„Räuber und Gendarm“ für Erwachsene

Im Kölner Stadt-Anzeiger begann heute eine neue Serie: „Verbrechen – Tätern auf der Spur“.  Auf der Titelseite wird sie mit der ‚Schlagzeile „Mördern auf der Spur“ angekündigt.  https://www.ksta.de/koeln/verbrechen/lka-profiler-und-ihre-ungeloesten-faelle–sie-wusste–dass-sie-gleich-sterben-wird–36610456

Im ersten Teil der Serie dürfen zwei LKA-Profiler erzählen, wie sie bei der Fahndung helfen. Richtig skandalös ist die Behandlung des Bombenanschlags in der Keupstrasse vom 9. Juni 2004:

Tim Stinauer: Sie waren 2004 eingebunden in die Ermittlungen zum Nagelbombenanschlag auf der Kölner Keupstrasse. Ihre Analyse hatte früh ergeben, dass ein fremdenfeindliches Motiv  möglich sein könnte.
Andreas Müller. Dass es sogar wahrscheinlich ist.

Tim Stinauer: Was ging in Ihnen vor, als die Ermittlungen dennoch schnell in Richtung Organisierte Kriminalität gingen?
Andreas Müller: die Frage wird mir oft gestellt, und sie ist falsch. Denn sie ging sofort in die richtige Richtung. Unser Auftraggeber damals war die Kölner Polizei, und die hat alles richtig gemacht – aus heutiger Sicht genauso wie damals….

Tim Stinauer: Was sprach damals konkret für einen rechtsradikalen Hintergrund?
Andreas Müller: Unter anderem der Sprengsatz… …Wir haben Experten aus dem Bereich Organisierte Kriminalität, Terrorismus links und rechts sowie Sprengstoffexperten hinzugezogen. Gemeinsam kamen wir zu dem Schluss, dass eine fremdenfeindliche Tat wahrscheinlicher ist; dass es den Tätern, einig im Geiste, darum ging, dem ungestörten Treiben im imaginären Istanbul ein Ende zu setzen….

Tim Stinauer: Wenn das LKA  und die Polizei Köln doch so früh auf der richtigen Fährte waren – warum hat es bis 2011 gedauert, bis der Zusammenhang zum rechtsterroristischen NSU hergestellt wurde?
Andreas Müller: Die Information ist an höherer Stelle offenbar anders bewertet worden. Die Kölner Polizei jedenfalls war von vornherein bestens aufgestellt.

Obwohl Polizeireporter Stinauer genau weiß, dass bis 2011 vor allem Anwohner und Opfer verdächtigt worden waren, lässt er das durchgehen.

Wie die Kölner Polizei tatsächlich gearbeitet hat, kann im  wikipedia-Artikel über den Nagelbombenanschlag nachgelesen werden:

„Clemens Binninger, CDU-Obmann im ersten Bundestags-NSU-Untersuchungsausschuss, bezeichnete es als „fast schon skandalös“, dass zwei Polizisten, die in unmittelbarer Nähe des Anschlags auf Streife waren, erst neun Jahre später vernommen wurden.

Im Juli 2013 teilte Rechtsanwalt Yavuz Selim Narin, der die Familie des 2005 getöteten Theodoros Boulgarides im Prozess gegen Beate Zschäpe u. a. vertritt, folgendes mit: Mehrere Videoaufnahmen zeigen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt beim Platzieren der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße 2004. Aber das Videomaterial wurde nur lückenhaft beachtet, es muss in Gänze betrachtet werden. Beim stundenlangen Sichten hat Narin beim Bundeskriminalamt die vollständigen Videoaufzeichnungen entdeckt. Dort in den Akten liegt deutlich mehr Bildmaterial von Überwachungskameras des Musiksenders, als die eine bisher mitgeteilte Sequenz eines radschiebenden einzelnen Mannes.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Nagelbombenanschlag_in_K%C3%B6ln

Am Ende wird noch deutlich was dieses Interview hätte leisten können.

Tim Stinauer: Herr Müller, Sie ermitteln seit 30 Jahren im Bereich Gewaltdelikte. Was hat sich in all den Jahrzehnten verändert:
Andreas Müller: Es gibt heute nicht mehr so viele Sexualmorde wie früher.

Das BKA hatte mit Horst Herold einen Präsidenten, der daran glaubte mit dem  polizeilichen Informationsmonopol und der Datenverarbeitung durch immer stärkere Computer, soweit kommen zu können, dass die Polizei vor dem Täter am Tatort sein könnte. Statt das polizeiliche Wissen für Antworten auf die Fragen zu nutzen, was in der Gesellschaft verändert werden muss, damit es weniger Gewalt gibt. Und wenn ein Ermittler mal, wie in diesem Interview, erklärt, dass es immer weniger Sexualmorde gibt, wird nicht nach den Ursachen gefragt und überlegt, was geschehen sollte, damit die Gewalt gegen Frauen noch mehr zurückgeht. Obwohl es die Kriminalberichterstattung der Medien ist, die dazu beigetragen hat, dass die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass es immer mehr Mord und Totschlag gibt.

Auch wenn Polizeireporter Stinauer nicht danach gefragt hat: Andreas Müller spricht gesellschaftliche Ursachen an: „Die Gesellschaft ist unglaublich brutal gegenüber unseren jungen Leuten.“ Im Interview wird darauf nicht eingegangen, obwohl der Ermittler prognostiziert, dass es aufgrund dieser Brutalität, vermehrt Amoktaten mit Messern geben wird.

Der Dichter W.H.Auden hat das lange vor allen Profilern gewusst:

“I and the public know
What all schoolchildren learn,
Those to whom evil is done
Do evil in return.”

23. Mai 2020
Klaus Jünschke

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