Seit Jahren prangert Jean Ziegler den Kapitalismus an: „Die 500 größten transkontinentalen Privatkonzerne kontrollieren 52,8% des Weltbruttosozialproduktes. Diese 500 Konzerne haben eine ideologische, militärische, technologische, wissenschaftliche, politische Macht, die nie ein Kaiser, ein König oder ein Papst innehatte auf diesem Planeten. Sie entschwinden jeglicher sozialer, parlamentarischer, gewerkschaftlicher Kontrolle. Sie sind stärker.“
Jean Ziegler glaubt nicht mehr, dass die repräsentativen Demokratien fähig sind, dieser zerstörerischen Konzernmacht Einhalt zu gebieten und er verweist auf die vielen tausend sozialen Bewegungen, große und kleine, die an verschiedenen Fronten gegen das kapitalistische Unterdrückungssystem kämpfen.
https://kontrast.at/jean-ziegler-kapitalismus-neues-buch/
Mit „People have the Power“ hat Patti Smith das vorgesungen:
https://www.youtube.com/watch?v=y6Wz3i_BYUc
In diesem Zusammenhang hat das RWE-Tribunal den Kampf gegen RWE aufgenommen. Nach dem 1. Tribunal in Lützerath, dem 2. In Essen, fand am 23. und 24. April 2022 in Düsseldorf das 3. RWE-Tribunal statt.
https://www.rwe-tribunal.org/
Moderiert wurde die zweitägige Veranstaltung von Christiane Niesel und Martin Krauß.
„Lebenslaute – klassische Musik – politische Aktion“ (https://www.lebenslaute.net/), Maria Arians-Kronenberg, in der Tradition der Protestsongs der Anti-AKW-Bewegung, und der Liedermacher Gerd Schinkel (https://gerdschinkel.jimdofree.com/cds-und-liedertexte/) begleiteten und unterstützten das Tribunal musikalisch. Künstlerisch haben sie auf den Punkt gebracht, was die Zeuginnen und Gutachterinnen vorgetragen haben.
Zu Beginn stellte sich die siebenköpfige Jury vor: Renate Heurich (Extinction Rebellion), Klaus Jünschke (Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung), Benno Mirtschink (Klimagerechtigkeitsbewegung), Jörg Obergefell (BUND), Aribert Peters (Bund der Energieverbraucher), Danielle Schulte am Hülse (Teachers for Future) und Rolf Schwermer (Fossil Free Essen).
Nachdem Christa Schliebs die Anklageschrift verlesen hatte, startete das Tribunal mit einem Vortrag der Politischen Geographin Andrea Brock.
https://profiles.sussex.ac.uk/p322495-andrea-brock
Ihr Thema: RWE im Rheinland: Wie Widerstand unterdrückt und Konsens fabriziert wird, und RWEs Interessen zu Allgemeininteressen wurden. Der Konzern ist Europas größter Emitter und hat sich in Deutschland zu einem der einflussreichsten Unternehmen entwickelt.
Nachdem sie den Konzern vorgestellt hat und aufgezeigt hat, wem er gehört, kommt sie dazu, zu erklären, warum für RWE trotz aller bekannt gewordenen Zerstörungen und tödlichen Folgen der Einfluss in der Region fast ungebrochen ist. Was das Unternehmen macht, um Widerstand zu unterdrücken und Konsens zu fabrizieren, erklärt sie treffend durch die Übernahme der Aufstandsbekämpfungs-Strategie aus der asymmetrischen Kriegsführung. Sie nennt es corporate counterinsurgency. In der zweiten Hälfte ihres Vortrags schildert sie die harten und weichen Methoden und Techniken mit denen Widerstand unterdrückt und Konsens hergestellt wird. Das ist so aufklärend, dass ich allen vor dem Weiterlesen nur empfehlen kann, ihr diese eine Stunde zuzuhören: https://www.youtube.com/watch?v=URAPG23BqmM
Uwe Brustmeier, der zweite Sachverständiger, hatte es nach diesem Vortrag von Andrea Bock leicht, das Agieren des Konzerns als organisierte Kriminalität zu beschreiben, indem mit viel Geld und dem Entzug der Zuwendungen Herrschaft ausgeübt wird. Die Dimension dieses Engagements machte er am Landschaftsverband deutlich, der von RWE 100 Stellen für freiwillige Leistungen finanziert bekam.
https://www.youtube.com/watch?v=Vw9oiBO8xT4
Vladimir Slivyak, der dritte Sachverständige, ist Gründer der russischen Umweltorganisation Ecodefense.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-09/vladimir-slivyak-right-livelihood-award-ecodefense-russland-umweltorganisation
Allen, die behaupten, dass Atom-Strom sauber sei und ihn sogar als Green-Energy bezeichnen, hält er vor, dass sie verschweigen, dass 100.000e Tonnen Atommüll aus der Urananreicherungsanlage Gronau nach Russland geschickt wurden. Er schilderte diese Atommülltransporte nach Russland, wo der Atommüll hinter den Zäunen von „Closed Cities“ verschwindet. „Aus den Augen, aus dem Sinn“.
Die Verheerungen des Kohleabbaus in Russland vermittelten eindrückliche Fotos.
Cécile Lecomte begann ihren Vortrag mit der Aussage „Atomausstieg von RWE ist Fake“.
https://de.wikipedia.org/wiki/C%C3%A9cile_Lecomte
Sie schilderte wie schwer es ist die Transportwege der Atomindustrie zu recherchieren. Überall wo Uran bewegt wird und bearbeitet wird, steigt das Krebsrisiko.
Sie widersprach der Behauptung von der zivilen Nutzung der Atomenergie – ohne die militärische Nutzung gibt es keine zivile Nutzung. 40% des Uran, das Europa nutzt, kommt aus Russland und Kasachstan.
Zur „sauberen Kernenergie“: 40% des Stroms für die Urananreicherungsanlage in Gronau kommt aus den Kohlekraftwerken vom Hambacher Forst. Auch der Uranbau, z.B. in Niger, ist ohne Kohlekraftwerke nicht möglich.
Über den Atommüll gibt es keine echte gesellschaftliche Debatte. Statt Atommüll zu verschicken, kann es nur darum gehen ihn ganz zu vermeiden.
Sie plädierte dafür, die Kämpfe gegen die Kohle und die Kämpfe gegen Atom zusammenzuführen.
Emilio Weinberg behandelte den NRWE-Komplex am Beispiel von Ina Scharrenbach, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Saal hing ein Plakat mit der Aufschrift „Wann treten Sie zurück, Frau Scharrenbach?“, auf das er verwies. Zur Begründung berichtete er von der Gründung einer GmbH mit RWE, mit der der Allgemeinheit die Kosten der Ewigkeitsschäden um die Kraftwerke und die Tagebaue aufgehalst werden. 2018 war Frau Scharrenbach involviert bei der Räumung des Hambacher Forstes unter dem Vorwand mangelnder Brandvorsorge. Sie hat die Stadt Kerpen genötigt, gegen das Gerichtsurteil, das ihre Weisungen als gesetzwidrige erklärte, Widerspruch einzulegen. Und bei dem Mallorca-Geburtstagstreffen von CDU-Ministerinnen fehlte sie auch nicht.
Emilio Weinberg erinnerte an die Mitverantwortung von RWE bezüglich der Erderhitzung und der daraus folgenden Katastrophe im Ahrtal.
Die Rolle des Landesamtes für Natur, Umweltschutz und Verbraucherschutz wurde angesprochen: die Feinstaubmessstellen stehen immer da, wo der Wind nicht hinweht.
Er stellte ein 4.RWE-Tribunal in Köln in Aussicht, weil in der Stadt RWE Power residiert.
Lützerath hält er noch nicht für verloren. Herr Heukamp darf bis Ende August bleiben. Zeit, um dafür zu mobilisieren, dass Lützerath als 1,5Grad-Grenze respektiert wird.
http://weinberg-psychodrama-soziodrama.de/emilio-alfred-weinberg/
Aus Lützerath erreichten uns in Düsseldorf Berichte über die Demonstration von 4.000 Gegnerinnen von RWE. Für den 28.April 2022 ist eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude von RWE in Essen angekündigt.
Am Sonntag, den 24.4.2022 las Sibylle Arians die Anklage vor.
Als Mitarbeiterin der Stiftung ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie brachte sie zum Tribunal ein Dossier mit, das der Verleihung des Internationalen ethecon Dead Planet Award 2021 gewidmet ist, der an Armin Laschet, Markus Krebber, Werner Brandt und Larry Fink geht. Das 86-Seiten starke Heft mit umfassenden Informationen zu RWE kann bei der Stiftung bezogen werden: www.ethecon.org
Der Sachverständige Prof. Dr. Volker Quaschning war aus Berlin zugeschaltet.
https://www.volker-quaschning.de/about/index.php
Volker und Cornelia Quaschning: ENERGIEREVOLUTION JETZT! Mobilität, Wohnen, grüner Strom und Wasserstoff: Was führt uns aus der Klimakrise – und was nicht?
https://www.volker-quaschning.de/publis/energierevolution/index.php
Er hat deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik bis 2035 komplett mit erneuerbaren Energien ausgestattet werden kann. Die Dörfer müssen nicht geopfert werden.
Er erinnerte, das noch in den 1990er Jahren auch von Bundeskanzlerin Merkel vertreten wurde, dass mit den erneuerbaren Energien gerade mal 4% der benötigten Energie beschafft werden könnte. Die erneuerbaren Energien werden erst seit 3 – 4 Jahren ernst genommen.
Die aktuelle Diskussion um Kernenergie findet er albern. In der Bundesrepublik macht Kernenergie nur 2% der Gesamtenergie, weltweit sind es nur 3%. Beim Atomausstieg zum 31.12.2022 muss es bleiben.
Angesichts der steigenden Energiepreise sprach er sich für die gezielte Unterstützung der einkommensschwachen Haushalte aus.
Cécile Lecomte berichtete heute mit vielen Fotos von den Widerstandsaktionen gegen die Atomtransporte. Ihr Buch „Kommen Sie da runter!“ Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin, ist im Verlag Graswurzelrevolution erschienen.
https://www.graswurzel.net/gwr/produkt/kommen-sie-da-runter/
Auf vielen Websites sind ihre Widerstandsaktionen dokumentiert. Gerade angesichts der übermächtig erscheinenden RWE zeigt sie immer wieder, dass man immer etwas machen kann, auch allein, auch zusammen mit nur ganz wenigen.
https://blog.eichhoernchen.fr
https://urantransport.de
http://www.atomtransporte-hamburg-stoppen.de
https://eichhoernchen.ouvaton.org/
Zeuge Franz Josef Rottmann
https://www.klimatechniker.net/gronau/franz-josef-rottmann-oekotechnik-aULJQG
vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atom sprach über die Urananreicherungsanlage in Gronau. https://de.wikipedia.org/wiki/Urananreicherungsanlage_Gronau
Mit dem angereicherten Uran das Urenco in Gronau produziert können jährlich 30 Kernkraftwerke versorgt werden. RWE ist zu 50% an Urenco beteiligt.
Höhepunkt der Proteste gegen die Anlage war 2011 mit 15.000 Teilnehmerinnen.
Heute ist ihm kein politischer Wille erkennbar, die Anlage stillzulegen. Obwohl die Produktion von Atomstrom unwirtschaftlich ist.
Er sprach von den Krebsraten in und um die Anlagen, beim Transport und in der Nachbarschaft.
Gerd Schinkel ergänzte: Solange es die Urananreicherungsanlage in Gronau gibt, kann die Bundesrepublik am Katzentisch der Atommächte sitzen – deshalb spielt die Wirtschaftlichkeit keine Rolle.
Die Sachverständigen / Zeugen Michael Zobel und Eva Töller
http://naturfuehrung.com/ und https://www.youtube.com/watch?v=x_QUXz8Jkrg
Sie berichteten anschaulich von den Zerstörungen durch NRWE. Das Bergamt in Arnsberg sollte eigentlich eine Kontrollbehörde sein. Tatsächlich führen sie aus, was sich RWE wünscht. Die Aufsichtsbehörden kommen ihrer Pflicht nicht nach.
Sie stellten das Greenwashing bloß. So wird behauptet, die Löcher am Hambacher Forst und in Inden könnten zu Seen werden, die mit einem Kanal verbunden werden. Obwohl es einen Höhenunterschied von 60 m zwischen den Seen geben wird. Die Löcher mit Wasser zu füllen, wenn die Kohle abgebaut ist, läuft auf dasselbe raus, wie wenn man den eigenen Kohlenkeller mit Wasser füllt. Es gibt eine Giftbrühe.
Sie erinnerten an die 50 Millionen Euro, die für die Räumung des Hambacher Forstes ausgegeben wurden – was hätte damit für den Naturschutz getan werden können!
Sie klagten RWE an, der nicht vor der 600m Schutzzone vor dem Forst haltgemacht hat und jetzt auf 50 m herrangerückt ist – das wird den Wald austrocknen.
450 Millionen Kubikmeter Grundwasser darf RWE abpumpen um das Loch trocken zu halten. Es kann dazu führen, dass die Region zwischen Aachen und Köln unbewohnbar wird.
„RWE enteignen – alle Dörfer bleiben“ kam in ihren Beiträgen wiederholt vor.
Peter Singer ist für die Linke im Rat von Frechen.
https://www.die-linke-im-kreistag-rhein-erft.de/fraktion/peter-singer/
Er berichtete über seine Zeit im Braunkohleausschuss, der für das Braunkohlegebiet Aachen-Düsseldorf-Köln die Fortschreibung des Braunkohlebergbaus genehmigt. Dieser hat 40 Mitglieder. Er hat noch nie Kritik im Ausschuss an RWE gehört, auch nie kritische Nachfragen. Im Ausschuss stimmen alle für RWE.
Im Vorfeld eines neuen Großprojekts von RWE hatte Peter Singer Akteneinsicht verlangt. Er bekam nur 1 ½ Wochen vor der Sitzung einen Berg von 48 Aktenordnern voller nur für Fachleute verständlichen Informationen. Diese Unmengen von Informationen sind unmöglich in so kurzer Zeit zu verarbeiten, weshalb die meisten Mandatsträger in kleinen Gemeinderäten bis hin zum Bundestag in aller Regel solche Projekte abnicken, ohne sie tatsächlich zu kennen.
Er berichtete über die letzte Brikettfabrik, die nicht nur Briketts herstellt, sondern auch Braunkohle zu Staub zermahlt – 250 Millionen Tonnen Staub für die Industrie, weil der Staub für hohe Temperaturen geeignet ist. Im Kohleausstiegsgesetz steht nichts von Staub. Da er nachgefragt wird, wird weiter Kohle gebraucht.
Nach all diesen Informationen, die sich die Jury an diesem Wochenende anhören konnte, war ihre Entscheidung eindeutig: RWE muss enteignet werden.
Zu viele Menschen wurden wegen RWE und dem Kohleabbau enteignet. Was der Menschheit erspart worden wäre, wenn das umgesetzt worden wäre, was in den beiden Jahren nach dem Ende des 2.Weltkrieges allgemeine Zustimmung fand, als es noch ein Bewusstsein vom Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus gab – daran muss erinnert werden.
Beispielhaft für die geforderten Konsequenzen sei aus dem Aufruf zum Neuaufbau der SPD vom 15. Juni 1945 zitiert: „Verstaatlichung der Banken, Versicherungsunternehmen und der Bodenschätze, Verstaatlichung der Bergwerke und der Energiewirtschaft. Erfassung des Großgrundbesitzes und der lebensfähigen Großindustrie und aller Kriegsgewinne für die Zwecke des Wiederaufbaus. Beseitigung des arbeitslosen Einkommens aus Grund und Boden und Miethäusern.“ (Gebhard Diemer: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Wege zur Republik 1945-1947, Schöningh, 1979, S. 170)
Die drei Siegermächte Großbritannien, Sowjetunion und USA, die vom 17. Juli – 2. August 1945 in Potsdam tagten, kamen zu ähnlichen Beschlüssen. Der antifaschistisch-demokratische Neubeginn sollte sich an den „großen D’s“ orientieren: Demokratisierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung.
Bei den Festlegungen der Grundsätze zur Behandlung Deutschlands wurden Kriterien für eine antifaschistische und friedliche Perspektive dieses Landes formuliert, wie z.B. Forderungen nach Auflösung hegemonialer Wirtschaftsstrukturen, Forderungen nach wirklicher demokratischer Partizipation, Entmilitarisierung u.a., die bis heute visionären Charakter besitzen.
https://dasjahr1945.de/das-potsdamer-abkommen/
25.April 2022
Klaus Jünschke