Ersatzfreiheitsstrafe – Kampf gegen die Armen, statt Bekämpfung der Armut

Wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und nicht zahlt, kommt in den Knast. Die betroffenen Frauen und Männer wurden zu einer Geldstrafe verurteilt, weil die angezeigten Delikte mehr oder weniger geringfügig waren: kleine Eigentumsdelikte, Drogenbesitz und Fahren ohne Ticket.

Moderiert von Martin Stankowski informierten am 30. November 2022 in der Karl-Rahner-Akademie über die Ersatzfreiheitsstrafe Dr. Nicole Bögelein vom Kriminologischen Institut der Kölner Universität, Petra Hastenteufel von der OASE  und der ehemalige NRW-Justizminister Dr. Peter Biesenbach.

Nicole Bögelein vermittelte den Umfang dieses sozialen Skandals: zwar wird an den jeweiligen Stichtagen bekannt, dass „nur“ 10% aller Insassen des Strafvollzugs in der Bundesrepublik  in Haft sind, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Aber übers Jahr gesehen sind mehr als die Hälfte aller Neuzugänge in den Strafanstalten sogenannte Ersatzfreiheitsstrafler. Sie sprach von 56.000 Frauen und Männern. Ein sehr deutsches Phänomen, wie Martin Stankowski mit Zahlen aus den europäischen Nachbarländern ergänzen konnte.

Eindringlich verwies Frau Bögelein auf eine Studie, mit der bekannt wurde, dass 15% aller Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen, suizidgefährdet sind – mit der Folge, dass einige von ihnen in Haft sterben.

Petra Hastenteufel erzählte von Frauen und Männer auf der Straße, die sie als Streetworkerin persönlich kennengelernt hat und deren Überlebensbedingungen eng mit ihrer Kriminalisierung verbunden sind. Eindrücklich war ihr Bericht von einem Forschungsprojekt der Katholischen Fachhochschule zum „Raumnutzungsverhalten von Menschen in Obdachlosigkeit“. Menschen auf der Straße legen täglich Strecken zurück, die Menschen mit einer Wohnung sich gar nicht vorstellen können, weil sie fast alles in den eigenen vier Wänden haben: Schlafplatz, Toilette, Waschgelegenheit, Waschmaschine, Computer, Kühlschrank, Küche, TV usw. Da fallen so viele für die Obdachlosen unbezahlbare KVB-Fahrten an, dass es niemand verwunderte von Nicole Bögelein zu erfahren, dass „Beförderungserschleichung“  20% aller Geldstrafen stellt und insgesamt der Anteil der Obdachlosen an den zu einer Ersatzfreiheitsstrafe Verurteilten extrem hoch ist. https://www.hn-nrw.de/raumnutzungsverhalten-von-menschen-in-obdachlosigkeit/

Bei der letzten Stichtagszählung waren 13,8% aller Gefangenen bei der Inhaftierung ohne festen Wohnsitz. Das bedeutet, dass sie nicht nur wegen nichtbezahlten Geldstrafen sitzen – wie die Armen mit Wohnungen auch, die die Mehrheit in den Gefängnissen stellt.

Dr. Peter Biesenbach hat erklärt, dass der Strafvollzug Straftäter resozialisieren sollte, aber das sei nicht das, was sich Richter bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe vorgestellt hatten. Er hatte schon vor zehn Jahre eine Initiative zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen gestartet, war aber im Bundesrat an den Mehrheitsverhältnissen gescheitert, die von seiner eigenen Partei, der CDU, bestimmt waren.

Er erinnerte, wie Fahren ohne Ticket zu einem Massendelikt werden konnte – nämlich ab der Zeit, als die Schaffner in Bussen und Bahnen abgeschafft wurden. Das wird oft vernachlässigt, wenn davon gesprochen wird, dass im kapitalistischen Wirtschaftssystem Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Unerwähnt blieb, dass auch ein anderes Massendelikt dieselbe Geschichte hat. Als die Selbstbedienungsläden entstanden und in den Kaufhäusern immer weniger Verkäuferinnen für immer größere Warenflächen zuständig wurden, eskalierte dieser Diebstahl. Allerdings angesichts der geringen Löhne auch durch das eigenen Personal, und nicht nur durch wohnungslose Arme.

Mindestens die Hälfte aller Obdachlosen ist suchtkrank. Manche wurden durch ihre Sucht obdachlos, andere wurden durch die Obdachlosigkeit süchtig. Als Haschisch, Opium und Heroin in Deutschland wie in den anderen europäischen Ländern Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre auftauchten, wurde mit einer Repressiven Drogenpolitik versucht die Gesellschaft drogenfrei zu machen. Jörn Foegen, der Leiter der JVA Köln, hatte in den 1990er Jahren angesichts des Scheiterns des „war on drugs“ immer wieder öffentlich erklärt, dass er ein Drittel aller Zellen dicht machen könnte, wenn es in Deutschland eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik geben würde. Die von ihm geforderte Abgabe von „anständigem Heroin“ an die Süchtigen, darunter auch viele Obdachlose, wurde erst 2008 vom Bundestag beschlossen, allerdings profitiert davon nur eine winzige Minderheit. 

Ex-Justizminister Biesenbach stellte fest, was alle an dem Abend Anwesenden wissen: Polizei und Justiz können die Armut und die Suchtkrankheiten nicht bekämpfen.

In der Bundesregierung ist diese Einsicht nicht angekommen. Die Ampel will die Ersatzfreiheitsstrafe nicht abschaffen, sondern nur halbieren. Damit werden weiterhin bundesweit Zehntausende arme Frauen und Männer zum Verbüßen einer Ersatzfreiheitsstrafe in die Gefängnisse einrücken müssen.

Schon bei der minimalen Reform von Hartz IV zum Bürgergeld hat sich gezeigt, dass die FDP mit der CDU stimmte, um zu verhindern, dass die ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit sanktionsfrei werden.

Da es in den Parlamenten noch keine Mehrheiten für die Entkriminalisierung der Armen gibt, entstehen an der Basis Initiativen, die an diesem Abend in der Karl-Rahner-Akademie auch vorgestellt wurden.

Reinhold Goss hat die grüne Kreismitgliederversammlung aufgefordert, dass die grüne Ratsfraktion ihren Einfluss geltend macht, dass die KVB „keine Strafanzeige aufgrund des Erschleichens von Leistungen nach § 265a StGB (dem Fahren ohne Fahrschein) bis zum Inkrafttreten eines sich aktuell abzeichnenden Bundesgesetzes stellt.“

Der Stadt-Anzeiger hatte am 30. 11. 2022 über Frau Wotzlaw, die Leiterin der JVA Köln berichtet:   „Nichts hält Wotzlaw von einem sogenannten Freiheitsfonds, mit dessen Hilfe Betroffene aus dem Gefängnis freigekauft werden.“ https://www.ksta.de/koeln/schwarzfahren-kvb-koeln-koelner-schon-viermal-im-gefaengnis-374518

Zu Beginn der Veranstaltung hatte Hans Mörtter vom Vringstreff die Gründung des regionalen Freiheitsfonds „Freikaufen Köln“ mit einem Flugblatt bekanntgegeben. Am Ende konnte er von einem Gespräch mit Frau Wotzlaw mitteilen, dass sie sehr wohl bereit ist mitzuhelfen, Ersatzfreiheitsstrafler in der Köln JVA  auszulösen. Die Einnahmen des Abends gingen an „Freikaufen Köln“.
https://vringstreff.de/freikaufen-koeln/

Die Kölner Regionalgruppe des bundesweiten Netzwerks Abolitionismus plant für das kommende Frühjahr eine Veranstaltung mit dem ehemaligen Gefängnisdirektor Thomas Galli zur Abschaffung der Gefängnisse.
https://strafvollzugsarchiv.de/abolitionismus   und https://www.thomas-galli.de/

2.12.2022
Klaus Jünschke

Abschließbare Einzelzimmer für alle

Wohnungslosigkeit ist eine Menschenrechtsverletzung

Es ist prima, was die Stadt alles unternimmt, um Flüchtlinge unterzubringen. Wenn die Stadt sich weiterhin nicht traut den Leerstand an Wohnungen zu beschlagnahmen: Warum kann man nicht an all diesen Standorten mit Unterkünften für Flüchtlinge ein paar Container für die Obdachlosen dazustellen – oder sonst wo in der Stadt auf Parkplätzen? Die am 14.Januar 2021 vom Sozialausschuss beschlossene Unterbringung aller Obdachlosen in abschließbaren Einzelzimmern ist möglich.

Herr Prof. Dr. Rau, warum wollen Sie nicht?

Oder warum dürfen Sie nicht?

Luisa Schneider war Referentin auf einem workshop der Stadt Köln zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und hat eindringlich vermittelt wieso gerade auch Obdachlose ein Recht auf Privatsphäre und Intimsphäre haben müssen.
https://www.youtube.com/watch?v=4w1eRJfdn-0

und
https://www.youtube.com/watch?v=7eVeVbyQNd4

Eine mörderische Stadt

Für das vergangene Jahr wurde mit 74 verstorbenen Frauen und Männern ein neuer Höchststand an Drogentoten von der Polizei in Köln bekannt gegeben. In der Berichterstattung um den Neumarkt geht es jedoch in erster Linie nicht um die Not und das Elend der Drogenkranken, sondern um die Belästigung der Anwohner. Wie heute der Stadt-Anzeiger meldet, soll die Belästigung durch die Drogenkranken durch eine Neugestaltung des Platzes und eine Verlängerung der Öffnungszeiten des Konsumraums im Gesundheitsamt gemildert werden.

Was seit Jahren aus der Drogen-Hilfe gefordert wird, kommt im Stadt-Anzeiger nicht vor und bei der Stadt Köln nicht an.

Benötigt werden in Köln Drogenkonsumräume in Mülheim, Kalk, Chorweiler und Kölnberg. Sie müssen rund um die Uhr geöffnet sein. Das würde die Scene um den Neumarkt entlasten.

Es muss Drug-Checking geben. Die Drogenkranken müssen die Möglichkeit haben vor dem Konsum testen zu lassen, inwieweit das Heroin gesundheitsgefährdend verunreinigt ist.

Die Substitution mit Diamorphin muss ausgeweitet werden. Wie kann es sein, dass Heroin als Medikament 2009 vom Bundestag zugelassen wurde, aber in Köln angesichts von mehreren Tausend Heroinabhängigen keine 80 mit Diamorphin substituiert werden?

Alle Drogenkranken müssen Wohnungen bekommen, wenigstens ein abschließbares Zimmer. Statt die obdachlosen Drogenkranken von der Straße zu holen, werden Drogenkranke aus der JVA in die Obdachlosigkeit entlassen.

Für eine Stadt ohne Obdachlosigkeit
Für eine Stadt ohne Zwangsräumungen
Für eine Stadt ohne Drogentote
Für eine Stadt ohne Gewalt gegen Frauen und Kinder
Für eine Stadt ohne Abschiebungen
Für eine Stadt ohne Armut

22.11.2022
Klaus Jünschke

PS
Der Express meldet: Köln: Zwei 14-Jährige greifen Obdachlosen an
Am Sonntag wurden die Einsatzkräfte der Bundespolizei zu einem weiteren brutalen Angriff gerufen. Gegen 18.30 Uhr sollen demnach zwei 14-Jährige einem 34-jährigen Mann eine Glasflasche gegen seinen Kopf geworfen und danach auf ihn eingeschlagen haben. Der Obdachlose erlitt dabei eine Platzwunde am Kopf.
https://www.express.de/…/koeln-hbf-zwei-brutale…

Von wem und wodurch lernen Kinder und Jugendliche Missachtung von Obdachlosen, wenn nicht von einer Stadt, die sie auf den Straßen verwahrlosen lässt.

Die Zahl der Drogentoten in NRW steigt

Wo bleiben die Drogenkonsumräume in Kalk, Mülheim, Kölnberg und Chorweiler?

Die Kölnische Rundschau berichtet:
„Die Zahl der Drogentoten in NRW entwickelt sich sehr besorgniserregend: Sie stieg von rund 200 im Jahr 2017 auf den Rekordwert von zuletzt fast 700. Ein Faktor, der zu den gestiegenen Zahlen beigetragen haben könnte, ist laut der Landesregierung „die eingeschränkte Verfügbarkeit niedrigschwelliger Suchthilfeangebote während der Corona-Pandemie.“ So sei die Zahl der Konsumvorgänge in den Drogenkonsumräumen in NRW von etwa 298 000 Vorgängen im Jahr 2019 auf 212 000 im Jahr 2021 zurückgegangen.“
https://www.rundschau-online.de/nrw/suchtproblem-in-nrw-die-zahl-der-drogentoten-steigt-immens-39971120?backlink

In Köln gibt es keine Drogenkonsumräume die rund um die Uhr geöffnet sind. Der Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt schließt werktags um 18:30 Uhr, samstags um 15:30 Uhr und ist sonntags geschlossen.

Seit Jahren wird auf den Gedenktagen für die Drogentoten die Eröffnung von Drogenkonsumräumen in Kalk, Mülheim, Chorweiler und Kölnberg gefordert.

Wenn es richtig ist, dass eine weitere Ursache der gestiegenen Zahl der Drogentoten der erhöhte Wirkstoffgehalt der Drogen ist, wie  LKA-Dezernatsleiter Colin Nierenz im Interview der Kölnischen Rundschau mitteilte, stellt sich die Frage nach dem Ausbleiben von Angeboten zum  drugchecking.
http://drugchecking.de/

Obwohl die Zahl der Drogentoten angestiegen ist, sind seit vielen Jahren die Landesmittel für Hilfsangebote nicht mehr erhöht worden.

Es ist überfällig, das Ende der repressiven Drogenpolitik zu fordern und die Initiativen für eine an einer Leidverminderung orientierten Drogenpolitik zu unterstützen. Dazu gehört die Entkriminalisierung der Drogen. Obwohl der Bundestag schon Heroin als Medikament zugelassen hat, um die Suchtkranken zu substituieren, endet der Artikel der Kölnischen Rundschau mit der Behauptung des LKA Düsseldorf, der Ruf nach einer Legalisierung des Cannabiskonsums sei fatal.

Am 27.01.1997 berichtete der Spiegel in seiner Titelgeschichte, dass viele Polizeipräsidenten für die Abgabe von Heroin an die Süchtigen sind, auch Kölns damaliger Polizeipräsident Roters zählte zu den Befürwortern.

Der damalige Leiter der JVA Köln, Jörn Foegen, erklärte, dass er ein Drittel der Zellen dicht machen könnte, wenn es eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik geben würde. http://www.jugendliche-in-haft.de/wp-content/2007/04/Foegen.pdf

Auch das Leid und der finanzielle Schaden durch die Beschaffungsdelikte der Drogenkranken kann gemildert werden. In den Städten dürfte den Drogen ein Drittel der Eigentumskriminalität zuzurechnen ist.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8651170.html

OMZ unvergessen

Gestern, am 22.09.2022,  wurde in der Südstadt mit dem Zugang über den Bischofsweg 48-50, der Pionierpark eingeweiht. Der Name ist vorläufig. Auf der website für dieses Projekt ist auf der Startseite ein Foto vom Gelände aus der Vogelperspektive:
https://www.parkstadt-sued.de/

Am unteren Ende des Parks in Richtung Bonner Straße sind große Haufen Erde und dahinter ein Zaun, der das noch nicht begrünte Gelände vom Pionierpark abtrennt.
Hier stand das Verwaltungsgebäude, das von Obdachlosen zu Beginn der Pandemie vor zwei Jahren besetzt wurde. Sie nannten sich Obdachlose mit Zukunft (OMZ).

Diese Zeit mit ihren Hoffnungen und Träumen von einem selbstbestimmten Leben in eigenen vier Wänden hat Susanne Böhm mit ihrem Team in einem Film dokumentiert: https://youtu.be/BMX5AF22jCs               

Der Film wurde gestern auf dem Kunstboot im Rheinau Hafen gezeigt, und Kalle Gerigk, einer der vielen Unterstützer der OMZ von Anfang an, schilderte wie das Projekt mit dem Umzug in die Gummersbacher Straße zum Scheitern gebracht wurde. Die in der Marktstraße vorhanden Räume erlaubten Hausversammlungen und boten realistische Aussicht den Traum vom gemeinsamen Wohnen und Arbeit zu verwirklichen. https://www.facebook.com/100003640373040/videos/3282042658740292

Ich  bin gestern auf einen dieser Erdhaufen im Pionierpark  gestiegen, um einen Blick über die Mauer werfen zu können und Fotos von der Freifläche aufnehmen zu können, die dahinter liegt.

Das OMZ hätte dort nicht nur bis heute stehen können. Es wäre auch möglich gewesen das Projekt mit seinem Café in den entstehenden Park zu integrieren.

Es konnte nicht realisiert werden, weil in der Stadtspitze und im Rat der Stadt Köln der Mehrheit jeder Bezug zur Armut in der Stadt fehlt.