Die Soziologin Jutta Almendinger hatte am 1.12.2018 im Kölner Stadt-Anzeiger die Gelegenheit zur wachsenden Sozialen Ungleichheit in Köln und ihren Folgen für die Chancengleichheit in den Schulen zu sprechen: „Gerade in Köln ist in den vergangenen Jahren die soziale Segregation stark angestiegen. Und der Anteil der Kinder, die in benachteiligten Quartieren wohnen, ist relativ hoch in der Stadt. Von Chancengleichheit kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Wir brauchen eine Stadtentwicklungsplanung, die das soziale Miteinander an die erste Stelle setzt.“
Wodurch die soziale Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten verstärkt wurde, sodass heute 25% der Einwohner arm sind, hat die Kölner Autorin Claudia Pinl 2013 in ihrem Buch „Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit“, das im Frankfurter Nomen Verlag erschienen ist, erklärt:
Mit der Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahr 1997, aus der die Städte Anteile erhielten und der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer 1998 verloren die deutschen Kommunen verlässliche Einnahmequellen. Dadurch wurde das Sponsoring durch die Privatwirtschaft immer wichtiger. Die Unternehmen gaben werbewirksam zurück, was sie an Steuern eingespart hatten, wenn auch nur in Bruchteilen.
Unter dem Zwischentitel „Rot-Grün pflügt die Gesellschaft um“ schildert sie die Folgen der Agenda 2010: Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse durch Befristung, Leiharbeit, Arbeiten unterhalb der Versicherungspflichtgrenze und Scheinselbstständigkeit.
Im Jahr 2000 wurden die steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten für Stiftungen ausgeweitet. Die öffentliche Hand verzichtet auf erhebliche Steuereinnahmen, wird arm und ärmer, damit die Vermögenden nach eigenem Gusto entscheiden können, wie sie ihre Millionen und Milliarden einsetzen – ohne demokratische Kontrolle. Entsprechend boomt das Stiftungswesen.
Mit Wehmut blickt sie auf die Sechziger Jahre zurück, als Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Fachhochschulen ausgebildet wurden: „Viele von ihnen waren durch die Studentenbewegung politisiert und arbeiteten neben ihrer professionellen „Einzelfallhilfe“ auch daran, gesellschaftliche Zustände schaffen, in denen Menschen nicht mehr auf diese Hilfen angewiesen sein würden.“ Die Sozialistische Selbsthilfe Köln und die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim stehen dafür bis heute.
Am Ende ihres Buchs stellt sich Claudi Pinl die Frage: „Darf man die Hilfsbereitschaft kritisieren?“ Und gibt die Antwort: „ Ja, man darf. Wenn Staat und Gesellschaft dulden, dass einige wenige sich auf Kosten vieler bereichern, dass öffentliche Infrastruktur und kulturelle Errungenschaften den Bach runtergehen, weil Multimillionäre den Hals nicht voll genug kriegen, wenn die politische Ebene sich von der Verantwortung verabschiedet, das gemeinsam Erwirtschaftete möglichst allen in der Gesellschaft zu gute kommen zu lassen. Dann muss man davor warnen, dass gutgläubige, hilfsbereite Menschen für die folgen politischer Fehlsteuerung den Ausputzer machen.“
Was ist zu tun: „Sich einsetzen für eine Politik, die den Reichtum in Deutschland umverteilt und die Almosengesellschaft verabschiedet.“
Wie lebendig die Almosengesellschaft ist und wie stark ihre Verteidiger kann heute wieder im Stadt-Anzeiger besichtigt werden. Statt sich von dem Maler Gerhard Richter erklären zu lassen, wofür er seine 500 Millionen Euro braucht, werden die Leserinnen und Leser des Blattes auf Seite 8 mit einer Bild von Richters beglückt: „Für die Leserinnen und Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat der in Köln lebende, weltberühmte Künstler nun die Erlaubnis gegeben, eine Kerze abzudrucken – zum Ansehen, vielleicht sogar zum Ausschneiden und Aufhängen, jedenfalls als kleinen Lichtblick in diesen schweren Zeiten.“ Für die heute gestartete künstlerische Solidaritätsaktion namens „Notgeld“ für Betroffene der Corona-Krise hat Richter etwa 30 Sonderdrucke seiner „Kerze“ spendiert.
https://www.ksta.de/kultur/kunst-als-trost-in-zeiten-der-krise-36574122