Entnazifizierung genügt nicht

Als der Spiegel am 6.8.2019 Adornos „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ besprach, kam immerhin am Ende der Kapitalismus vor: „Aber er zeigt, was konstant geblieben ist und heute oftmals vergessen wird: dass der Rechtsradikalismus nicht das ganz Andere der Demokratie, sondern ein Krisenphänomen im Kapitalismus ist, das einer Logik folgt.“

Am Anfang seiner Besprechung berichtet Benjamin Moldenhauer zwar :  „Rechtsradikales Denken wird als Krisenphänomen gedeutet, als autoritäre Reaktion auf die ‚Möglichkeit der permanenten Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewußtsein nach durchaus bürgerlich waren‘“. Aber das Wichtigste, was dem vorausgehend von Adorno vorgetragen wurde, bleibt unerwähnt: „Ich habe im Jahr 1959 einen Vortrag gehalten, ‚Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit‘ , in dem ich die These entwickelt habe, daß der Rechtsradikalismus dadurch sich erklärt oder dass das Potential eines solchen Rechtsradikalismus, der damals ja eigentlich noch nicht sichtbar war, dadurch sich erklärt, dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen nach wie vor fortbestehen.“ Und dann folgt: „Dabei denke ich in erster Linie an die nach wie vor herrschende Konzentrationstendenz des Kapitals“.
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/aspekte-des-neuen-rechtsradikalismus-von-theodor-w-adorno-a-1280586.html

Am 25.2.2020 stellte Margarete Stokowski ihre Kolumne „ Nach Hanau. Entnazifizierung jetzt!“ auf die Spiegel-Homepage. Zornig beklagt sie:  „Lichterketten, Schweigeminuten – die Rituale nach rechtsterroristischen Anschlägen sind die immergleichen. Und dann ändert sich: nichts. Was kann man dagegen tun?“  Und im Text ballert sie dann eine Salve von Vorschlägen raus, die, präzise auf AfD gezielt, geeignet scheinen, diese Partei loszuwerden.  Zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus dringt sie nicht vor. Vom Kapitalismus ist nicht die Rede.

Immerhin kann man bei ihre eine Rückbesinnung lesen, die in den meisten anderen Kommentaren nach Hanau fehlt: „Ein richtig guter erster Schritt wäre, sich daran zu erinnern, was mit Entnazifizierung ursprünglich mal gemeint war: Unter anderem, dass Leute mit Nazi-Gesinnung keine wichtigen Ämter mehr haben dürfen.“
https://www.spiegel.de/kultur/entnazifizierung-jetzt-a-abd8be99-6974-403d-b214-14a6d392ce8e

Im Rückblick auf 1945 lässt sich feststellen, dass es um mehr als um „Entnazifierung“ ging:

Mit dem Potsdamer Abkommen formulierten die Siegermächte Großbritannien, Sowjetunion und USA 1945 politische Grundsätze, die praktisch eine Arbeitsanweisung für den Allierten Kontrollrat in Berlin darstellten:

Denazifizierung (auch: Entnazifizierung)
Es sollte eine „Säuberung“ der deutschen und österreichischen Gesellschaft, Kultur, Presse, Ökonomie, Jurisdiktion und Politik von allen Einflüssen des Nationalsozialismus erfolgen.

Demilitarisierung (auch: Entmilitarisierung)
Die Demilitarisierung beziehungsweise Entmilitarisierung hatte den vollständigen Abbau der Armee und die Abschaffung jeglicher deutschen Rüstungsindustrie zum Ziel, damit von Deutschland nie wieder die Gefahr eines militärischen Angriffs ausgehen konnte.

Demokratisierung          
Die endgültige Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage sollte vorbereitet sowie in ganz Deutschland alle demokratischen Parteien und Gewerkschaften erlaubt und gefördert werden.  Das Erziehungswesen in Deutschland sollte so überwacht werden, dass eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht werde.

Dezentralisierung
Ziel der Dezentralisierung war die Übertragung von politischen Aufgaben, Zuständigkeiten, Ressourcen und Entscheidungsbefugnissen an mittlere (z. B. Provinzen, Distrikte, Regionen) und untere Ebenen (Städte, Gemeinden, Dörfer). In der Wirtschaft sollte die exzessive Konzentration von Macht wie beispielsweise in Kartellen, Syndikaten, Großunternehmen und anderen monopolistischen Wirtschaftsunternehmen beseitigt werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Potsdamer_Abkommen

Die SPD forderte am 15. Juni 1945 im Aufruf zum Neuaufbau ihrer Partei u.a.: „Verstaatlichung der Banken, Versicherungsunternehmen und der Bodenschätze, Verstaatlichung der Bergwerke und der Energiewirtschaft. Erfassung des Großgrundbesitzes und der lebensfähigen Großindustrie und aller Kriegsgewinne für die Zwecke des Wiederaufbaus. Beseitigung des arbeitslosen Einkommens aus Grund und Boden und Miethäusern.“ (Gebhard Diemer: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Wege zur Republik 1945-1947, Schöningh, 1979, S. 170)

Das Amt der Militärregierung der USA (O.M.G.U.S.)hatte eine Finanzabteilung, deren Sektion für finanzielle Nachforschungen u.a. Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die I.G. Farbenindustrie führte. Sie wurden erst 1985 und 1986 veröffentlicht.

Hans Magnus Enzensberger (Hrsg.): OMGUS. Ermittlungen gegen I. G. Farbenindustrie AG. Übersetzt und bearbeitet von der Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik Hamburg. Nördlingen 1986, ISBN 3-891-90019-8

Hans Magnus Enzensberger (Hrsg.): OMGUS. Ermittlungen gegen die Deutsche Bank. Übersetzt und bearbeitet von der Dokumentationsstelle zur NS-Politik Hamburg. Nördlingen 1985.

Hans Magnus Enzensberger (Hrsg.): OMGUS. Ermittlungen gegen die Dresdner Bank. Übersetzt und bearbeitet von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nördlingen 1986.

https://de.wikipedia.org/wiki/Office_of_Military_Government_for_Germany_(U.S.)

Aus den Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, um ein Beispiel zu geben, folgten die Empfehlungen, daß:

1. die Deutsche Bank liquidiert wird,

2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,

3, die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden.
http://www.glasnost.de/hist/ns/omgus1.html

Daher bleibt immer wieder festzuhalten was Max Horkheimer 1939 in „Die Juden und Europa“ sagte: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“

26.2.2020

Die neue Sprechblase: „Rassismus ist Gift“

Nein – Rassismus ist eine Funktion sozialer Ungleichheit.

Norbert Elias: „Es scheint, dass Begriffe wie „rassisch“ oder „ethnisch“, die in diesem Zusammenhang sowohl in der Soziologie als auch in der breiteren Gesellschaft weiterhin gebraucht werden, Symptome einer ideologischen Abwehr sind. Durch ihre Verwendung lenkt man die Aufmerksamkeit auf Nebenaspekte der Figuration (z.B. Unterschiede der Hautfarbe) und zieht sie ab von dem zentralen Aspekt (den Machtunterschieden).
Auch wo daher in solchen Fällen Unterschiede des körperlichen Aussehens und sonstiger biologischer Aspekte, auf die wir mit dem Wort „rassisch“ abzielen, vorhanden sind, wird die Soziodynamik der Beziehung zwischen Gruppen, die als Etablierte und Außenseiter miteinander verflochten sind, durch die Art ihrer Verflechtung bestimmt und nicht durch irgendwelche davon unabhängigen Merkmalen ihrer Angehörigen.“ (Elias, Norbert / Scotson, John L. (1990): Etablierte und Außenseiter. Frankfurt a.M. S.26.f.)

Frau Mergel erklärt Rassismus zum Gift. Zum wirklichen Gift wurde von ihr noch nichts gehört. Die Nachfolger der IG Farben, die in Ausschwitz das Buna-Werk betrieben, verkaufen in armen Ländern straflos das bei bei uns verbotene Gift.
https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-giftige-geschaefte-wie-deutsche-unternehmen-mit-gefaehrlichen-pestiziden-umsatz-machen-100.html

Ziel der Arbeitsgruppe UN-Treaty, die von Südafrika und Ecuador 2014 initiiert wurde, ist ein UN-Menschenrechtsabkommen, das den Menschenrechten Vorrang vor Investitionsinteressen einräumt. Der Treaty-Prozess soll die Ungerechtigkeiten der globalisierten Wirtschaft beenden. Die Unternehmen dürfen ihre Profite nicht länger auf Kosten der Menschenrechte machen.
Deutschland stimmte gegen die Resolution, die den Treaty-Prozess startete, blieb den Verhandlungen im UN-Menschenrechtsrat zunächst fern und war bei der dritten Verhandlungsrunde im Oktober 2017 an vier von fünf Tagen nur durch eine Praktikantin vertreten. Am 14. und 18. Oktober 2019 fand in Genf die fünfte Verhandlungsrunde für das „UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten“ statt. Deutschland hat sich nicht zu Wort gemeldet.
https://www.freitag.de/au…/der-freitag/freundin-der-konzerne

Seit 1993, als das Asylrecht radikal beschnitten wurde, wird die Bekämpfung der Fluchtursachen versprochen. Es werden aber nur die Flüchtlinge bekämpft.

„Extremismusforscher“ wie Hajo Funke. erklären nicht, wie staatliches Handeln seither in die Gesellschaft hineingewirkt hat, was es bedeutet, dass die Regierungen der EU zulassen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass Rüstungsexporte weiterhin an Folteregimes gehen, dass Menschennach Afghanistan abgeschoben werden, dass den Menschen in den griechischen Lagern nicht geholfen wird u.v.a.m.

Berliner Zeitung; Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, Rassismus ist Gift. Ist das hilfreich?

Hajo Funke: Ich verstehe den Satz so: Da, wo in der Öffentlichkeit durch politische Parteien Rassismus und Ressentiments entfesselt werden, ändert sich die Atmosphäre des Miteinanders und wird vergiftet. Deshalb besteht eine ungeheure politische Verantwortung. Mit dieser Äußerung kann man sehr viel anfangen.
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/experte-wir-haben-es-mit-einem-kranken-terroristen-zu-tun-li.76428?fbclid=IwAR1uWsmSOKGOBvMdxCJ0eDPqfT-nQEP0NheiKmZwXpyLacobFVLJ_2d6j9Y

Max Horkheimer: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“

21.2.2020
Klaus Jünschke

Power to the People

Die Wahlkampfveranstaltungen von Bernie Sanders werden mit John Lennons „Power to the People“ eröffnet. John Lennon schrieb das Lied 1971. „Power to the People“ bzw. „All power to the People“   wurden in der  Protestbewegung der 60er Jahre und von den Black Pantern skandiert.  Im Song Text  wird zu einer Revolution aufgerufen  und mit dem Verweis auf die Ausbeutung von Arbeitern und die Unterdrückung von Frauen begründet, warum sie notwendig ist. https://www.youtube.com/watch?v=4Epue9X8bpc

In der aktuellen Le Monde diplomatique setzt sich Serge Halimi  auf den Seite 6 und 7 mit dem Wahlkampf der Demokraten unter dem Titel „ Die falsche Wahl der Demokraten“ auseinander. Er kritisiert die Fixierung auf Trump und zitiert Noami Klein:  „Wenn wir uns damit zufrieden geben, ihn loszuwerden, haben wir wieder die gleiche üble Situation wie vorher, die seinen Triumph überhaupt erst möglich gemacht hat.“ Deshalb müsse man die Ursachen des Übels bekämpfen und nicht nur die Symptome, so Serge Halimi. Und er zitiert entsprechende Stimmen aus der Demokratischen Partei: „Je mehr wir so tun als wäre Donald Trump die Ursache all unserer Probleme, desto mehr Zweifel haben die Amerikaner, ob wir in der Lage sind, ihre Alltagsnöte zu erkennen und zu beseitigen.“

Serge Halimi erinnert daran, dass Donald Trump überraschend in den Bundesstaaten gewann, in denen die meisten der 4 Millionen Arbeitsplätze lagen, die in den Jahren davor verloren gegangen sind. Wenig überraschend ist seine daraus folgende Kritik an Barack Obama: „Der demonstrierte seine Solidarität mit dem afroamerikanischen Proletariat durch symbolische Gesten und schöne Worte, aber gegen die Wirtschaftsordnung, die für das Elend dieser Leute verantwortlich ist, hat er dann rein gar nichts unternommen.“

Das Establishment der Demokratischen Partei will daran nichts ändern, stimmt mit Donald Trump für immer mehr Rüstungsausgaben und bekämpft die Linken Elizabeth Warren und Bernie Sanders, die echte Veränderungen fordern.

Die Fixierung auf die AfD verhindert die Auseinandersetzung für die dringend erforderlichen strukturellen Veränderungen hierzulande.

Sahra Wagenknecht im taz-Interview am 19.1.2020: „Die Linke hat bestimmte Themen und Positionen in der Öffentlichkeit gehalten, als alle anderen für Sozialabbau, Privatisierungen und Kriegseinsätze waren.

Wenn wir heute endlich wieder mehr über das Klima und die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit reden, führt das direkt zum großen Rahmen: Wir müssen anders produzieren, wir müssen unsere grundlegenden Wirtschaftsstrukturen verändern. Das spürt heute fast jeder. Nur sind die, die schon in den letzten Jahren zu den Verlierern gehörten, nicht bereit, jetzt wieder die Hauptlasten zu tragen, obwohl sie die geringste Verantwortung für die Probleme haben.
Es gibt viele Menschen, die sich von der Politik völlig im Stich gelassen fühlen. Wenn sie jetzt von den Besserverdienenden belehrt werden, dass das Weltklima wichtiger ist als ihr Arbeitsplatz und ihre soziale Existenz, ist das der sicherste Weg, sie in die Arme der Rechten zu treiben. Diese Menschen wieder zu erreichen, die Gesellschaft und die Wirtschaft in ihrem Sinne zu verändern, was ja einschließt, unseren Planeten nicht immer weiter zu zerstören, das wäre die zentrale Aufgabe der Linken heute.“
https://taz.de/Sahra-Wagenknecht-ueber-ihren-Rueckzug/!5654403/      

Das Problem: wo ist die Linke, die sich dieser „zentralen Aufgabe“ stellen könnte?

Der ungarische Philosoph Gaspar Miklos Tamas findet die Antwort auf die Frage im Fehlen von totalitärem Terror und Massengewalt , den Merkmalen des klassischen Nationalsozialismus und Faschismus: „Sie fehlen vor allem deshalb, weil die Hauptaufgabe des Faschismus – die Zerstörung des Sozialismus – erfüllt ist. Es gibt in Europa keinen Sozialismus mehr, auch nicht in der sehr unvollkommenen staatskapitalistischen Version, die im ehemaligen Sowjetblock verwirklicht wurde. Die Faschisten wissen und wussten immer, dass ihre wesentliche Aufgabe darin bestand, den europäischen – insbesondere deutschen und italienischen – Sozialismus zu verhindern.
Hitler sah die Juden als die wesentlichen Verbündeten – nach seiner Auffassung die wahren Führer – der kommunistischen Revolution, ohne die das Proletariat keinen »Geist« und keine Vernunft hätte. Auch aus diesem Grund mussten die europäischen Juden sterben. Das heutige Europa ist weitgehend eine Schöpfung des Faschismus im negativen Sinne. Die Niederlage des italienischen, deutschen, österreichischen und spanischen Proletariats ist eine dauerhafte, wir werden noch lange leben mit ihr müssen. Aber indem wir die Niederlage anerkennen, können wir auch den Hauptfeind identifizieren, der im Wesentlichen derselbe ist.“
https://jungle.world/artikel/2020/07/die-gleichheit-erscheint-als-elitaer

18.2.2020

Klaus Jünschke

Gegen Antisemitismus ohne Gesellschaftsveränderung:

Bundesaußenminister Heiko Maas im Spiegel zum Auschwitz-Gedenken
„Damit es nie wieder geschieht
Es reicht nicht, mit mahnenden Reden vor dem Antisemitismus zu warnen. Wir brauchen jetzt konkrete Maßnahmen gegen den Judenhass: Bildung für die Jungen und harte Strafen für die Täter – in Deutschland und in ganz Europa.“
Mit Entschiedenheit gegen die Nazis vorzugehen ist überfällig und würde dazu  beitragen ihre Zahl zu verkleinern und sie zum Verstummen zu  bringen. Ob diesen Worten Taten folgen?
Die Frage ist, warum es in dieser Regierung und den Reden ihrer Repräsentanten keinen Bezug zu den gesellschaftlichen Ursachen von Antisemitismus und Rassismus gibt. Als gäbe es dazu keine Forschungen und keine Erkenntnisse.
Statt dessen diese ewige Sülze: „…jeder Angriff auf jüdisches Leben ist ein Angriff auf Europa, auf unsere Kultur und unsere Werte. Denn Antisemitismus widerspricht allem, wofür Europa steht: Toleranz, Freiheit, Menschenwürde.“
https://www.spiegel.de/politik/heiko-maas-ueber-antisemitismus-und-judenhass-gastbeitrag-a-6634cc6f-adfa-4dc2-bd4d-2b7437b63e5c

Nehmen wir mal an, Europa wäre Toleranz, Freiheit, Menschenwürde – und es gäbe keine extreme soziale Ungleichheit, keine Rüstungsexporte aus Europa, keine von Europa zu verantwortenden Fluchtursachen, keine Ertrinkenden im Mittelmeer – woher kommen dann die Faschisten? Sind es diejenigen, die in der Schule gefehlt haben, als die Nazis Thema waren?

In seiner Denkschrift für die industriellen Förderer vom 22. Oktober 1922 schrieb Hitler: „Die Bolschewisierung Deutschlands jedoch bedeutet die Vernichtung der gesamten christlich-abendländischen Kultur überhaupt. In der vorauszusehenden Erkenntnis dieser Katastrophe und der Unzulänglichkeit der Mittel zu ihrer Abwehr wurde vor drei Jahren, am 5. Januar 1919, die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gegründet. Ihr Ziel heißt ganz kurz: Vernichtung und Ausrottung der marxistischen Weltanschauung. – Mittel hierzu soll 1. eine unvergleichliche, genial aufgezogene Propaganda- und Aufklärungsorganisation, alle Möglichkeiten der menschlichen Beeinflussung erfassend; 2. eine Organisation rücksichtlosester Kraft und brutaler Entschlossenheit, bereit, jedem Terror des Marxismus einen noch zehnfach größeren entgegenzusetzen.“ Bei einem dieser Auftritte wurde auch der Präsident der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Ernst von Borsig auf Hitler aufmerksam. Laut einem Schreiben des Privatsekretärs Borsigs, Fritz Detert, an Borsigs Sohn, war Borsig „durch das Erlebnis dieses Abends so stark gepackt“, dass er begann, die NSDAP zu finanzieren.
https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Nationalklub_von_1919

Richtig ist, dass die Nazis Antisemitismus und Rassismus nicht erfunden haben. Sie konnten an eine Tradition des gesellschaftlichen Bedarfs an Sündenböcken anknüpfen, die wie das Patriarchat Tausende Jahre alt ist. Der Soziologe Christian Sigrist, der zur Entstehung von Herrschaft geforscht hat, erklärte: „Allgemein lässt sich die Entstehung von Paria-Gruppen als Ergebnis von Herrschaftsbildung und wachsender ökonomischer Ungleichheit erklären. Die religiöse Überhöhung von Herrschaftsinstanzen findet ihren Gegenpart in der Dämonisierung von Randgruppen.“
(Sigrist, Christian (1992): Paria, Pariavölker. In: Evangelisches Kirchenlexikon, 3. Bd., 3. Auflg., Göttingen, S. 1051)
Die quasireligiöse Überhöhung von Herrschaftsinstanzen servieren uns die Medien täglich mit ihrer Berichten über „Royals“ und andere Promis. Was im Frankfurter Institut für Sozialforschung über die gesellschaftlichen Ursachen des Faschismus herausgefunden wurde, wird nicht so in die Bevölkerung kommuniziert, dass daraus ein Allgemeinwissen würde. Daran können wir arbeiten: für eine Gesellschaft ohne Herrschaft und Ausbeutung.

Adornos  Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ über die gesellschaftlichen Voraussetzungen  des Faschismus ist zur Weiterverbreitung im Netz:
https://www.youtube.com/watch?v=6nthF06PdZ8

27.1.2020
Klaus Jünschke

Ein sozialdemokratischer Bundespräsident in Yad Vashem

Nach dem Ende der Nazi-Diktatur forderte die SPD am 15. Juni 1945 im Aufruf zum Neuaufbau ihrer Partei u.a.: „Verstaatlichung der Banken, Versicherungsunternehmen und der Bodenschätze, Verstaatlichung der Bergwerke und der Energiewirtschaft. Erfassung des Großgrundbesitzes und der lebensfähigen Großindustrie und aller Kriegsgewinne für die Zwecke des Wiederaufbaus. Beseitigung des arbeitslosen Einkommens aus Grund und Boden und Miethäusern.“ (Gebhard Diemer: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Wege zur Republik 1945-1947, Schöningh, 1979, S. 170)

Adornos im vergangenen Jahr veröffentlichter Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, den  er 1967 vor Studenten in Wien gehalten hat, wurde quer durch alle Medien begeistert aufgenommen. Beispielheft sei die Zeit zitiert: „Der Rechtsradikalismus wird wiederkehren, solange das Kapital triumphiert: Theodor W. Adornos Erklärungen für den Erfolg der NPD in den späten Sechzigerjahren gelten auch heute noch.“ https://www.zeit.de/2019/31/theodor-w-adorno-rechtsradikalismus-kapitalismus-buch

Wer sich Steinmeiers Rede in Yad Vashem anhört, kann feststellen, dass er den Holocaust als industriellen Massenmord bezeichnet, ohne im weiteren auch nur ein Wort über die Unterstützung  Hitlers und der NSDAP durch die deutschen Industrie  und der deutschen Banken zu verlieren, ohne ein Wort über die Übernahme jüdischen Eigentums durch deutsche Betriebe und Banken, ohne ein Wort über das Leiden und Sterben von jüdischen KZ-Gefangenen in deutschen Fabriken.
 Adorno erklärte warum die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nach wie vor fortbestehen. An erster Stelle nannte er die „herrschende Konzentrationstendenz des Kapitals“. Steinmeier spricht vom „Bösen“.
 ä

Deutschland ist nach den USA, Russland und Frankreich viertgrößter Waffenexporteur geworden. So traut sich Rheinmetall heute seiner Nazi- Vergangenheit zu gedenken:
„Im Jahr 1943 war die Deutsche Wehrmacht an allen Fronten im Westen und im Osten in schwere Kämpfe verwickelt. Zahllose Mitarbeiter der Rheinmetall-Borsig AG waren zum Fronteinsatz eingezogen, viele von ihnen bereits gefallen. An ihrer Stelle verrichteten Frauen und Zwangsarbeiter ihre Arbeiten in der Rüstungsproduktion. Was bei allem Mangel und Notstand jedoch noch ausgezeichnet zu funktionieren schien, war die Bürokratie. Selbst die für den immer noch erhofften „Endsieg“ notwendige Waffenfertigung wurde durch sie immer wieder ausgebremst. Das betraf sowohl die Beschaffung von Arbeitskräften – selbst die von Zwangsarbeitern –, als auch die Verlegung von Betrieben.“ https://www.rheinmetall.com/de/rheinmetall_ag/group/corporate_history/125_jahre_rheinmetall_1/jahre_1936_bis_1/index.php

Am Schluss seines Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ sagte Adorno 1959: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt werden. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“

Die Lobeshymnen auf Steinmeiers Rede in Yad Vashem beweisen nur, dass  das Einverständnis  mit  dieser  Gesellschaft  nur  um  den  Preis  der eigenen vorzeitigen Verblödung möglich ist. 

23.1.2020
Klaus Jünschke

Arm

Früher dachte ich, ich sei arm.
Aber mir wurde gesagt, ich sei nicht arm, sondern bedürftig.
Es hieß dann, es sei selbstzerstörerisch, wenn man sich für bedürftig halte, ich sei depriviert.
Das konnte sich nicht halten: depriviert habe ein schlechtes Image, ich sei unterprivilegiert.
Dann wurde mir gesagt, unterprivilegiert sei überstrapaziert, ich sei benachteiligt.
Als ich nicht mehr benachteiligt sein sollte, wurde ich sozial schwach.
Sozial schwach war auch bald mega-out, ich sei prekär, folgte dann.
Bis die Fachleute für Zusammenhalt entdeckten ich habe zu wenige Teilhabechancen.
Um mich zu trösten, sagt man heutzutage ich sei armutsgefährdet.

Ich muss sagen, ich habe immer noch keinen Pfennig mehr, aber mein Wortschatz ist enorm gewachsen.
Und kommt mir jetzt bloß nicht mit bildungsfern. Ich bin arm, aber nicht blöd.

Angeregt von Harry A.Passow, Miriam Goldberg und Abraham J. Tannenbaum: Education of the Disadvantaged. New York 1967 und über die Jahre immer wieder erweitert von Klaus Jünschke

Mein wichtigstes Buch in diesem Jahr

 
Renate Dillmann / Arian Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat. Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen | Politische Maßnahmen | Historische Etappen
VSA:Verlag, Hamburg 2018

Die Motivation der beiden Autoren für ihre Arbeit:

„Wir wollen einen theoretischen Beitrag zur Neuformierung praktischer gesellschaftlicher Gegenwehr leisten, die ist bitter nötig. Wir sind der Überzeugung, dass diese nicht ohne eine nüchterne unvoreingenommene Betrachtung der vorgefundenen Verhältnisse erfolgreich gelingen kann.   
Und schon gleich nicht mit der Neubelebung der sozialdemokratischen Lebenslüge, dass die Interessen von Kapital und Lohnarbeit vereinbar seien. Deshalb beschäftigen wir uns im Buch auch explizit mit dem Aufstieg und dem Zerfall der Sozialdemokratie in Deutschland. Auch wenn wir damit sicher manche Leser erstmal enttäuschen. Und wir untersuchen den realsozialistischen Gegenentwurf der DDR und ihrer Sozialpolitik jenseits der üblichen Verurteilungen und Vereinnahmungen.“

Und:

„Der Sozialstaat ist ein buchstäbliches Armutszeugnis über die Lebensbedingungen der Mehrheit in diesem Land. Wenn der deutsche  Sozialstaat mit mehreren Ministerien, zwölf Sozialgesetzbüchern und vielen Milliarden Euro jährlich interveniert, dann gibt es in diesem Land  auch stets auf neue ein erhebliches Maß an sozialer Bedürftigkeit. Wovon der Staat auch ausgeht.
Der soziale Staat rechnet mit diesen Notlagen. Und ganz im Gegensatz zu dem, was sozial Engagierte oder  im Sozialwesen Beschäftigte  in Deutschland häufig von ihrem Staat erwarten,  zielt seine Tätigkeit nicht auf die Beseitigung der Ursachen sozialer Notlagen sondern darauf diese Notlagen wirtschafts-  und staatsnützlich zu verwalten. Die Armut entspringt den ökonomischen Grundlagen dieser Gesellschaft und ihrer Eigentumsordnung. An diesen ändert die Sozialpolitik nichts.

Armut wie immer man sie auch näher bestimmt, bedeutet zunächst einmal Ausschluss von Reichtum. Worin auch immer der Reichtum in modernen Gesellschaften bestehen mag, er existiert in jedem Fall als Eigentum, d.h. als ausschließliche Verfügungsgewalt über eine Sache. Der Eigentümer dieser Sache ist berechtigt, alle anderen von ihrer Nutzung auszuschließen. Das Prinzip Eigentum beinhaltet bereits die prinzipielle Trennung zwischen Haben und Benutzern, zwischen Bedürfnis und den Mitteln der Bedürfnisbefriedigung. Die gehören in der Regeln anderen. Ausschluss von Reichtum fängt also nicht da an wo Menschen arbeitslos werden, wo sie unter dem Hartz 4 – Regime verarmt werden oder wo man ihnen  lebenswichtige Nahrung, Medikamente oder Wohnraum vorenthält – Ausschluss von den Mitteln der eigenen Interessenverfolgung und Ausschluss von den Mitteln, um nützliche Dinge für die Bedürfnisbefriedigung herzustellen, konstituieren geradezu diese Gesellschaft.

Wir sind zu dem Resultat  gekommen, dass sozialwissenschaftliche Armutstheorien sehr grundsätzlich falsch liegen, wenn sie Armut in dieser Gesellschaft als Ausnahme definieren, bzw. wenn sie Armut als quantitative  Abweichung vom Normaleinkommen fassen.

Wer die Einkommen und Vermögen dieser Gesellschaft in ihrer quantitativen Verteilung misst, der geht erstens darüber hinweg, dass die Einkommensquellen qualitativ verschieden sind und im Gegensatz zueinander stehen. Darin verharmlost die Armutsforschung den fundamentalen Gegensatz der beiden Einkommensquellen von Kapital und Lohnarbeit zu einem quantitativen Unterschied vermeintlich gleichartiger Einkommensquellen. Gewinn steht aber gegen Lohn und nicht umgekehrt.  Das als bloß unterschiedlichen Anteil an Geldzuflüssen zu fassen, ist ökonomisch nicht zutreffend, wenn auch politisch opportun.

So wird ein sozialer Antagonismus in die Frage sozialer Gerechtigkeit verwandelt. Davon lebte und lebt die Politik der deutschen Sozialdemokratie. Zweitens erklärt die geltende Armutsdefinition: arm ist, wer weniger als 50% des Medianeinkommens bezieht, Armut einfach per Definition zu einem Minderheitenphänomen, einer Abweichung vom Normalen.  Bei durchschnittlichen Löhnen und Gehältern sieht die empirische Sozialforschung schlicht nichts, was sie an Armut erinnert, auch dann nicht, wenn das Einkommen dieser Normalen augenfällig weder dazu reicht die absehbaren Schadensfälle ihrer Lohnarbeits-Biographie  -Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit – selbstständig zu finanzieren, ihre Familien anständig zu unterhalten und schon gar nicht aus der ständigen Not des Kalkulierens mit Zeit und Geld , mehr Arbeiten oder mehr Sparen, in der Regel beides, einmal herauszukommen. Moderne Armutsforschung geht weder den ökonomischen Gründen des Ausschlusses nach, noch ist sie in der Lage logisch zu begründen, warum die Reichen im Kapitalismus notwendig immer reicher  und die Armen immer ärmer werden. Lob und Tadel des deutschen Sozialstaats gehen  in der wissenschaftlichen Debatte gründlich an einer nüchternen Bestimmung seiner Ziele, seiner Entstehung und den Ursachen der aktuellen Notlage von Millionen Menschen vorbei. Das wollten wir in unserem Buch anders machen.“

29.12.2019
Klaus Jünschke

Zeitungsauschnitte zu Soziale Ungleichheit

Es gibt Linke, die sich um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen.
Es gibt Reiche, die darauf scheißen:

In der New York Times vom 26.11.2006 schreibt Ben Stein über ein Gespräch mit Warren Buffet (https://de.wikipedia.org/wiki/Warren_Buffett) einem der reichsten Männer der Welt:

„Es stellte sich heraus, dass Mr. Buffett mit seinem immensen Einkommen aus Dividenden und Kapitalgewinnen einen weitaus geringeren Anteil seines Einkommens versteuern muss als die Sekretäre oder die Angestellten oder sonst jemand in seinem Büro. Im Gespräch stellte sich außerdem heraus, dass Mr. Buffett überhaupt keine Steuerplanung anwendet. Er zahlt nur, wie es der Internal Revenue Code verlangt. „Wie kann das fair sein?“, fragte er, wie wenig er im Verhältnis zu seinen Mitarbeitern zahle. „Wie kann das richtig sein?“
Obwohl ich ihm zustimmte, warnte ich ihn, dass er oder sie beschuldigt wurde, den Klassenkampf zu schüren, wenn jemand versuchte, das Problem zur Sprache zu bringen.
„Es gibt Klassenkämpfe, in Ordnung“, sagte Buffett, „aber es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die Krieg führt, und wir gewinnen.“
https://www.nytimes.com/2006/11/26/business/yourmoney/26every.html

Das völkische Wir
Horkheimer hat nach dem Krieg beklagt, dass es den Nazis gelungen ist, das völkische Wir in die Demokratie zu retten. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass daran mal Wissenschaftlerinnen arbeiten, die keine alten Nazis sind:
Allmendinger: Letztendlich steht die Demokratie auf dem Spiel. Weil eine Demokratie immer davon abhängt, dass sich Menschen zugehörig fühlen. Dass die kleinen Wirs der Familien miteinander verbunden sind und sich als Teil von großen Wirs fühlen. Dass das partikulare Vertrauen in Einzelne zu einem generalisierten Vertrauen in die Mitmenschen wird. Das aber setzt voraus, dass es Orte der Begegnung gibt. Die müssen wir wieder schaffen. Begegnungen sind die einzige Möglichkeit, ein Übermaß an Stereotypisierungen und Stigmatisierungen zu überwinden, unter denen unsere Gesellschaft zunehmend leidet. Ich glaube, es kann keine demokratische Gesellschaft geben, wenn bestimmte Gruppen langfristig ausgeschlossen sind. Aber genau das geschieht gerade.
https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-11/jutta-allmendinger-soziologin-wohnungsnot-verunsicherung-sozialpolitik/seite-2

Ulrike Herrmann erklärt, warum eine Mehrheit aus der Mittelschicht einer Politik folgt, die nur den Eliten nützt, und warum selbst unter den Ärmsten eine Mehrheit noch nicht klar wahrnimmt, dass und warum sie arm sind.
https://www.moment.at/story/interview-ulrike-herrmann?fbclid=IwAR0JIXfXEf0y2MB-Yh1L-dG21PRpoxHvYt08aomXrlGJJGAxDLrduQWOOw4

Ulrike Herrmann: Versteckter Reichtum. Das Vermögen der Millionäre. Taz 18.12.2019
Das Institut der Deutschen Wirtschaftet behauptet, die soziale Ungleichheit nehme nicht weiter zu, die Vermögensungleichheit sei sogar leicht gesunken. Mit der Erhebung der Vermögenssteuer könnte das geklärt werden. Die Reichen und ihre Lobby haben das bisher verhindert.
https://taz.de/Das-Vermoegen-der-Millionaere/!5646388/


Christoph Butterwegge: Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland Beltz 2019, 414 S., 24,95 €
Christoph Butterwegge, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, bietet in seinem Buch keine Momentaufnahme sozialökonomischer Ungleichheit, sondern auf 400 Seiten einen sachkundigen Überblick dazu, wie deutsche Regierungen von Adenauer bis Merkel in ihrem Handeln in der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik in unterschiedlicher Parteizusammensetzung Reichtum kontinuierlich gefördert und Armut selten wirksam bekämpft haben.
Bei der Förderung privaten Reichtums von Kapitalgesellschaften und Aktionären durch Steuerpolitik hat sich die rot-grüne Regierung von Schröder und Fischer besonders hervorgetan.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/reich-ist-nie-genug?fbclid=IwAR0Gg-9subRdjlZG1VD9PRd-JgnPocjrPMMl4KvgvvpVzdRXWwkP181dQbE

„Erst mal den Finanzsektor vergesellschaften“
Interview. Grace Blakeley weiß, warum für so viele Millennials der Sozialismus auf einmal alternativlos ist
https://www.freitag.de/autoren/pep/erst-mal-den-finanzsektor-vergesellschaften?fbclid=IwAR0kEpY6d5lKQcsWYRXWBa1JxZ-g8Ay1RRKI9Wgv-DK1a4gKPkE5U-WKG78

Steuerdiebe im Rampenlicht. Jahresrückblick 2019. Heute: »Cum-Ex«.
Öffentliche Aufmerksamkeit für Steuerskandal. Juristische Aufarbeitung angelaufen

https://www.jungewelt.de/artikel/369460.jahresr%C3%BCckblick-steuerdiebe-im-rampenlicht.html?fbclid=IwAR2xOYOrbFi19zsNDlUioU4UNXufNfFJfrXZaqM9HkUeFhYYM03l09-HJ3g

Emanzipation

Klaus Theweleit: «Männer tragen eine 12 000 Jahre alte Gewaltgeschichte im Körper, die in unseren Gesellschaften gepflegt und gefördert wird»

„Seitdem es diese männerdominierten Gesellschaften gibt, gibt es auch den Übergriff auf den weiblichen Körper und einen dauernden Vorschriftenkanon mit Definitionen, wie Weiblichkeit auszusehen hat. Auch alle Buchreligionen haben sich an dieser männlichen Dominanz orientiert. Einer der Hauptzwecke der Bibel und des Koran besteht darin, Lebensregeln für Frauen aufzustellen: wie sie zu gebären und zu heiraten haben, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Religionen sind manngemacht, Gottes Wort ist auch immer das Wort des Mannes. Damit ist der Übergriff von Anfang an gegeben.“
https://www.nzz.ch/feuilleton/klaus-theweleit-maenner-tragen-eine-gewaltgeschichte-im-koerper-ld.1524973?fbclid=IwAR13WPGuSYMiC7bxoDC9rTz74fG56QRa9vXqUTa7sPx1rMrEXwhCGDBsxcs

„Vergewaltiger bist du“
Chilenische Aktivistinnen klagen mit einem Tanz die Gewalt von Männern und Staaten an Frauen an. Sie finden damit weltweit Nachahmerinnen.
https://taz.de/Feministische-Performance-geht-viral/!5645695/

Das Kollektiv Las Tesis in Chile: „Der Unterdrückerstaat ist ein Mann, der vergewaltigt“
https://www.youtube.com/watch?v=yJGE9zqgna8


„Aus der Emanzipationsforderung ist der Gleichberechtigungsanspruch geworden. Emanzipation bedeutete Befreiung durch Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, Aufhebung der hierarchischen Gesellschaftsstruktur zugunsten einer demokratischen: Aufhebung der Trennung von Kapital und Arbeit durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Beseitigung von Herrschaft und Knechtschaft als Strukturmerkmal der Gesellschaft.

Der Gleichberechtigungsanspruch stellt die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Ungleichheit zwischen den Menschen nicht mehr in Frage, im Gegenteil, er verlangt nur die konsequente Anwendung der Ungerechtigkeit, Gleichheit in der Ungleichheit: Die Gleichberechtigung der Arbeiterin mit dem Arbeiter, der Angestellten mit dem Angestellten, der Beamtin mit dem Beamten, der Redakteurin mit dem Redakteur, der Abgeordneten mit dem Abgeordneten, der Unternehmerin mit dem Unternehmer. Und tatsächlich beschäftigt dieser Gleichberechtigungsanspruch heute noch jeden gewerkschaftlichen Frauenkongreß und jede Unternehmerinnentagung, weil er sich erst juristisch, nicht aber praktisch durchgesetzt hat. Es scheint, als hätte eine ungerechte Welt noch Schwierigkeiten, wenigstens ihre Ungerechtigkeiten gerecht zu verteilen.“ (Ulrike Meinhof)

Der ganze Text steht in dem von Christa Rotzoll 1968 herausgegebenen Buch „Emanzipation und Ehe“

2.12.2019
Klaus Jünschke

9. November 2019 Der unerledigte Auftrag: Die Aufarbeitung der Vergangenheit

Am Schluss seines Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ sagte Adorno 1959: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt werden. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“

Zwei Jahre lang gab es Bemühungen die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus zu thematisieren  und ihre Überwindung einzufordern.

Der Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald vom 19. April 1945 endete mit den Worten:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
WIR SCHWÖREN!“
Buchenwald/Weimar 19.April 1945
https://dasjahr1945.de/der-schwur-von-buchenwald/

Die SPD forderte am 15. Juni 1945 im Aufruf zum Neuaufbau ihrer Partei u.a.: „Verstaatlichung der Banken, Versicherungsunternehmen und der Bodenschätze, Verstaatlichung der Bergwerke und der Energiewirtschaft. Erfassung des Großgrundbesitzes und der lebensfähigen Großindustrie und aller Kriegsgewinne für die Zwecke des Wiederaufbaus. Beseitigung des arbeitslosen Einkommens aus Grund und Boden und Miethäusern.“ (Gebhard Diemer: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Wege zur Republik 1945-1947, Schöningh, 1979, S. 170)

Im Potsdamer Abkommen, das vom 17. Juli – 2. August 1945 beraten wurde, sind Grundsätze zur Behandlung Deutschlands festgelegt worden und es wurden Kriterien für eine antifaschistische und friedliche Perspektive formuliert, wie z.B. Forderungen nach Auflösung hegemonialer Wirtschafts-strukturen, Forderungen nach wirklicher demokratischer Partizipation, Entmilitarisierung u.a.
Der antifaschistisch-demokratische Neubeginn sollte sich an den „großen D’s“ orientieren: Demokratisierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung.
https://dasjahr1945.de/das-potsdamer-abkommen/

Im Amt der US-Militärregierung für Deutschland (Office of Military Government for Germany (U.S.) (OMGUS)) wurde ernsthaft daran gearbeitet: Zu den Aufgaben der OMGUS-Mitarbeiter gehörte auch die Entnazifizierung und damit die Neueinsetzung durch den Nationalsozialismus unbelasteter Deutscher in sämtliche Positionen des öffentlichen Lebens. Ein weiterer Schwerpunkt war die Beschaffung detaillierter Informationen über die Verstrickungen der deutschen Wirtschaft in die NS-Herrschaft. Diese umfangreiche Dokumentation (auch „OMGUS-Akten“ genannt) diente bei den Nürnberger Prozessen als Beweismaterial. In einem Abschlussbericht empfahl OMGUS unter anderem die Auflösung der drei deutschen Großbanken (Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank) sowie der I.G. Farben. https://de.wikipedia.org/wiki/Office_of_Military_Government_for_Germany_(U.S.)

Mit dem aufkommenden Kalten Krieg endete die Aufarbeitung.

Truman-Doktrin
Am 12. März 1947 gab der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman vor dem US-Kongress eine Erklärung ab, die als sogenannte Truman-Doktrin in die Geschichte einging. Nach dieser Doktrin sollte es zum außenpolitischen Grundsatz der Vereinigten Staaten von Amerika werden, „freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen“. Truman erklärte, dass die USA bereit seien, dem dringenden Appell der griechischen Regierung um wirtschaftliche und militärische Unterstützung im Griechischen Bürgerkrieg nachzukommen. Auch die Türkei, die sich in einer ähnlichen Situation wie Griechenland befand, solle amerikanische Hilfe erhalten.
Die Truman-Doktrin bedeutete das Ende der amerikanischen Kriegskoalition mit der Sowjetunion und markiert den Beginn des Kalten Krieges. Mit ihr beginnt das finanzielle Engagement der USA in der Containment-Politik.
https://de.wikipedia.org/wiki/Truman-Doktrin

Adornos in diesem Jahr veröffentlichter Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, den  er 1967 vor Studenten in Wien gehalten hat, wurde quer durch alle Medien begeistert aufgenommen.
Beispielheft sei die Zeit zitiert: „Der Rechtsradikalismus wird wiederkehren, solange das Kapital triumphiert: Theodor W. Adornos Erklärungen für den Erfolg der NPD in den späten Sechzigerjahren gelten auch heute noch.“
https://www.zeit.de/2019/31/theodor-w-adorno-rechtsradikalismus-kapitalismus-buch

In der Auseinandersetzung mit der AfD kommen die von Adorno genannten gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nicht vor. Statt dessen wird versucht ein anderes Symptom zur Ursache zu erklären: Rassismus.

Norbert Elias dazu: „Es scheint, dass Begriffe wie „rassisch“ oder „ethnisch“, die in diesem Zusammenhang sowohl in der Soziologie als auch in der breiteren Gesellschaft weiterhin gebraucht werden, Symptome einer ideologischen Abwehr sind. Durch ihre Verwendung lenkt man die Aufmerksamkeit auf Nebenaspekte der Figuration (z.B. Unterschiede der Hautfarbe) und zieht sie ab von dem zentralen Aspekt (den Machtunterschieden).“
Elias, Norbert / Scotson, John L. (1990): Etablierte und Außenseiter. Frankfurt a.M. S.26.f.

Wer die soziale Ungleichheit nicht überwinden will, soll uns nichts vom Faschismus erzählen.

9.11.2019
Klaus Jünschke