Schafft endlich die Obdachlosigkeit ab

                                                             

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will,
sollte auch vom Faschismus schweigen.“
                                                                                                                   (Max Horkheimer)

Die Ausstellung „Die Verleugneten Opfer des Nationalsozialismus“ ist im NS-Dok.Zentrum vom 9. Oktober 2025 bis 4. Januar 2026 zu sehen. https://www.die-verleugneten.de/

Unter den von 1933 – 1945 in Konzentrationslager verschleppten und ermordeten sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ waren Alkoholiker, Obdachlose, Bettler, Prostituierte und Menschen mit Vorstrafen. Sie wurden von den Nazis zu „Gemeinschaftsfremden“ erklärt, die nicht würdig seien, der „nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“ anzugehören.

Am 24. November 2025 wurde in einer Begleitveranstaltung zur Kölner Ausstellung der Umgang mit Wohnungslosen heute thematisiert.

Auf das Podium geladen waren
Petra Hastenteufel OASE, Benedikt Labre e.V.)  https://www.youtube.com/watch?v=RnhY36_0JZc

Prof. Dr. Gabu Heindl (Universität Kassel) https://www.youtube.com/watch?v=qH9Vo4fQYfw

Dr. Tim Lukas (Universität Wuppertal)
https://www.youtube.com/watch?v=dflt5CUoCzs

und Prof. Dr. Harald Rau (Beigeordneter der Stadt Köln, Leitung Dezernat V für Soziales, Umwelt, Gesundheit und Wohnen)  https://www.stadt-koeln.de/service/adressen/dezernat-v-soziales-gesundheit-wohnen?cnw_autotranslate=hr

Dr. Henning Borggräfe, der Leiter des NS-Dok, hat die Veranstaltung moderiert.  https://de.wikipedia.org/wiki/Henning_Borggr%C3%A4fe

In der Ankündigung dieser Veranstaltung war zu lesen, dass Antworten auf die Frage gegeben werden sollen, wie der Stadt und der Stadtgesellschaft ein humaner Umgang mit Menschen, die auf der Straße leben, gelingt.

Am Schluss seines Vortrags „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ sagte Adorno 1959: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt werden. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“ https://www.youtube.com/watch?v=xNN1S2jIDkg

Bis 1967 war es in der Bundesrepublik möglich, Obdachlose allein aufgrund ihrer Obdachlosigkeit auf unbegrenzte Zeit zu inhaftieren. https://de.wikipedia.org/wiki/Obdachlosendiskriminierung

Gegen Ende der DDR war knapp ein Viertel aller Häftlinge wegen „asozialer Lebensweise“ inhaftiert. https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/asozialenparagraph-arbeitslos-opposition-arbeitslager-zwangsadoption-100.html

Im Rahmen des Forschungsprogramms zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit war von  2002-2012 auch die Abwertung von Obdachlosen, Homosexuellen und Behinderten untersucht worden. „Zum Thema Abwertung der Obdachlosen sagten 2007 38,8 % der Befragten, dass ihnen Obdachlose in Städten unangenehm seien (2005: 38,9 %). Der Aussage, Obdachlose seien arbeitsscheu, stimmten 32,9 % zu (2005: 22,8 %). Der Forderung, bettelnde Obdachlose sollten aus den Fußgängerzonen entfernt werden, schlossen sich 34 % der Befragten an (2005: 35 %). Insgesamt sei die Abwertung von Obdachlosen gegenüber 2005 gestiegen https://de.wikipedia.org/wiki/Obdachlosendiskriminierung

Warum der Bundestag angesichts solcher Zahlen die Ausstellung nicht wenigstens gleichzeitig in zehn Städten starten ließ, ist eine offene Frage.

Da auch für das Erinnern an die jahrzehntelang Verleugneten „Nie wieder ist jetzt“ gilt, war es nur logisch, dass Henning Borggräfe zuerst nach den Bezügen des Umgangs mit den Wohnungslosen in den Nazi-Jahren in der Gegenwart fragte.

Dr. Rau erklärte, dass in Köln die Frage der Wohngerechtigkeit dominiert. Über 50% der Wohnungslosen haben keinen deutschen Pass. Eine „Parallele zur NS-Zeit“ gebe es nicht. Während er das „Othering“ erwähnte, den Prozess, mit dem  bestimmte Gruppen als „andere“ markiert und diskriminiert werden, behauptet er „Obdachlose sind keine Sündenböcke.“

Gabu Heindl forderte Worte wie „asozial“ nicht mehr zu verwenden. Sie findet es treffender von unhoused als von wohnungslos zu sprechen. Sie sprach vom enormen Druck der Finanzialisierung auf den Wohnungsmarkt, der auch die kleinen Städte und das Alltagswohnen erreicht hat. Wohnungslose Menschen sind nicht selbst schuld. Am Beispiel von Auskünften von Scheidungsanwälten vermittelte sie die Dramatik. Frauen, die sich scheiden lassen wollen, werde geraten sich nicht scheiden zu lassen, um nicht auf der Straße zu landen.

Tim Lukas bewertet positiv wie sich die Polizei mit eigenen Museen mit ihrer Geschichte auseinandersetzt und verweist auf die trotzdem existierenden rechten Chat-Gruppen in ihren Reihen. Obdachlose haben im Schnitt 7,3 polizeiliche Kontrollen in den letzten 30 Tagen erlebt. Durch seine Studien im Umfeld von Bahnhöfen, hat er erfahren, dass Ordnungs- und Sicherheitskräfte als Bedrohung erlebt werden.

Petra Hastenteufel kennt keine Diskussionen mit NS-Bezug. Durch Gespräche mit Obdachlosen über die Ausstellung hätte sie Interessanteres zu berichten gehabt, als dieses Loblied „Wir sind weit davon entfernt im Nationalsozialismus zu sein.“ Beeindruckt hat sie in der Ausstellung die Texte von Wolfgang Ajaß, in denen er über die  Mitwirkung der Arbeits- und Sozialverwaltungen bei der Verfolgung der ärmsten der Armen informiert. https://www.socialnet.de/rezensionen/31999.php  Von ihr wahrgenommene Veränderungen der letzten Jahre sind, dass Bürgerinitiativen, wie die IG Neumarkt, die Obdachlosen loswerden wollen. Sie erlebt eine hohe Gewaltbereitschaft von Jugendlichen gegen Obdachlose und die Vertreibung der Obdachlosen von den Plätzen als bedrohlich.

Wie die Diskussion verlaufen wäre, wenn Hennig Borggräfe mit diesem Zitat von Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie begonnen hätte, die über die historischen Etappen der deutschen Sozialpolitik schrieben, wissen wir nicht: „Eine bei aller Verschiedenheit auffallende Identität der Sozialpolitik über verschiedene Regierungsformen hinweg – Königreich Preußen, deutsches Kaiserreich, Weimer Republik, Nationalsozialismus wie der Bundesrepublik Deutschland – zeigt, wie sehr es sich bei ihnen um Formen ‚bürgerlicher Herrschaft‘ (Kühnl 1971) handelt, deren gemeinsames Fundament in den ökonomischen Grundlagen liegt.“ ((Renate Dillmann / Arian Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat. Über nützliche Armut und ihre Verwaltung, Hamburg 2018, S.280)

Der Moderator kam mit seiner zweiten Frage auf die geschätzten über 50.00 Obdachlosen auf den Straßen Deutschlands zu sprechen und wollte wissen, wie viele in Köln obdachlos sind.

Am 17.11.2025 war bekannt geworden, dass die Zahl der Wohnungslosen mit über einer Million einen neuen Höchststand erreicht hatte. Petra Hastenteufel konnte keine Zunahme in Köln feststellen und kam auf die Zusammensetzung der Obdachlosen zu sprechen: die Nichtdeutschen sind meist Bulgaren, Polen und Rumänen, keine Flüchtlinge, die seien in der Regel untergebracht und nicht auf der Straße. Die Gründe für die unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen und Obdachlosen wurden nicht thematisiert. Obdachlose seien sehr verschieden, darunter viele Freigeister. Es seien mehr die Hilflosen, die verwahrlost sind und durch psychische Krankheiten auffallen. Unter den Älteren auf der Straße gebe es viele, die dement geworden sind. 

Wie destruktiv Besitzverhalten ist, vermittelte Gabu Haindl mit einem Bild, das einen Obdachlosen vor einem leerstehenden Haus auf der Straße liegend zeigte. Warum es profitabler sein kann, ein Wohnhaus leer stehen zu lassen, statt die Wohnungen zu vermieten erklärte sie gleich mit. Die Gewalt gegen Obdachlose ist so krass, dass wir nicht sagen können, wir haben davon nichts gesehen. Wohnen müssen wir als Menschenrecht verstehen. Es muss mehr für den Bedarf der ärmeren Wohnungsuchenden gebaut werden, statt Luxuswohnungen. Als sie Housing First lobte, beklagte sie, dass keine Obdachlosen als Experten in eigener Sache auf dem Podium vertreten waren. Sie informierte über ein Wohnprojekt für schwarze Menschen, einer besonders vulnerablen Gruppe auf dem Wohnungsmarkt. Man solle sich nicht einreden lassen, dass Soziales nicht wirtschaftlich sein kann, sie sprach von sozialer Wirtschaftlichkeit.

Harald Rau lobte die gute Förderung in Nordrhein-Westfalen für den sozialen Wohnungsbau und die Entscheidung des Kölner Stadtrats, städtische Grundstücke nicht mehr zu verkaufen, sondern in Erbpacht zu vergeben. Er verwies auf die über 10.000  Wohnungslosen, die in Köln von der Stadt versorgt werden. Dass ein Dach über dem Kopf kein Zuhause ist, hat in Köln Dr. Luisa Schneider erklärt: https://www.stadt-koeln.de/artikel/71903/index.html

Petra Hastenteufel unterstützend: In Köln wird man gut versorgt, so gut, dass obdachlose Menschen aus anderen Städten deswegen nach Köln kommen. Warum sie trotz dieses  behaupteten Sogeffekts keine Zunahme in der Stadt feststellen kann, wurde sie nicht gefragt.

Gabu Heindl forderte, dass die Versorgungsstrukturen und die Sozialarbeit darauf ausgerichtet sein sollten, sich selbst abzuschaffen.

Tim Lukas kommentierte, dass das Wohlfahrtssystem ökonomischen Gesetzen folgt und die Selbstabschaffung nicht ihrer Logik entspricht. Es geht um die Armut und die Frage, wie wir Armut abschaffen können.

Gabu Heindl verwies darauf, dass manches Wohnen arm macht, genauso wie durch die Billigjobs Arbeit arm machen kann.

Petra Hastenteufel berichtete von Obdachlosen, die draußen bleiben wollen – nicht jeder wolle eine Wohnung. Tim Lukas musste sie an ihre Umfrage unter den Obdachlosen aus den Jahren 2017/18 erinnern, die ergab, dass der Hauptwunsch nahezu aller Obdachlosen eine eigene Wohnung ist.

Tim Lukas informierte auch beim Thema Angsträume über die Perspektive der Obdachlosen. Als er sie fragte, wovor sie Angst haben, kam es zu denselben Antworten wie bei den Menschen, die eine Wohnung haben. Der Unterschied: die Obdachlosen sind auf diese Angsträume  angewiesen, wie zum Beispiel das Bahnhofsumfeld. Zwei Drittel von ihnen haben Gewalterfahrungen. Fast beschwörend kam von ihm, dass soziale Probleme keine Sicherheitsprobleme sind, also auch von den Sicherheitskräften nicht zu lösen sind.

Auf die Frage des Moderators, was in  Köln getan wird, was kommt, antwortete Harald Rau, dass er gerne die Armut abschaffen würde. Da aus dem Sozialdezernat noch nie zu hören war, warum es überhaupt Armut und Reichtum gibt, blieb unklar, ob er weiß wovon er sprach. Befasst sei man laut Rau mit den kleinen Dingen. Als Beispiel nannte er die Soziale Wohnraumagentur, mit der Menschen über städtische Garantien gegenüber den Vermietern zu einer Wohnung verholfen wird, die auf dem freien Markt keine Chance haben.  Er berichtete von 40 Obdachlosen, denen in Köln eine Housing First Wohnungen erfolgreich übergeben wurde.  Wie mit diesen „kleinen Dingen“ und dem Kölner Konzept zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit die vom Rat der Stadt beschlossene Abschaffung der Wohnungslosigkeit bis 2030 erreicht werden soll, wurde er  nicht gefragt.

Wenn ich mich richtig erinnere, fiel Tim Lukas „Greenwashing“  ein, die Marketingstrategie, mit der sich Konzerne und Behörden als besser darstellen, als sie sind.

Henning Borggräfe wollte noch wissen, welche Erfahrungen es mit Selbstvertretungen und Teilhabe von Obdachlosen gibt.

Gabu Heindl berichtete von einer Freundin, die obdachlos war, sich immer heftig verbat, als soziales Problem oder sozial schwach bezeichnet zu werden. „Wir haben uns daran gewöhnt über die Menschen zu reden, statt mit ihnen.“

Petra Hastenteufel versicherte einmal mehr, dass es sich bei den Obdachlosen um „ganz wunderbare Menschen“ handelt, statt die extremen Überlebensbedingungen anzuprangern, die dazu beitragen, dass sich Obdachlose gegenseitig bestehlen und verletzten. Bekanntlich werden die Hälfte aller Tötungsdelikte an Obdachlosen von anderen Obdachlos begangen. Davon und von den extremen Bedingungen, die ihren Handlungsmöglichkeiten entgegenstehen, war keine Rede. Stattdessen sprach auch sie über die kleinen Dinge, die Stadtführungen von Obdachlosen und die Aufklärung in den Schulen. Immerhin kam noch die Forderung nach Begegnungsstätten. 

Ganz unerwähnt blieb das Selbsthilfeprojekt der „Obdachlosen mit Zukunft“, die in den Coronajahren ein leerstehendes Verwaltungsgebäude in der Markstraße besetzten. Diese hoffnungsvollen Anfänge einer Selbstorganisation von Obdachlosen in Köln hat Susanne Böhm für Arte dokumentiert: https://www.youtube.com/watch?v=BMX5AF22jCs  Das Projekt scheiterte an mangelnden Unterstützung durch das Sozialdezernat und die in der Folge dadurch eskalierenden inneren Widersprüche. Dass Selbstorganisation von Obdachlosen möglich sind, dafür gibt es auch Beispiele aus der Weimarer Republik und den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Träger des Schwarzen Winkels um ihre Anerkennung als Opfer der Nazis kämpften.

In der Schlussrunde kam Tim Lukas auf die verheerende Wirkung von Crack in der Drogenscene zu sprechen: „Eine echte Scheiß-Situation!“. Trotz der steigenden Zahlen der Drogentoten gibt es keine adäquate Hilfe, wie es die Abgabe von Kokain sein könnte, solange es kein anderes Substitut gibt.

Die Kölner Polizei registrierte in ihrem Jahresbericht 2024  für das Jahr 2023 den Höchststand von 97 Drogentote und für das vergangene Jahr 88.
https://koeln.polizei.nrw/sites/default/files/2025-03/pks-jahresbericht-2024_0.pdf  S.58

Da alle in Köln in der Sozialverwaltung und der Polizei vom Züricher Modell begeistert sind, aber die entsprechenden Suchthilfeeinrichtungen erst Ende 2026 in Sicht sind, bleibt offen, warum es keine Übergangslösungen gibt, die hier und jetzt den Drogenkranken helfen.

Stattdessen vertreibt und kriminalisiert die Polizei die Obdachlosen und Drogenkranken.

Kölns Polizeipräsident Johannes Hermanns berichtet in der Novemberausgabe von „Eigentum aktuell“, der Monatszeitung des „Kölner Haus- und Grundbesitzervereins“ was die Polizei für „Sicherheit und Vertrauen“ der Kölner Bürger leistet. Zwischen Mai und September sind danach seine Polizistinnen und Polizisten am Neumarkt, Ebertplatz, Kalk und Wiener Platz „über 12.000 mal tätig geworden“: „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben in dieser Zeit nahezu 9.500 Platzverweise ausgesprochen, mehr als 200 Personen in Gewahrsam genommen und fast ebenso viele festgenommen. Besonders deutlich wird dabei die Wirksamkeit unserer Arbeit zur Bekämpfung der Drogenkriminalität: Auf die rund 1.500 Strafanzeigen entfällt etwa ein Drittel auf Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.“  Im Züricher Modell sind die Drogenkranken und Obdachlose Mitbürger, in diesem Beitrag für Kölns Haus- und Grundbesitzer nicht.


Seit Jahren klagen die Geschäftsleute und die Anwohner um den Neumarkt über die in den Straßen schlafenden obdachlosen Drogenkranken und die Fäkalien, die sie morgens wegräumen müssen. Da vom  Sozialdezernat nicht mit bedarfsgerechten Toiletten und größeren Mülleimern reagiert wurde, hat die Polizei das Kommando übernommen. Prof. Dr. Harald Rau erklärte, dass die Toilette in der Neumarkt-Unterführung geschlossen werden musste, weil dort Drogenkranke ihre Drogen konsumierten und eine Alternativtoilette nicht eröffnet werden konnte, weil deren nötige Bewachung 100.000 Euro im Jahr kosten würde, und die seien nicht vorhanden.

Als Dr. Rau am Ende aus dem Publikum gefragt wurde, warum er die Leerstände nicht beschlagnahmt um die Obdachlosen wenigstens in abschließbare Einzelzimmer unterzubringen, hat er sich auf die Gesetze berufen, an die er sich halten muss.

Der Sozialausschuss der Stadt  hat am 14. Januar 2021 coronabedingt einstimmig beschlossen alle Obdachlosen in Einzelzimmer unterzubringen.
https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=801190&type=do

Der Rat hat das am 4. Februar 2021 bekräftigt
https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=810038&type=do

In den folgenden Jahren ist Dr. Rau mehrfach darauf angesprochen worden, warum das nur befristet war,  warum die Obdachlosen nicht von der Straße in abschließbare Einzelzimmer geholt werden. Er antwortete, weil dann andere nachkommen.

Worte, die bei der Unterbringung von Flüchtlingen noch nie zu hören waren. Sowenig wie es in Köln Bemühungen gibt die Konkurrenzen zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen solidarisch zu überwinden, sowenig sind Aktivitäten der Stadt zu erkennen, die Konkurrenzen zwischen den Städten solidarisch zu überwinden.
https://www.wohnungsnot.koeln/zur-konkurrenz-der-staedte/

Der Präsident des Deutschen Städtetags rechnete vor: „Die Kommunen leisten etwa ein Viertel der gesamtstaatlichen Ausgaben, erhalten aber nur ein Siebtel der Steuereinnahmen. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen und hat jetzt handfeste Konsequenzen.“ Vielerorts würden Buslinien abgeschafft, Kitas und Schulen nicht adäquat instand gehalten. Marode Turnhallen müssten schließen, und der Straßenunterhalt werde zurückgefahren.
https://www.gmx.net/magazine/politik/inland/staedtetagspraesident-jung-staedte-41642306

Mit Claudia Pinl spricht eine Kölner Grüne in ihren Büchern die Ursachen der Armut der Städte an. In der Stadtgesellschaft spielt das keine Rolle. „Mit der Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahr 1997, aus der sie Anteile erhielten und der Gewerbekapitalsteuer 1998 verloren die deutschen Kommunen verlässliche Einnahmequellen. ..desto wichtiger wurde das Sponsoring durch die Privatwirtschaft. Die Unternehmen gaben zurück, was sie an Steuern eingespart hatten, wenn auch nur in Bruchteilen.“ (Claudia Pinl: Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit. Frankfurt am Main 2013, S.84)

Inzwischen werben sogar Millionärinnen und Millionäre öffentlich dafür, sie stärker zu besteuern. Die Regierenden zeigen keinerlei Neigung die Vermögenssteuer wieder zu aktivieren und das Erbrecht entsprechend zu ändern. Von der Bundesregierung, über die Länder, bis runter zu dem Städten und Gemeinden wird die „trickle down“-Lüge gepredigt, wonach es allen gut geht, wenn es „der Wirtschaft“ gut geht. https://de.wikipedia.org/wiki/Trickle-down-%C3%96konomie

Eine Frau aus dem Publikum schilderte anschaulich ihre Hilflosigkeit, angesichts der vielen Obdachlosen auf ihren Wegen, nicht allen helfen zu können. Wie sehr auch das in den helfenden Berufen erlebt wird, wurde von Pierre Bourdieu in der Studie „Das Elend der Welt“ skandalisiert: „begreiflich, daß die kleinen Beamten, und insbesondere jene, die damit beschäftigt sind, die sogenannten ‚sozialen‘ Funktionen zu erfüllen, also die unerträglichsten Auswirkungen und Unzulänglichkeiten der Marktlogik zu kompensieren, ohne allerdings über die Mittel zu verfügen, also die Polizisten, die untergebenen Richter und Staatsanwälte, Sozialarbeiter, Erzieher und sogar in immer größerem Maße Lehrer und Professoren, das Gefühl haben, bei ihren Bemühungen, dem materiellen und moralischen Elend, welches die einzig gesicherte Konsequenz der ökonomisch legitimierten Realpolitik darstellt, entgegenzutreten, im Stich gelassen worden zu sein oder gar desavouiert zu werden.“ (Pierre Bourdieu et al.: Das Elend der Welt, Konstanz 1997, S.210).

Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie erklären in ihrem Buch „Der soziale Staat. Über nützlich Armut und ihre Verwaltung“, warum das so ist. In der 150jährigen Geschichte des Sozialstaats ging nie um die Abschaffung der Armut, sondern um ihre kostengünstige Verwaltung.  https://www.socialnet.de/rezensionen/25063.php

Mit der Frage „Wie kann der Stadt und auch der Stadtgesellschaft ein humaner Umgang mit Menschen, die auf der Straße leben, gelingen?“ bewegt sich auch das NS-Dok in dieser Logik. Wo auf die Not von Menschen keine Soforthilfe und die Klärung und Überwindung der Ursachen folgt, wird normalisiert den Drogenkranken und Obdachlosen beim Sterben zuzusehen.

Das NS-Dok hat sich mit der Veranstaltungsmoderation auch blind für die politischen Folgen díeser Ignoranz gezeigt. Wider besseres Wissen:

„Ich habe im Jahr 1959 einen Vortrag gehalten, »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«, in dem ich die These entwickelt habe, daß der Rechtsradikalismus dadurch sich erklärt oder daß das Potential eines solchen Rechtsradikalismus, der damals ja eigentlich noch nicht sichtbar war, dadurch sich erklärt, daß die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nach wie vor fortbestehen…   …Dabei denke ich in erster Linie an die nach wie vor herrschende Konzentrationstendenz des Kapitals, die man zwar durch alle möglichen statistischen Künste aus der Welt wegrechnen kann, an der aber im Ernst kaum ein Zweifel ist. Diese Konzentrationstendenz bedeutet nach wie vor auf der anderen Seite die Möglichkeit der permanenten Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewußtsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sozialen Status festhalten möchten und womöglich ihn verstärken. Diese Gruppen tendieren nach wie vor zu einem Haß auf den Sozialismus oder das, was sie Sozialismus nennen, das heißt, sie verschieben die Schuld an ihrer eigenen potentiellen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die das bewirkt, sondern auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben, jedenfalls nach traditionellen Vorstellungen, kritisch gegenübergestanden haben.“ (Adorno)
https://media.suhrkamp.de/mediadelivery/asset/301880bf10944ff6af5e0f7bd2d60207/aspekte-des-neuen-rechtsradikalismus_9783518587379_leseprobe.pdf S.9f.

6. Dezember 2025
Klaus Jünschke

„Immer feste druff“  (Kaiser Wilhelm II)

Kölns Polizeipräsident Johannes Hermanns berichtet in der Novemberausgabe von „Eigentum aktuell“, der Monatszeitung des „Kölner Haus- und Grundbesitzervereins“ was die Polizei für „Sicherheit und Vertrauen“ leistet. Zwischen Mai und September sind danach seine Polizistinnen und Polizisten am Neumarkt, Ebertplatz, Kalk und Wiener Platz „über 12.000 mal tätig geworden“.

„Unsere Kolleginnen und Kollegen haben in dieser Zeit nahezu 9.500 Platzverweise ausgesprochen, mehr als 200 Personen in Gewahrsam genommen und fast ebenso viele festgenommen. Besonders deutlich wird dabei die Wirksamkeit unserer Arbeit zur Bekämpfung der Drogenkriminalität: Auf die rund 1.500 Strafanzeigen entfällt etwa ein Drittel auf Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.“

Was das mit den Drogenkranken und Obdachlosen gemacht hat, ist seinem Bericht nicht zu entnehmen. Seit vielen Jahren sind die Ärmsten der Armen, die Wohnungslosen und Obdachlosen die am stärksten kriminalisierte soziale Gruppe, sie sind in den Gefängnissen extrem überrepräsentiert. Offensichtlich kommt das nicht daher, dass sie schlechtere Menschen wären, als die Durchschnittbürger, sondern weil sie schlechter dran sind. Marion Müller kam in ihrer Dissertation „Kriminalität, Kriminalisierung und Wohnungslosigkeit“ zu genau diesem Befund: „Ein einseitiger, stigmatisierender Blickwinkel à la Wohnungslose trinken, betteln und klauen, ist nicht haltbar. Genauso wenig sollte man sich allerdings dazu verleiten lassen, ausschließlich einen mitleidigen Blickwinkel anzusetzen. Beide Sichtweisen versperren die Sicht auf wohnungslose Menschen als die individuellen Personen, die sie sind: weder Täter noch Opfer ihrer Situation, aber umrahmt von extremen Bedingungen, die ihren Handlungsentwürfen und -möglichkeiten entgegenstehen können.“

https://d-nb.info/98603407X/34

Polizeiforscher Joachim Häfele: „Die Annahme, dass die Polizei nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaft ist und es deswegen natürlich erscheint, dass es auch dort problematische Einstellungen gibt, ist aus unserer Sicht sehr problematisch. Die Beschäftigten der Polizei weisen einen deutlich höheren Bildungsdurchschnitt als die Gesamtbevölkerung auf. Außerdem tragen Sie eine Waffe und haben eine Gewaltlizenz. Also haben sie auch eine besondere Verantwortung für ihr Handeln. Sie haben den Auftrag, für die Sicherheit aller Gesellschaftsmitglieder zu sorgen – gegenüber obdachlosenfeindlichen Einstellungen darf es deshalb in der Polizei keinerlei Toleranz geben.“ https://www.hinzundkunzt.de/stadtgespraech-wie-obdachlosenfeindlich-ist-die-polizei/

Vor dreißig Jahren schien es in der Polizei dafür mehr Einsicht gegeben zu haben, als heute in Köln. Am 27.01.1997 berichtete der Spiegel in seiner Titelgeschichte, dass viele Polizeipräsidenten für die Abgabe von Heroin an die Süchtigen sind, auch Kölns damaliger Polizeipräsident Roters zählte zu den Befürwortern. „Junkie-Jogging zu betreiben belastet viele Polizisten. „Die Gruppe der Schwerstabhängigen, teilweise psychisch labil, HIVinfiziert, von einer Ecke zur anderen zu vertreiben, ohne Lösungsmöglichkeiten, weil sie weder für Methadon-Programme noch für Langzeittherapien zu gewinnen sind, führt zu großen Gewissenskonflikten bei unseren Kollegen auf der Straße“, sagt der Kölner Polizeipräsident Roters.“

»Mit den Jahren ist bei uns die Einsicht gewachsen, daß wir die Drogenabhängigen in erster Linie als Kranke betrachten müssen«, sagt der Polizei-Vize Peter Frerichs (parteilos), der Frankfurts neue Wege konzipiert hat. Zu den Skrupeln, gegen Kranke vorzugehen, kommt für die Polizisten auf der Straße die prekäre Frage: Sollen sie einem Junkie den Stoff abnehmen? Wenn sie es nicht tun, verstoßen sie gegen das Gesetz und begehen Strafvereitelung im Amt. Wenn sie es aber tun, provozieren sie mit einiger Wahrscheinlichkeit einen weiteren Fall von Beschaffungskriminalität, der unterbliebe, wenn sie es nicht täten. »Das ist nicht mehr zumutbar«, sagt Kölns Polizeichef Roters.
https://www.spiegel.de/politik/ein-tabu-wird-gebrochen-a-7f171268-0002-0001-0000-000008651170?context=issue  

Was der gesellschaftliche und staatliche Umgang mit den Obdachlosen macht, ist bekannt, sie sterben 30 Jahre früher als der Bundesdurchschnitt. Was die „Superstreife“ aus KVB, Polizei und Ordnungsamt mit den uniformierten Frauen und Männer macht, die seit Mai über 9.500 Platzverweise erteilt haben, ist nicht bekannt.

27. Mai 2025
Klaus Jünschke

„Mitten in Köln. Drogensucht, Obdachlosigkeit und der Wunsch nach Sicherheit.“

So hat die Karl-Rahner –Akademie am 18.11.2025 eingeladen. Norbert Bauer, der Leiter der Akademie, bat in seiner Anmoderation Simone Holzapfel und Ute Theisen von ihren persönlichen Wahrnehmungen am Neumarkt zu berichten. Simone Holzapfel, Sachbereichsleiterin Gesundheits- und Integrationshilfe beim SKM, erzählte, dass sie angesichts der vielen Obdachlosen schon mal überlegen muss, wie sie an ihnen vorbeikommt, und dass sie sich manchmal bedroht fühlt. Ute Theisen vom Vorstand des SKF verwies auf die in den letzten Jahren schlimmer gewordene Situation, nicht nur am Neumarkt. Obdachlose Frauen, die beim SKF übernachten, haben ihr berichtet, dass sie Angst vor der Drogenszene auf dem Neumarkt haben. 

Die drogenkranken Obdachlosen waren damit als Problem eingeführt. Da keine Drogengebraucherinnen vom Neumarkt in eigener Sache sprechen konnten, hätten wenigstens die Wissenschaftler zitiert gehört, die sie befragt haben: „Die Menschen, die uns Angst machen, haben selbst Angst!“ https://www.hspv.nrw.de/nachrichten/artikel/ausstellung-ueber-leben-im-risikoumfeld-koeln

Prof. Dr. Rau, der Beigeordnete für Soziales, Gesundheit und Wohnen im Rat der Stadt Köln, kam von einer Veranstaltung in der AIDS-Hilfe, wo Prof. Dr. Daniel Deimel über seine Studie im Umfeld des Neumarkts berichtete. https://katho-nrw.de/news/detailansicht/crack-konsument-innen-mit-spezifischem-unterstuetzungsbedarf-katho-legt-erste-studie-zur-offenen-drogenszene-im-umfeld-des-koelner-neumarkts-vor

U.a. habe die Befragung von 119 drogenkonsumierenden Personen am Neumarkt ergeben, dass die meisten erst drogenabhängig wurden, nach dem sie obdachlos geworden waren. Rund 32% der Befragten sind obdachlos und schlafen auf der Straße.

In seinen folgenden Ausführungen zu „Crack als Gamechanger“ hat der Sozialdezernent nicht berichtet, dass Prof. Dr. Daniel Deimel seit Jahren empfiehlt den Crack-Süchtigen Kokain zu geben, solange es keinen anderen Ersatzstoff gibt. Daniel Deimel war von 2000 bis 2011 als Sozialarbeiter und Suchttherapeut in unterschiedlichen Bereichen der Sucht- und Aidshilfe, insbesondere in der niedrigschwelligen Suchthilfe tätig, sodass Soforthilfe für ihn selbstverständlich ist, anders als für Harald Rau. (https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Deimel )

Die Überforderung der Polizei wurde anschließend thematisiert und milde kritisiert. Die massiven Vertreibungen von Suchtkranken durch die „Superstreife“ (Express) aus Polizei, KVB und Ordnungsamt helfen an einem Platz, aber nicht der ganzen Stadt, so Dr.Rau. Wie die Drogenkranken die Vertreibungen erleben hätte das Publikum erfahren können, wenn sie auf dem Podium eingeladen gewesen wären. Der damalige Polizeipräsident Roters: „Junkie-Jogging zu betreiben belastet viele Polizisten. „Die Gruppe der Schwerstabhängigen, teilweise psychisch labil, HIVinfiziert, von einer Ecke zur anderen zu vertreiben, ohne Lösungsmöglichkeiten, weil sie weder für Methadon-Programme noch für Langzeittherapien zu gewinnen sind, führt zu großen Gewissenskonflikten bei unseren Kollegen auf der Straße“, sagt der Kölner Polizeipräsident Roters.“
https://klausjuenschke.net/2017/11/28/20-vertane-jahre-in-der-drogenhilfe/

Im Unterschiede zum derzeitigen Polizeipräsidenten Johannes Hermanns, der sich die Verlagerung des Drogenkonsumraums vom Gesundheitsamt auf eine Fläche vor dem Polizeipräsidium in Kalk wünscht, hält Harald Rau an der Einrichtung eines Suchthilfezentrums in Neumarktnähe fest. In Zürich hat man vor 35 Jahren in der Stadtmitte Suchthilfezentren entwickelt, in denen der Mikrohandel mit illegalen Drogen geduldet wird, obwohl das nach Schweizer Gesetzen verboten ist. Dadurch wurde erreicht, dass die offene Drogenszene in der Stadt verschwand.

Obwohl Dr. Rau es befürwortet, auch in Köln Suchthilfezentren zu starten, die den Kleinhandel dulden, hat er es in der anschließenden Diskussion für unmöglich erklärt, die obdachlosen Suchtkranken in leerstehende Immobilien unterzubringen. Selbst Beschlagnahmen sei nicht möglich, da das Gerichte kassieren würden, wenn die Eigentümer klagen.  Er behauptet das, während er die Unterbringung von 500 Geflüchteten, in die seit vier Jahren leerstehende Oberfinanzdirektion vorbereitet. Durch die mehrfachen symbolischen Besetzungen des Wohnhauses in der Friedrich-Engels-Straße 7 weiß er, dass dort seit Jahren 80 Wohnungen leer stehen. Konrad Adenauer, der damalige Vorsitzende von Haus und Grund, bescheinigte der Stadt Köln fehlenden Mumm, als er mit vor dem Haus stand, das der russischen Föderation gehört, um gegen den Leerstand zu protestieren. In der Karl-Rahner-Akademie ließ es sich Dr. Rau dennoch nicht nehmen „mehr Zivilcourage“ zu fordern.

Der Presse ist zu entnehmen, dass das neue Suchthilfezentrum auf einer Freifläche mit Containern aufgebaut werden soll. Wieso das Sozialdezernat nicht wenigstens Wohncontainer für die Obdachlosen bereitstellt, wie es immer wieder für Flüchtlinge möglich war, kann nur damit beantwortet werden, dass es in dieser Stadt politisch nicht gewollt ist. Herr Rau delegiert gerne Verantwortung: „Wir sind alle gefragt“ war an diesem Abend in der Karl-Rahner-Akademie mehrfach zu hören.

Als Dr. Rau von den Grünen vor zehn Jahren nach Köln geholt wurde, zählte die Polizei 48 Drogentote, 2023 waren es 97 und  88 im vergangen Jahr. In diesen Jahren sind die Zahl der Wohnungslosen und Obdachlosen gestiegen und die Zahl der geförderten Wohnungen ist gesunken.

Dr. Kai Hauprich vom Vringstreff. „Wir haben uns gesellschaftlich so daran gewöhnt, dass wir den Menschen beim Sterben zuschauen, dass wir das für normal halten. Das darf nicht sein. Ich finde, wir müssen schnellstmöglich jene versorgen, die am dringendsten unsere Hilfe brauchen.“
https://issuu.com/draussenseiter_koeln/docs/ds_238_-_web/s/20856279

Bevor er auf das von ihm als „KöKo“ vorgestellte „Kölner Konzept zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit“ zu sprechen kam, beglückte Dr. Rau die Anwesenden mit der Auskunft, dass Köln eine Schwarmstadt sei. Die Attraktivität für junge Leute, sei so groß, dass auch 50.000 neue Wohnungen in den kommenden Jahren an der Wohnungsnot nichts ändern würde, da immer mehr zuziehen würden, als neue Wohnungen dazukämen. Wie wir mit Wohnraum umgehen, müsste sich ändern. Flächen und Geld seien nur begrenzt vorhanden. Die vom Land jährlich zur Verfügung gestellten 180 Millionen Euro für geförderte Wohnungen reichten gerade mal für 6 – 800 neue Sozialwohnungen. Auf die Ankündigung von OB Burmester, jährlich 2.000 Sozialwohnungen bauen zu lassen, ist er nicht eingegangen. Gar nicht erwähnt wurde der Ratsbeschluss, die Obdachlosigkeit in der Stadt bis 2030 abzuschaffen.

Aus dem im vergangenen Jahr vom Rat beschlossenen Konzept zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit, stellt er drei Teile vor.
https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=977963&type=do

Die soziale Wohnraumagentur soll Vermietern finanzielle Garantien für die Vermietung an Wohnungs- und Obdachlose geben.

Mit dem Konzept Housing First sind in Köln bisher 40 Obdachlose zu Mitverträgen gekommen. Die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft sei von diesem Konzept überzeugt. https://de.wikipedia.org/wiki/Aachener_Siedlungs-_und_Wohnungsgesellschaft

Bei seinem Lob für die GAG hat Dr. Rau nicht reflektiert, dass diese nur noch teilweise gemeinnützige Wohnungsgesellschaft immer weniger baut und mehr in die Renovierung ihrer Bestände investiert und längst auch an den Mietsteigerungen mitwirkt und mitverdient.
https://www.gag-koeln.de/
Er hat auch nicht vermittelt, dass nur noch 44% der 46000 GAG-Wohnungen gefördert sind.
https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/k%C3%B6lner-wohnungsmarkt-gag-stellt-330-wohnungen-fertig-doch-nur-52-sind-wirklich-neu-dazugekommen/ar-AA1MBcRg

Die „Arbeitsgemeinschaft Kölner Wohnungsunternehmen“, kurz Köln AG, hat im Stadtgebiet 100.000 Wohnungen. Darunter sind auch die GAG-Wohnungen.
 https://koelnag.de/wir-ueber-uns

Dem gerade erschienen Bericht „Wohnen in Köln 2024“ ist zu entnehmen, dass der Bestand an Sozialwohnungen 2024 auf 37.818 gesunken ist. Köln hatte mal 105.000 Sozialwohnungen.
https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf56/gesch%C3%A4ftsbericht_wohnen_in_k%C3%B6ln_2024_barrierefrei.pdf

Auf das  Lob der Sprecherinnen von SKF und SKM für das Kölner Konzept folgte ihre Kritik, weil das Geld dafür nicht da ist.  Dr. Rau: „Uns geht gerade überall das Geld aus.“  500 Millionen des 6 Milliarden-Haushalts der Stadt müssen jährlich für die Schuldentilgung gezahlt werden. Wie es zur Verschuldung der Stadt kam, war keine Thema. Dass man zuerst die Ursachen kennen muss, wenn man Probleme lösen will, spielte an diesem Abend keine Rolle. Aber auch bei der notwendigen Konsolidierung der Stadtfinanzen hieß es wieder da „sind wir alle gefragt“.

Haben „wir alle“ dafür gesorgt, dass für die Renovierung von Oper und Schauspiel fast 1 1/2 Milliarden Euro ausgeben wurden? Wurden „wir alle“ gefragt, als die Bundesregierung beschloss, dem Wunsch der US-Regierung folgend, 5% des Bruttosozialprodukts für die militärische Aufrüstung auszugeben?

Ohne jeden Bezug zur zunehmenden sozialen Ungleichheit und ihren Ursachen verkündete Dr. Rau, dass an andere Stelle gespart werden muss, wenn in Wohnen investiert wird.

Die Anwesenden erfuhren, dass der Sozialdezernent schon vor 2 Jahren ein Sparkonzept ausgearbeitet hatte, in dem alle freiwilligen Leistungen dahingehend überprüft werden sollten, ob die finanzierten Projekte und Initiativen wirksam oder nicht seien.

Die Zuschauer entließen Dr. Rau an diesem Abend ohne darüber abgestimmt zu haben, ob er als Sozialdezernent eher wirksam oder eher unwirksam ist.

21. November 2025
Klaus Jünschke

„Verantwortungsgemeinschaft CDU, Grüne, SPD“

Kölns neuer Oberbürgermeister Torsten Burmester (SPD) hat am 8 November 2025 im Kölner Stadt-Anzeiger mitgeteilt, dass er die Tradition „klassischer Koalitionen“ nicht fortsetzen wird.
https://www.ksta.de/koeln/gastbeitrag-von-torsten-burmester-eine-klassische-koalition-wird-es-nicht-geben-1145711

In dem was Torsten Burmester inhaltlich bietet, werden sich Grüne und CDU problemlos wiedererkennen.  Was die angepeilte „Verantwortungsgemeinschaft“ aus CDU, Grünen und SPD vom alten „Gestaltungsbündnis“ aus Grünen und CDU unterscheidet, ist nicht ersichtlich.

Die neugewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker erklärte am 14. Januar 2016 auf dem Neujahrsempfang der Deutschen Bank: „Es gibt keine eindrucksvollere Sozialpolitik als die Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Eine starke Wirtschaft ist gleichbedeutend mit der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, mit einem starken, leistungsfähigen Sozialsystem und mit der Lebensqualität in unserer Stadt.“  https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf-ob/reden/20160114_neujahrsempfang_deutsche_bank.pdf

Bei Torsten Burmester heißt es kurz und bündig: „Ohne wirtschaftliche Stärke gibt es keine soziale Sicherheit.“

Die Ergebnisse der „eindrucksvollen Sozialpolitik“ von Grünen und CDU unter Frau Reker: mehr Obdachlose und Wohnungslose als vor zehn Jahren, immer weniger Sozialwohnungen, gestiegene Zahlen bei den Drogentoten, 400 bis 600 jährliche Absagen an schutzsuchende Frauen, weil die beiden kleinen Frauenhäuser keine freien Zimmer hatten. In ihren Abschiedsinterviews lobte sich Frau Reker für den Neubau von Schulen ohne zu erwähnen, dass die Zahl der Jugendlichen, die die Schulen ohne Abschluss verließen, immer weiter gestiegen ist. Im vergangen Jahr waren es 648. Von der Zahl der ersatzlos ausgefallenen Unterrichtsstunden ganz zu schweigen. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegeeinrichtungen, die in der Corona-Zeit beklatscht wurden, arbeiten unterbezahlt im Schichtdienst am Rande der Erschöpfung.

Pierre Bourdieu machte in seiner Studie das „Elend der Welt“ schon 1993 „begreiflich, daß die kleinen Beamten, und insbesondere jene, die damit beschäftigt sind, die sogenannten ‚sozialen‘ Funktionen zu erfüllen, also die unerträglichsten Auswirkungen und Unzulänglichkeiten der Marktlogik zu kompensieren, ohne allerdings über die Mittel zu verfügen, also die Polizisten, die untergebenen Richter und Staatsanwälte, Sozialarbeiter, Erzieher und sogar in immer größerem Maße Lehrer und Professoren, das Gefühl haben, bei ihren Bemühungen, dem materiellen und moralischen Elend, welches die einzig gesicherte Konsequenz der ökonomisch legitimierten Realpolitik darstellt, entgegenzutreten, im Stich gelassen worden zu sein oder gar desavouiert zu werden.“ (Pierre Bourdieu et al.: Das Elende der Welt, Konstanz 1997, S.210).

Warum verfügen die in der Kölner Stadtverwaltung für Wohnen und Soziales zuständigen Beschäftigten nicht über die notwendigen Mittel? Warum wurden und werden soziale Aufgaben an Wohlfahrtsverbände „outgesourct“? Warum spricht Oberbürgermeister Burmester nicht über die Ursachen der Finanznot der Städte und der Finanznot Kölns im Besonderen?

Nicht einmal Erinnerungen an systemimmanente Fehler finden Eingang in die Debatte. Selbst kritische Stimmen aus den eigenen Reihen werden ignoriert. So die Journalistin und Autorin Claudia Pinl, die für die Grünen in Berlin und in Köln aktiv war, und die 2013 schrieb:

„Mit der Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahr 1997, aus der sie Anteile erhielten und der Gewebekapitalsteuer 1998 verloren die deutschen Kommunen verlässliche Einnahmequellen. Je mehr sie sich in Folge aus der Finanzierung  zum Beispiel des Kultursektors herauszogen, desto wichtiger wurde das Sponsoring  durch die Privatwirtschaft. Die Unternehmen gaben zurück, was sie an Steuern eingespart hatten, wenn auch nur in Bruchteilen.“ (Claudia Pinl: Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit, Frankfurt a.M. 2013, S.85)

Und: „Auf Steuersenkungen auf breiter Front für Unternehmen und Privatpersonen, sowie der Privatisierung des Gesundheitswesens und der Teilprivatisierung der Altersvorsorge („Riester-Rente“), folgte die weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts durch die sogenannte Agenda 2010: Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse durch Befristung, Leiharbeit, Arbeiten unterhalb der Versicherungspflichtgrenze und Scheinselbstständigkeit.“ (Claudia Pinl, S. 23)

Grüne, CDU und SPD mögen nicht an ihre Beiträge erinnern, die die soziale Ungleichheit in Deutschland in nie gekannte Ausmaße anwachsen ließ. Damit dieses Hauptproblem unserer Städte und Gemeinden nicht Gegenstand gesamtgesellschaftlicher Auseinandersetzungen wird, werden Ersatzaufreger serviert, aktuell gerade in Köln “Sicherheit und Sauberkeit. Der Neumarkt darf kein Symbol der Verwahrlosung bleiben.“ (Torsten Burmester) Das in einer Stadt, die eine Milliarde Euro für die Renovierung von Oper und Schauspiel ausgibt und den Obdachlosen und Drogenkranken auf den Straßen beim Sterben zusieht.

11. November 2025
Klaus Jünschke

Zum Elend der Städte

Die Kölnische Rundschau will heute ihren Leserinnen weiß machen, wo die hochverschuldeten Städte und Gemeinden „ihre Probleme sehen“.

Im Kapitel „Darbende Kommunen, spendable Unternehmen“ ihres Buchs „Freiwillig zu Diensten“ kommt Claudia Pinl auf die Ursachen der Finanznot der Kommunen zu sprechen:

„Mit der Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahr 1997, aus der sie Anteile erhielten und der Gewerbekapitalsteuer 1998 verloren die deutschen Kommunen verlässliche Einnahmequellen.

..desto wichtiger wurde das Sponsoring durch die Privatwirtschaft. Die Unternehmen gaben zurück, was sie an Steuern eingespart hatten, wenn auch nur in Bruchteilen.“
(Claudia Pinl: Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit. Frankfurt am Main 2013, Nomen Verlag, S.85)

In der Studie „Das Elend der Welt“ hat Pierre Bourdieu 1993 öffenlich verdeutlicht wie es sich auswirkt, wenn der Staat abdankt, indem er die Reichen immer weniger zur Kasse bittet.

Im Kapitel „Abdankung des Staates“ geht es u.a. um jene Beamten und Angestellten in relativ untergeordneten Positionen innerhalb des Staatsapparates, deren Aufgabe darin besteht, die sogenannten „sozialen“ Funktionen zu erfüllen, also die unmittelbaren Auswirkungen der Marktlogik zu kompensieren – ohne freilich über die dazu notwendigen Mittel zu verfügen. Die interviewten Polizisten, SozialarbeiterInnen und Richter äußern in den Gesprächen immer wieder das Gefühl, in ihrem beruflichen Engagement gegen das materielle und moralische Elend im Stich gelassen zu werden. Oder genauer: Sie sehen sich unterschiedlichen Anforderungs- und Repräsentationssystemen gegenüber und finden sich mit den Widersprüchlichkeiten eines Staates konfrontiert, „dessen rechte Hand nicht mehr weiß oder, gar noch schlimmer, nicht mehr [wissen] will, was die linke in Form immer schmerzhafterer double-binds tut“ (S. 210).
http://www.thomaslemkeweb.de/pub…/rezensionen/Bourdieu.pdf

27. Oktober 2025
Klaus Jünschke