Gerhard Trabert, der Kandidat der Linken zur Wahl des Bundespräsidenten, hat über die „Gesundheitssituation und medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen“ promoviert. 1994 gründete er in Mainz eine medizinische Versorgungseinrichtung für wohnungslose Menschen. Mit einem „Arztmobil“ fahren Gerhard Trabert und seine Kolleginnen zu den Obdachlosen und bieten kostenlos ärztliche Hilfe an. 2013 richtete Gerhard Trabert in Räumlichkeiten der Stadt Mainz die „Ambulanz ohne Grenzen“ ein. Dort sind 20 Ärzte, Krankenschwestern/Krankenpfleger und Sozialarbeiter tätig. Wohnungslose Menschen und Patienten ohne Versicherungsschutz werden kostenfrei medizinisch behandelt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Trabert
„Steinmeier dankt seinem Herausforderer Trabert für dessen Kandidatur und lädt ihn zum gemeinsamen Einsatz für dessen Herzensthema, die Bekämpfung der Obdachlosigkeit, ein.“ So stand es im Bericht des Kölner Stadt-Anzeiger vom 14.02.2022 zur Wahl des Bundespräsidenten. Vor über 30 Jahren hat Frank-Walter Steinmeier über „Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit“ promoviert. In all diesen Jahren seither ist nicht bekannt geworden, dass er eine Initiative zur Verhinderung und Beseitigung der Obdachlosigkeit gestartet hätte. Öffentlichkeitswirksam hat er sich vor Weihnachten immer mal wieder bei der Essensausgabe für Obdachlose filmen und fotografieren lassen. In den wohlwollenden Berichten der Medien über seine demonstrative Mildtätigkeit wurde nie überlegt, ob er durch seine Beteiligung bei der Einführung von Hartz IV, und der damit verstärkten Zunahme der sozialen Ungleichheit, selbst zur zunehmenden Wohnungs- und Obdachlosigkeit beigetragen haben könnte.
Wie DER SPIEGEL meldet, hat Steinmeier Gerhard Trabert ins Schloss Bellevue eingeladen. Da er ihm kaum vorschlagen wird, an den kommenden Weihnachten gemeinsam Essen an Obdachlose zu verteilen, sind wir gespannt, was für die Obdachlosen dabei rumkommt. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/frank-walter-steinmeier-laedt-gerhard-trabert-ins-schloss-bellevue-ein-a-c258f97b-4a9b-4904-a5b9-704136a7fd44
Die zunehmende soziale Ungleichheit und ihre Überwindung war kein Thema in der hochgelobten Rede Steinmeiers. Aber er hat natürlich den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP gelesen, in dem die Überwindung der Obdachlosigkeit angekündigt wird:
„Wir setzen uns zum Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden und legen einen Nationalen Aktionsplan dafür auf.“ Das steht so auf Seite 92 im Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“.
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
Ein paar Zeilen davor war allerdings zu lesen: „Zur Problematik der Obdachlosigkeit von EU-Bürgern richten wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein“ (S.78)
Wer die Obdach- und Wohnungslosigkeit überwinden will, brauch Wohnungen. Im Koalitionsvertrag steht dazu u.a.:
„Dafür starten wir einen Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Dafür werden wir die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung fortführen und die Mittel erhöhen.“ (S.88)
„Wir setzen im Rahmen des Bündnisses die Arbeit der Baukostensenkungskommission fort. Wir gliedern die nicht bahnnotwendigen Immobilien des Bundeseisenbahnvermögens in die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) ein und richten die BImA auf unsere bau-, wohnungs-, stadtentwicklungspolitischen und ökologischen Ziele aus. Wir werden der BImA mehr Freiheiten verschaffen und ihr die Aufnahme von Krediten ermöglichen. Die BImA soll künftig selbst investieren und bauen sowie weiterhin kommunales Bauen unterstützen können. Dazu wollen wir die Verantwortung für Planung, Bau und Betrieb der Bundesbauten und Bundesliegenschaften bei der BImA konzentrieren.“(S.89)
Ob die BImA mit ihrer neuen Freiheit verantwortlich umgeht, ist nicht ausgemacht. Von der Bielefelder Initiative für sozialökologische Stadtentwicklung (BISS) erreichte uns ein Hilferuf. Lest bitte ihre Petition und helft mit Eurer Unterschrift:
https://weact.campact.de/petitions/bodenspekulation-der-bundesregierung-in-bielefeld-stoppen
Einen virtuellen Spaziergang durch die Offizierssiedlung in Bielefeld hat die BISS mitgeschickt: https://biss.buerger-initiative.org/walk-of-chance/
In Köln hat die BImA 2019 einen Wohnungsbaupakt mit der Stadt beschlossen. Auf ihrer Homepage bietet die BImA Kaufpreisnachlässe für sozialen Wohnungsbau an:
„München, 7. Oktober 2019. Die Stadt Köln und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) treiben die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Köln jetzt gemeinsam voran: Auf der internationalen Immobilienmesse EXPO REAL haben heute Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Paul Johannes Fietz, Mitglied des Vorstands der BImA, einen Wohnungsbaupakt unterzeichnet. Ziel des Paktes ist es, in kurzer Zeit möglichst viele neue und bezahlbare Wohnungen im Kölner Stadtgebiet zu bauen. In einem ersten Schritt sollen 1.000 neue Wohnungen entstehen. Damit unterstützen Stadt und BImA die Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und Kommunen.“
https://www.bundesimmobilien.de/stadt-koeln-und-bima-unterzeichnen-wohnungsbaupakt-1-000-neue-wohnungen-06dc396660db86e2
Gerade hat der Mieterbund NRW einen Mietenstopp für sechs Jahre gefordert. Auch die Bau- und Förderpolitik von Bund, Ländern und Kommunen müsse sich ändern, verlangte der Mieterbund. Derzeit würden hauptsächlich Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut, während der größte Mangel im bezahlbaren Geschosswohnungsbau bestehe. https://www.recklinghaeuser-zeitung.de/regionales/mieterbund-nrw-fordert-mietenstopp-fuer-sechs-jahre-w-6000142268/?
Die Wohnungslosigkeit und die Obdachlosigkeit in den nächsten acht Jahren abzuschaffen, könnte gelingen, wenn die Ampel bereit wäre, in ihrem 400.000 neue Wohnungen pro Jahr-Programm die Zahl der Sozialwohnungen von 100.000 auf 200.000 zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Man muss nur an das Jahr 1973 zurückdenken, als in der alten Bundesrepublik 714.000 Wohnungen gebaut wurden.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/manuskript-das-ende-der-wohnungszwangswirtschaft-per-gesetz.media.609061d15cda13794adc621e380590ed.pdf
Peter Frase: „Diese Forderungen können zweifelsohne im Kapitalismus durchgesetzt werden. Ob jedoch ein Kapitalismus mit einem starken Wohlfahrtsstaat und einer ermächtigten Arbeiter*innenbewegung auf lange Sicht stabil ist, ist eine kompliziertere Frage. So wie ich die Krise der sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten nach den 1970er Jahren verstehe, ist dem nicht so. Ab einem bestimmten Punkt werden die Einschränkungen ihrer Profitabilität und Privilegien für das Kapital untragbar. Daraus entsteht eine Krise, die entweder zu neoliberalen Kürzungen oder zu einem Bruch mit dem Kapitalismus führt. Deshalb müssen unsere Bewegungen auf diese Eventualität vorbereitet sein, doch zugleich anerkennen, dass wir heute noch ein Stückchen davon entfernt sind.“ https://www.rosalux.de/news/id/39236/der-kapitalismus-wird-enden