Arm

Früher dachte ich, ich sei arm.
Aber mir wurde gesagt, ich sei nicht arm, sondern bedürftig.
Es hieß dann, es sei selbstzerstörerisch, wenn man sich für bedürftig halte, ich sei depriviert.
Das konnte sich nicht halten: depriviert habe ein schlechtes Image, ich sei unterprivilegiert.
Dann wurde mir gesagt, unterprivilegiert sei überstrapaziert, ich sei benachteiligt.
Als ich nicht mehr benachteiligt sein sollte, wurde ich sozial schwach.
Sozial schwach war auch bald mega-out, ich sei prekär, folgte dann.
Bis die Fachleute für Zusammenhalt entdeckten ich habe zu wenige Teilhabechancen.
Um mich zu trösten, sagt man heutzutage ich sei armutsgefährdet.

Ich muss sagen, ich habe immer noch keinen Pfennig mehr, aber mein Wortschatz ist enorm gewachsen.
Und kommt mir jetzt bloß nicht mit bildungsfern. Ich bin arm, aber nicht blöd.

Angeregt von Harry A.Passow, Miriam Goldberg und Abraham J. Tannenbaum: Education of the Disadvantaged. New York 1967 und über die Jahre immer wieder erweitert von Klaus Jünschke

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