Erinnerungskultur ohne Aufarbeitung der Vergangenheit

Der Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald vom 19. April 1945 endete mit den Worten:
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach: WIR SCHWÖREN!“ Buchenwald/Weimar 19.April 1945
https://dasjahr1945.de/der-schwur-von-buchenwald/

Im Potsdamer Abkommen, das vom 17. Juli – 2. August 1945 beraten wurde, sind Grundsätze zur Behandlung Deutschlands festgelegt worden und es wurden Kriterien für eine antifaschistische und friedliche Perspektive formuliert, wie z.B. Forderungen nach Auflösung hegemonialer Wirtschaftsstrukturen, Forderungen nach wirklicher demokratischer Partizipation, Entmilitarisierung u.a.
Der antifaschistisch-demokratische Neubeginn sollte sich an den „großen D’s“ orientieren: Demokratisierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung.
https://dasjahr1945.de/das-potsdamer-abkommen/

Dazu ist es nicht gekommen. 

Im Juni 1947 legte eine Sonderkommission der amerikanischen Militärverwaltung (OMGUS — Office of Military Government for Germany – U.S.) einen Untersuchungsbericht über die Deutsche Bank vor.

Die OMGUS-Untersuchungsgruppe, das „Deutsche Bank Team“, war dem Finanzministerium unter Henry Morgenthau angegliedert und bestand aus jüdischen deutschen Emigranten, amerikanischen Finanzwissenschaftlern und Historikern. Dieser Gruppe war es nach der faschistischen Niederlage 1945 einige Monate lang möglich, relativ frei in Deutschland zu forschen, während die Nürnberger Prozesse vorbereitet wurden. Ihr oberster Dienstherr, der amerikanische Finanzminister Morgenthau, verfolgte ein Konzept, Deutschland zu entmilitarisieren, die Montanindustrieanlagen zu demontieren und die großen Banken und Industriekonzerne zu entflechten.

Der OMGUS-Bericht verschwand dann 1947 in der Versenkung, nachdem in den USA die Truman-Administration Roosevelt abgelöst hatte und Deutschlands wirtschaftlicher Wiederaufbau einen wichtigen Faktor im beginnenden Kalten Krieg ausmachte.

Der Bericht des „Deutsche Bank Teams“ wies nach, daß die Führer dieses Bankgiganten die engsten politischen Beziehungen zum Machtzentrum des „Dritten Reiches“ hatten, und daß führende Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bank wie Emil G. von Stauß, Philipp Reemtsma, Carl Friedrich von Siemens oder Albert Pietsch Hitler bereits lange vor dessen Machtantritt finanziert hatten. Der Bericht legte die Mechanismen bloß, durch welche die Bank das Finanzgeflecht des Reichsgebiets kontrollierte und ihre Kontrolle auch über die Industrie ausübte. Er zeigte, welche Rolle sie bei der Wiederaufrüstung und Kriegsvorbereitung gespielt hatte und wie sie die „Arisierung der Wirtschaft“ vorantrieb, von der sie selbst massiv profitierte. Er wies nach, wie sich ihr Auslandsgeschäft entwickelte und wie eng ihre weltweiten Operationen mit den Annexionsprogrammen des „Dritten Reiches“ koordiniert waren.

Ein besonderes Kapitel befaßte sich mit der Ausbeutung der Zwangsarbeiter, KZ-Insassen und Kriegsgefangenen durch die Aktiengesellschaften, welche die Deutsche Bank kontrollierte, darunter die Mannesmann-Röhrenwerke, die Bayrischen Motoren-Werke, Daimler-Benz oder Siemens.

Die Quintessenz wird in folgenden Empfehlungen zusammengefaßt, die jedoch nach 1947 niemanden mehr interessierten:

„Es wird empfohlen, daß:

1. die Deutsche Bank liquidiert wird,

2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,

3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden.“ (O.M.G.U.S. Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, Nördlingen, 1985)
https://www.wsws.org/de/articles/1999/02/fond-f23.html

Im Schluss seines Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ sagte Adorno 1959: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt werden. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“

Statt der Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, statt der Auflösung hegemonialer Wirtschaftsstrukturen, statt Entmilitarisierung, statt wirklicher demokratischer Partizipation gibt es eine Erinnerungskultur ohne Auseinandersetzung mit den Ursachen der eigenen Verbrechen. 

Aktuell zum Thema Erinnerungskultur ein Interview mit Jan und Aleida Assmann, die am 14. Oktober 2018 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben:

Jan Assmann: Aleida gehört zu den Gründungsfiguren der deutschen Erinnerungskultur – das Wort hat sie erfunden. Ich habe mit meinen Forschungen zum kulturellen Gedächtnis in der Antike für die historische Tiefenzeit und die religiöse Dimension gesorgt. Wir werden auch die Friedenspreisrede als Paar halten.

Frau Assmann, was verstehen Sie unter Erinnerungskultur?

AA: Angefangen haben wir mit dem kulturellen Gedächtnis. Ich habe nach und nach gewisse Differenzierungen eingearbeitet. Das politische oder nationale Gedächtnis zum Beispiel ist an einen Staat gekoppelt, der Rahmenbedingungen des Erinnerns vorgibt. Davon habe ich das soziale Gedächtnis der Gesellschaft abgesetzt, das auf Medien und Kommunikation beruht. Hinzu kommen das Familien- und das persönliche Gedächtnis. Diese Arbeit beschäftigte mich, als sich in Deutschland mit einem Generationswechsel vieles veränderte. Der Historikerstreit 1986 spielte dabei auch eine ganz wichtige Rolle, zusammen mit der Rückkehr der Holocaust-Erinnerungen. Damals endeten vier Jahrzehnte eines ‚kommunikativen Beschweigens’ der NS-Zeit. Die Erinnerungskultur entstand mit dieser Rückkehr der Erinnerung. Getragen wurde sie zunächst von unten von zivilgesellschaftlichen Initiativen und künstlerischen Projekten, bevor sie bei der Entscheidung für das Berliner Holocaust-Denkmal bei Kanzler Helmut Kohl oben ankam und vom Bundestag aufgegriffen wurde. Neu daran war, dass eine Nation nicht allein mit dem Blick des Stolzes und der Ehre auf ihre Geschichte blickte, sondern auch die eigenen Verbrechen ins nationale Gedächtnis aufnahm.
https://www.rnz.de/panorama/magazin_artikel,-heidelberger-professorenpaar-den-buchpreis-kannten-sie-bisher-nur-aus-dem-fernsehen-_arid,390940.html

8.10.2018
Klaus Jünschke

Schleim liegt über dem Land

Nach dem Sitzstreik von Heinrich Böll in Mutlangen sollte von den „Kulturschaffenden“ erwartet werden, dass dieses Engagement als Maßstab wahrgenommen wird.

Statt dessen dieser Schleim:                  
290 Kulturschaffende zeigen sich entsetzt darüber, „dass der Bundesinnenminister fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiere und dem internationalen Ansehen des Landes schadet.“
Zur Arbeitsfähigkeit der Regierung gehören die von Jahr zu Jahr steigenden Rüstungsexporte, der eskalierende Ausbau der Festung Europa, die andauernde Ausplünderung der afrikanischen Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen.
Alle haben die Bücher von Jean Ziegler im Regal und wissen, dass jeder verhungernde Mensch ein ermordeter Mensch ist. Aber die deutschen Eliten waschen sich ihre schmutzigen Hände in Unschuld und haben eine Riege Kulturschaffender an ihrer Seite, die PR für das internationale Ansehen macht statt wenigstens einmal einen Rüstungskonzern zu blockieren.
https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-ruecktrittsforderung-101.html

22.09.2018
Klaus Jünschke

Köln ist überdurchschnittlich

Im Express war das mal so zu lesen: „ Auffällig ist, dass in Köln sowohl die Armutsquote als auch die Zahl der Millionäre über dem Durchschnitt liegen.“

In Köln leben 402 Einkommensmillionäre und über 250.000 Kölnerinnen sind arm. (Ja, wegen der überdurchschnittlich hohen Lebenshaltungskosten sind in Köln nicht 20% sondern 25% aller Kölnerinnen arm).

Im Aufruf „Gemeinsam zeigt Köln Haltung“ heißt es davon unberührt: „Wir fordern die gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation geflüchteter Menschen. Ihr Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheit und menschenwürdigem Wohnen muss sichergestellt sein.“

Zugang Bildung
In Köln fehlen Lehrer und Klassenzimmer. „Mehr als 11 100 Schüler haben im vergangenen Sommer (in NRW) die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Wie das Statistische Landesamt am Mittwoch mitteilte, entspricht das 5,7 Prozent der gut 197 000 Schulabsolventen. Die Zahl hat sich leicht erhöht: Im Vorjahr waren es gut 10 800. Die Schüler stehen damit vor einer ungewissen Zukunft und einem erhöhten Risiko, arbeitslos zu werden.

Zugang Arbeit
Die Agentur für Arbeit hat im August 2018 in Köln 46.401 Arbeitslose gezählt.
Unterbeschäftigt, weil sie Teilnehmer an einer Maßnahme der Arbeitsförderung oder kurzfristig erkrankt sind, waren im gleichen Zeitraum zusätzlich 60.840 Menschen.
Gerhard Schröder: „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“

Zugang Gesundheit
Köln ist an 4.Stelle der Städte mit den meisten Drogentoten. In den vergangen 20 Jahren waren es 967. Im vergangen Jahr waren es in Deutschland 1.272.
Drei Millionen Kinder wachsen in Deutschland in Familien mit Suchtproblemen auf.
http://www.trend.infopartisan.net/trd0116/Schiffer-Nasserie_8_Thesen.pdf

Zugang Wohnungsmarkt
Mit ca. 460 Euro Monatsmiete zahlen Studenten in Köln für ein WG-Zimmer mehr als im Bundesdurchschnitt. Wenn sie ein Zimmer kriegen. In Köln hat etwa die Hälfte der Menschen ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein, der den Bezug einer geförderten Wohnung erlaubt. Allerdings gibt es nur rund 38.000 solcher Sozialwohnungen. Zum Vergleich: 1990 waren es noch rund 100.000. Die Zahl der Obdachlosen wird auf 3.000 bis 5.000 geschätzt.

Was mit der Forderung nach „gleichberechtigter Teilhabe und Partizipation geflüchteter Menschen“ ganz ignoriert wird, ist dass es Frauen und Männer sind, die flüchten und in einer Gesellschaft ankommen, die patriarchal strukturiert ist. In den Aufsichtsräten der Banken und Konzerne sind Frauen mit 5% vertreten. Ganz unten, in den Gefängnissen, sind gleichfalls die Männer mit 95% nahezu unter sich. Folge einer bisher ausgebliebenen gesellschaftlich relevanten Auseinandersetzung mit dieser hegemonialen Männlichkeit, für die diese Daten beispielhaft stehen, ist nicht zuletzt dieser Dauerbrenner „gleichberechtigte Teilhabe und Partizipation.“. Nicht einmal genügend Schutz gibt es für die Opfer dieser Gewaltverhältnisse. Der Verein Frauen helfen Frauen teilte diesen Januar mit: „Ein drittes Frauenhaus konnten wir bisher politisch nicht durchsetzen.“

Die Pogrome von Hoyerswerda zwischen dem 17. und 23. September 1991 und in Rostock-Lichtenhagen zwischen dem 22. und 26. August 1992 und die Mord-Anschläge in Mölln am 23. November 1992 und Solingen am 29. Mai 1993 führten in Deutschland zu den größten Kundgebungen gegen Rassismus mit mehreren Millionen Teilnehmerinnen. Am 9. November 1992 versammelten sich über 100.000 Menschen auf dem Chlodwigplatz in Köln. Am 6.Dezember 1992 beteiligten über 400.000 Menschen an einer Lichterkette in München.

Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag die Neuregelung des Asylrechts. Durch die Änderung des Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes (mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 umbenannt in Asylgesetz) wurden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Die von Politikern zur Besänftigung der Proteste versprochene Bekämpfung der Fluchtursachen fand nicht statt. Deutschland beteiligt sich wieder an Kriegen, die Rüstungsexporte stiegen auf nie dagewesene Höhen und die Plünderung Afrikas ging weiter.

Aber von Fluchtursachen ist im Aufruf „Gemeinsam zeigt Köln Haltung“ nicht die Rede. Dafür ist zu lesen: „Die EU und Deutschland haben sich von der Geltung des Flüchtlingsschutzes verabschiedet.“ Wie können sich die EU und Deutschland vom Flüchtlingsschutz verabschieden, wenn sie mit ihrer Wirtschafts- und Militärpolitik ständig Fluchtursachen produzieren? Arian Schiffer-Nasserie: „Deutschland ist zentral an der Verursachung der Fluchtgründe beteiligt. Darüber muss man reden, wenn einem wirklich etwas an der Abschaffung des Flüchtlingselends gelegen ist…  …Wenn man sich nicht mehr mit den Ursachen der Notlagen in Deutschland und der Welt befassen will, dann ist Hilfe gar kein erster Schritt zur Überwindung der Probleme, sondern nur die Betreuung des Leids… …Die Ursache liegt in einer Weltordnung, die darauf ausgelegt ist, dass die erfolgreichen kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas den Nutzen aus der Welt ziehen und die Armutsresultate, die sie dabei überall produzieren, und das Elend, das dabei notwendig zustande kommt, bei sich nicht haben wollen.“

Wer nicht will, dass sich arme Zuwanderinnen und arme Einheimische bei uns als Feinde gegenüberstehen, muss sich für die Überwindung der Armut engagieren. Politkitsch wie „Liebe ist stärker als Hass“, „gemeinsam sind wir Köln“ oder „wir sind 1“ versöhnt mit dem was ist.

10.9.2018 Klaus Jünschke

1968

Fast immer wird nach den Errungenschaften von 1968 gefragt und es werden solche Antworten präsentiert, wie z.B. von Claus Leggewie: „Die 68er haben die Frauenbewegung, eine weniger autoritäre Pädagogik, ein neues Verhältnis der Generationen und der Geschlechter sowie viele Lockerungen im öffentlichen Leben, im Effekt auch viele Gesetzesliberalisierungen befördert.“

Aber für Rudi Dutschke bezweckte die antiautoritäre Protestbewegung nicht diese Lockerungsübungen. Er hatte einen Begriff von Emanzipation in dieser Tradition: Adorno in der 1944 verfassten Minima Moralia: „Auf die Frage nach dem Ziel der emanzipierten Gesellschaft erhält man Antworten wie die Erfüllung der menschlichen Möglichkeiten oder den Reichtum des Lebens. So illegitim die unvermeidliche Frage, so unvermeidlich das Abstoßende, Auftrumpfende der Antwort, welche die Erinnerung an das sozialdemokratische Persönlichkeitsideal vollbärtiger Naturalisten der neunziger Jahre aufruft, die sich ausleben wollten. Zart wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll.“

Nicht zufällig begann die Protestbewegung die zu 68 wurde im Dezember 1964 mit einer Demonstration gegen den kongolesischen Ministerpräsidenten Moise Tschombé. Rudi Dutschke hat darüber geschrieben:
http://www.glasnost.de/hist/apo/DutschkeTschombe.html

Rudi Dutschke hat aufgenommen, was aus der Dritten Welt kam. Frantz Fanon
in seinem 1961 erschienen antikolonialen Manifest „Die Verdammten dieser Erde“:

„Für die Dritte Welt geht es darum, eine Geschichte des Menschen zu beginnen, die den von Europa einst vertretenen großartigen Lehren, aber zugleich auch den Verbrechen Europas Rechnung trägt, von denen das verabscheuungswürdigste gewesen sein wird: beim Menschen die pathologische Zerstückelung seiner Funktionen und die Zerstörung seiner Einheit; beim Kollektiv der Bruch, die Spaltungen; und schließlich auf der unermesslichen Ebene der Menschheit der Rassenhass, die Versklavung, die Ausbeutung und vor allem der unblutige Völkermord, nämlich das Beiseiteschieben von anderthalb Milliarden Menschen.“

Rudi Dutschke am 3.12.1967 im Interview im Südwest-Fernsehen:

„Wir sind nicht hoffnungslose Idioten der Geschichte, die unfähig sind, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Das haben wir uns jahrhundertelang eingeredet.
Viele geschichtliche Zeichen deuten darauf hin, dass die Geschichte einfach nicht ein ewiger Kreisel ist und nur immer das Negative triumphieren muss. Warum sollen wir vor dieser geschichtlichen Möglichkeit Halt machen und sagen: »Steigen wir aus, wir schaffen es doch nicht, irgendwann geht es mit dieser Welt zu Ende.«
Ganz im Gegenteil, wir können eine Welt gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat, eine Welt, die sich auszeichnet, keinen Krieg mehr zu kennen, keinen Hunger mehr zu haben, und zwar in der ganzen Welt. Das ist unsere geschichtliche Möglichkeit, und da aussteigen? Ich bin kein Berufspolitiker, aber wir sind Menschen, die nicht wollen, dass die Welt diesen Weg geht und darum werden wir kämpfen und haben wir angefangen zu kämpfen.“

Was in den meisten bisher erschienen Texten zu „50 Jahre 68“ fehlt, ist die Auseinandersetzung mit den Folgen der Niederlage der Protestbewegung.

Wie viele Menschen sind seit 1968 in Kriegen umgekommen?

Wie viele Menschen sind seit 1968 verhungert und an leicht heilbaren Krankheiten gestorben?

Es ist schwerer die Zahl der Toten seit 1968 zu ermitteln, als die Zahlen der von Jahr zu Jahr wachsenden Gewinne der internationalen Konzerne:

„Die Beträge, die in solche Standorte geflossen sind, stiegen von 11 Milliarden US-Dollar im Jahr 1968 über 385 Milliarden US-Dollar 1978 und 6 Billionen US-Dollar 1998 auf 21 Billionen US-Dollar im Jahr 2010. Nach konservativen Schätzungen hat die Verlagerung von Geldvermögen von 1968 bis heute somit um das 2.000fache zugenommen. Nahezu alle großen Konzerne verfügen über Offshore-Zweigunternehmen, mehr als die Hälfte des Welthandels fließt durch diese Steueroasen, fast alle hochvermögenden Privatpersonen besitzen Offshore-Konten, die ihnen steuerliche „Gestaltungsmöglichkeiten“ eröffnen.“ (John Urry: Grenzenloser Profit – Wirtschaft in der Grauzone, Berlin 2015)

14.04.2018

Klaus Jünschke

Rassismus und soziale Ungleicheit

Vor einem halben Jahr hat der ehemalige Chefredakteur des Stadt-Anzeigers den Ebert-Platz zur no-go-area erklärt – mit bundesweitem Echo. Meine Kritik vom 31.10.2017 an diesem law-and-order-Stück endete so: „Was Peter Pauls und seine gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen uns einreden wollen hat Zygmunt Baumann als Law-and-Order-Wahn diagnostiziert – als ein Ersatz für den ernsthaften Versuch, sich der Herausforderung einer ständig wachsenden existentiellen Unsicherheit zu stellen.“

Seither hat es immer wieder Aktionen auf dem Platz gegeben, mit denen die Veranstalter behaupten, sie wollen den Platz den Kölnern zurückgeben. Vor zwei Tagen war es wieder mal so weit. Im Stadt-Anzeiger wurde heute darüber berichtet:

„Anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus veranstaltete das Bündnis ‚Kölner Forum gegen Rassismus und Diskriminierung‘ ein Bühnenprogramm. Ihr erklärtes Ziel: Den Ebertplatz für das Stadtleben zurückerobern.“ Und allen Ernstes fragt die Autorin Anna Hörter: „Doch kann eine Aktion das Image des Platzes umkrempeln?“ Statt die Kölner Medien für ihre law-and-order-Berichterstattung zu kritisieren, wird brav geantwortet: „‘Uns ist bewusst, dass die Aktion symbolhaft ist‘, sagte Hans-Peter Killguss vom NS-Dokumentationszentrum. Die Veranstalter wollten andere Perspektiven für den Ebertplatz aufzeigen: ‚Wir stehen gemeinsam gegen Rassismus‘.“

Warum fällt es diesem hilflosen Anti-Rassimus so schwer „sich der Herausforderung einer ständig wachsenden existentiellen Unsicherheit zu stellen“?

Fast jeden Tag kann man lesen, dass die Armen immer mehr und immer ärmer werden und die Reichen immer reicher. „Fast jeder Zehnte ist in Deutschland auf staatliche Unterstützung wie Sozialhilfe oder Hartz-IV-Leistungen angewiesen.“

Die Vorstandsvorsitzenden der zehn größten Konzerne verdienten im vergangenen Jahr zwischen 6 und 15 Mio Euro. Die Tagesschau berichtete „Chefs verdienen 50mal so viel wie Angestellte“.

Es gibt Aktionäre die 100mal mehr einnehmen als diese „Chefs“. Am Internationale Tag gegen Rassismus berichtete Spiegel-online, dass die BMW-Großaktionäre Stefan Quandt und Susanne Klatten für 2017 eine Milliarde Euro Dividende bekamen.

Wenn dieser Extremismus nicht Hauptthema des Antirassismus wird, dient er wie die Erinnerungskultur nur legitimatorischen Zwecken.

23.03.2018

Klaus Jünschke