Am 12. Juni 2018 hat Sabine Wotzlaw vom Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln mitgeteilt, dass Oberbürgermeisterin Henriette Reker noch in diesem Jahr ein Amt für Integration und Vielfalt einrichten will.
https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/neues-amt-fuer-integration-und-vielfalt
Vergangene Woche hat Frau Reker das neue Amt vorgestellt. Es wird im Dezernat der Oberbürgermeisterin angesiedelt und soll im Dezember seine Arbeit aufnehmen. Die Dienststellen zu den Themen Einwanderung, Integration, Vielfalt und Inklusion sind dann unter einem Dach gebündelt. Die Leitung der 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt der bisherige Flüchtlingskoordinator Hans-Jürgen Oster.
https://www.rundschau-online.de/region/koeln/80-mitarbeiter-stadt-koeln-stellte-neues-amt-fuer-integration-und-vielfalt-vor-31601690
Ein langer Weg wurde zurückgelegt. Von dem mit zwei Stellen ausgestatteten Ausländerreferat unter Friedemann Schleicher im Sozialamt, über das personell aufgestockte interkulturelle Referat hin zum kommunalen Integrationszentrum sollen mit dem neuen Amt die Anliegen und Probleme der in Köln lebenden Menschen mit Migrationshintergrund endlich „Chefsache“ werden. Initiiert durch die jahrelange Lobbyarbeit des Runden Tisches für Integration hat der Rat der Stadt Köln schon am 14.12.2006 die Verwaltung beauftragt, ein Gesamtkonzept für die Integration von Migrantinnen und Migranten zu erstellen.
Was lange währt, wird nicht zwangsläufig gut. Wie in der Presseerklärung vom Juni und im Artikel der Kölnischen Rundschau vom 16.11.2018 über die Vorstellung des neuen Amtes das Thema Integration präsentiert wird, ist erschreckend selbstgerecht und ignorant.
Wenn es um die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus geht, lässt Köln die Welt wissen, dass die Stadt mit dem NS-Dokumentationszentrum die größte lokale Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland hat.
Wenn es um Köln und die Zuwanderer geht, hat das „Dritte Reich“ regelmäßig nicht stattgefunden: „Köln ist seit Jahrhunderten eine Einwanderungsstadt für Menschen aus vielen Ländern, die aus persönlichen, politischen, religiösen, aber auch wirtschaftlichen Gründen in die Kommune am Rhein kommen. Köln ist als bunte und tolerante Stadt in Deutschland bekannt.“ (Presseerklärung vom 12.Juni 2018) Diese Sorte Selbstdarstellung von Politik und Verwaltung wird von vielen Kulturschaffenden und Teilen der Bevölkerung mitgetragen. So hieß es vor drei Jahren in der Kölner Botschaft: „Aber an dem kulturellen und materiellen Reichtum, den uns die Zuwanderung seit mehr als 2000 Jahren in Köln beschert, erkennen wir auch, dass Integration ein lohnendes und ein realistisches Ziel ist.“ https://mobil.koeln.de/koeln/koelner-botschaft-gegen-gewalt_980882.html?page=0%2C1
Hin und wieder steht sogar im Boulevard wohin der „kulturelle und materielle Reichtum, den uns die Zuwanderung seit mehr als 2000 Jahren in Köln beschert“ gegangen ist. In einem Artikel des Kölner Express über die zunehmende Armut in NRW war am 19.02.2015 zu lesen: „Auffällig ist, dass in Köln sowohl die Armutsquote als auch die Zahl der Millionäre über dem Durchschnitt liegen.“
Frau Reker, die damals noch Sozialdezernentin der Stadt Köln war, hatte andere Prioritäten. Über den Neujahrsempfang der deutschen Bank berichtet die Kölnische Rundschau am 14.1.2016: „Die mit Beifall begrüßte Oberbürgermeisterin Henriette Reker forderte mehr Personal für Polizei und Justiz. Zudem lud sie die Anwesenden ein, mit ihr den Wirtschaftsstandort Köln zu stärken, denn dies sei die „eindrucksvollste Sozialpolitik, die es gibt“. In den nächsten Jahren dürfe es keine Erhöhung der Gewerbesteuer geben. Sie wolle Köln bei Medien, Uni und Messe auf Platz eins in Deutschland führen.“
Über Kritik an diesem Verständnis von Sozialpolitik ist in Köln nichts bekannt geworden. Die Wohlfahrtsverbände und die sozialen Initiativen, die mit den Lebenswelten der 250.000 Armen in Köln vertraut sind, halten nicht nur still. Allen Ernstes war im Stadt-Anzeiger zu lesen: „Fakten statt Vorurteile will der neue Caritas-Leitfaden „Arm in Köln“ liefern. Die Broschüre soll zu mehr Sicherheit im Umgang mit Betteln und Armut führen und Verständnis dafür wecken, dass Bettler und Obdachlose zur urbanen Gesellschaft einer Großstadt wie Köln dazugehören“. (KStA 17.10.2017)
https://www.ksta.de/koeln/koeln-archiv/armut-in-koeln-hilft-es–bettlern-auf-der-strasse-geld-zu-geben–28603894
Für die Abschaffung der Armut ist Köln nicht zuständig. Die Kämmerin Frau Klug in einem Interview mit Sarah Brasack und Helmut Frangenberg vom Stadt-Anzeiger: „Wir müssen vom Bund, der für die Sicherung gleicher Lebensgrundlagen zuständig ist, erwarten, dass er sich mehr und schneller einbringt.“ Auf die Frage „Was geschieht, wenn das nicht passiert?“ antwortet Frau Klug: „Davon gehe ich nicht aus.“
Davon gehen aber viele aus: „Eine Überwindung von Not, Armut und Unsicherheit oder gar eine »Angleichung der Lebensverhältnisse« erwartet sich – zu Recht – niemand mehr vom sozialen Staat, der in den letzten 15 Jahren große Teile seiner lohnabhängigen Bevölkerung im Interesse seiner Wirtschaft und seiner globalen Macht verarmt und verunsichert hat.“
https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Dillmann-Schiffer-Nasserie-Der-soziale-Staat.pdf
Immerhin sind kritisches Denken und die Bereitschaft zum Engagement für die Veränderung der Verhältnisse, die Armut produzieren, nicht gänzlich in Köln verschwunden. Claus-Ulrich Prölß, der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats in der November-Ausgabe der Flüchtlingspolitischen Nachrichten: „Wir können nicht erwarten, dass sich ausgegrenzte, verarmte und verängstigte Bevölkerungsgruppen „solidarisch“ gegenüber Flüchtlingen zeigen, wenn wir das Thema soziale Gerechtigkeit und die Forderung nach Gleichheit ignorieren.“
https://koelner-fluechtlingsrat.de/userfiles/pdfs/2018-11FluePolNa.pdf
Damit könnte auch in Köln angefangen werden zu fragen „Wieso gibt es »soziale Ungleichheit«, die »ausgeglichen« werden muss, wieso fehlt es an Möglichkeiten zur »Teilhabe« und was gefährdet eigentlich so systematisch den allseits beschworenen sozialen Zusammenhalt?“
https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Dillmann-Schiffer-Nasserie-Der-soziale-Staat.pdf
Hans-Jürgen Oster betonte bei der gestrigen Vorstellung, dass es das Ziel des neuen Amtes sei, „Teilnahme und Chancen aller Menschen in Köln zu verbessern“.
Eine Voraussetzung wäre, dass in Köln endlich eine Verständigung über Integration stattfindet.
Im Gespräch von Siegfried Jäger mit Manuela Bodjadzijev und Serhat Karakayali vom Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung wurde überlegt, ob der Begriff Integration überhaupt solidarisch-egalitär besetzt werden kann.
Manuela Bojadzijev & Serhat Karakayali: „Der Begriff und das Konzept der Integration sind schon lange – zumindest in der Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland – ordnungspolitisch ausgerichtet. Er taucht in der Vergangenheit dort auf, wo nach 1973 – dem Jahr, in dem der Anwerbestopp verhängt wurde – von der Entstehung von Ghettos und damit von sozialen Unruheherden und „sozialem Sprengstoff“ geredet wird. Auch diese Rede ist, ebenso wie der sich zu dieser Zeit etablierende Diskurs der Integration, als Reaktion auf die politischen und alltäglichen Organisierungsbemühungen von Migrantinnen und Migranten zu lesen. Vermutlich ließe sich zeigen, dass es hier eine bis in die Anfänge der Sozialpolitik zurückreichende Genealogie gibt, etwa den Umgang mit den berühmten „gefährlichen Klassen“. Integration impliziert unter einer solchen Perspektive eine strukturelle Asymmetrie: Integriert wird in etwas, nämlich die herrschende soziale Ordnung. Zugleich geschieht noch etwas Weiteres: Diese Ordnung wird samt ihrer Bevölkerung als existent und in gewisser Weise auch homogen gedacht und gesetzt. Sexistische Geschlechterverhältnisse, Klassenkämpfe etc. werden (…) negiert.
https://www.diss-duisburg.de/2010/12/soll-der-begriff-%E2%80%9Eintegration-kritisiert-oder-verteidigt-werden/
Das neue Amt trägt den Namen Amt für Integration und Vielfalt. Für die Auseinandersetzung mit „Vielfalt“ kann ich empfehlen:
Patricia Purtschert: Wir sind alle divers. https://www.woz.ch/-48f
Walter Benn Michaels: Wider den multikulturellen Imperativ http://rageo.twoday.net/stories/5542778/
17.11.2018
Klaus Jünschke