem Gefängnis)
• jährliche Kosten, die dem Staat für die Strafverfolgung anfallen: 114 Millionen Euro“
Daniel Loick in seinem neuen Buch „Die Überlegenheit der Unterlegenen“: Die Aufrechterhaltung von Regimen der Ausbeutung, der Unterdrückung, der Marginalisierung und der nekropolitischen Gewalt in planetarischem Maßstab hat massive Effekte auf diejenigen Gruppen, die von diesen Regimen profitieren. Die Effekte nehmen die Form epistemischer Ignoranz an: Mitglieder dominanter Gruppen sind für bestimmte Wahrheiten nicht aufmerksam. Sie betreffen auch die Affektstruktur und das Einfühlungsvermögen: Wer andere beherrscht oder tatenlos Zeuge dieser Beherrschung wird, muss Formen der Abstumpfung, Indifferenz, Kälte oder sogar der leidenschaftlichen Verachtung entwickeln, wie sie in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zum Ausdruck kommen. Schließlich umfassen die Effekte auch die normativen Vorstellungen und Konzeptionen, die eine dominante Gruppe für richtig hält – ihre Ethik, Moral und Politik wird dazu neigen, der bestehenden Herrschaft Rechtfertigungsnarrative zu liefern.“ (S.147)
10 August 2024
Klaus Jünschke