Wohnen ein Menschenrecht – ohne Enteignung der profitorientierten Wohnungswirtschaft?

Zu einer wohnungspolitischen Diskussion hatten die Bürgergemeinschaft Rathenauplatz
(https://rathenauplatz.koeln/) und die Initiativen „Severinsviertel erhalten“ (https://severinsviertelerhalten.de/) und Recht auf Stadt (https://www.rechtaufstadt.koeln/) am 6. Mai 2022 Auf den Rathenauplatz eingeladen.

Die Redakteurin Mirjam Gehrke moderierte die Veranstaltung.  Der Studienstiftungschor Köln (https://www.studienstiftungschor-koeln.de/), begeisterte nicht nur mit seinen Liedern, z.B. von Kasalla, sondern stellte auch das halbe Publikum.  

Auf dem Podium saßen Marc Urmetzer (FDP), Alex Yohannes (CDU), Berivan Aymaz (Grüne), Florian Schuster (SPD) und Kalle Gerigk (Linke).

Angesichts der eskalierten Wohnungsnot in Köln und der gegensätzlichen Interessen von Eigentümern und Mieterinnen erwartete ich eine Auseinandersetzung, in der die Fetzen fliegen, aber es blieb beim Plauderton. Wahlkampf als Unterhaltung.

Im ersten Teil ging es um die soziale Erhaltungssatzung, die der Stadt die Möglichkeit gibt, die soziale Zusammensetzung im Viertel zu erhalten und die Mieterinnen vor Verdrängung zu schützen.  In vier Gebieten gelten sie inzwischen:
https://www.stadt-koeln.de/artikel/69318/index.html
Die CDU möchte es vorerst gerne dabei belassen und in vier Jahren evaluieren, was es gebracht hat. Grüne, SPD und Linke wollen die baldige Ausweitung und die Verschärfungen der Bestimmungen und damit es auch besser klappt, mehr Personal für die Stadt. Kalle Gerigk machte an zwei Beispielen deutlich, wie gering der Schutz für Mieter ist. Im Falle einer Familie mit vier Kindern in der Kornstraße gab es eine Kündigung unter dem Vorwand des Eigenbedarfs und für einen Eigentümer, der zehn Appartements über airbnb (https://www.airbnb.de/) dem Wohnungsmarkt entzog, gab es vom Gericht nur eine Strafe von 2.000 Euro.

In Köln ist viel von Vielfalt die Rede und die seit der Erfindung des Diversity Managements in US-Konzernen geleistet Kritik an diesem betriebswirtschaftlichen Führungsinstrument wird in der Öffentlichkeit ignoriert und ist, auch wie dieses Podium vermittelte, in der Politik nicht angekommen.

Eva Berger in der taz: „Während wir uns mit immenser Energie und kritischem Herzblut auf allen Ebenen der Gesellschaft der Anerkennung und Förderung von wie auch immer gearteter Diversität und dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung widmen, ist davon ein Ungleichheitsverhältnis nahezu unberührt geblieben bzw. hat sich radikalisiert: die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, die Verteilung des Reichtums ungerechter (die USA und Deutschland stechen hier laut OECD besonders hervor), die Ausbeutung insbesondere in den unteren Lohnsegmenten schärfer.“
https://taz.de/Buch-Der-Trubel-um-Diversitaet/!5807703/

„Da in vielen Fällen der Einsatz für die Diversität an die Stelle des Kampfes für die Gleichheit getreten ist (statt ihn zu ergänzen), hat er am Ende die Barrieren geschwächt, die den um sich greifenden Neoliberalismus eindämmen sollten.“  So Walter Benn Michaels.
https://monde-diplomatique.de/artikel/!726478

Auch lesenswert was Patricia Purtschert schon 2005 zu Diversity in der WoZ schrieb: https://www.woz.ch/-48f

In Köln gibt es längst Viertel mit wenig sozialer Vielfalt, z.B. im Hahnwald und in Finkenberg. In einem Viertel wohnen lauter Reiche und im anderen lauter Arme. Im Hahnwald ist die Wahlbeteiligung in der Stadt am höchsten und in Finkenberg dürfen 60% der Bewohnerinnen nicht wählen, weil sie keinen deutschen Pass haben und von denen die einen haben, geht nicht einmal jeder zweite wählen.  

Wie die Menschen in Finkenberg ihrem Schicksal überlassen werden, hat die Tage der WDR in einer Story vermittelt:
https://www.ardmediathek.de/video/die-story/die-gescheiterte-wohnvision-wie-ein-stadtteil-seinem-schicksal-ueberlassen-wird/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTI3YmZjNzNiLTRkYzQtNDI5Yy1hOGVlLWYwZDkyOTBmNmNlNg

Der von der Grünen nach Köln geholte Sozialdezernent Rau in dieser Sendung: „Ich hoffe, dass es nicht zynisch klingt. Auch Menschen, die benachteiligt sind, sind gut beraten quasi auch zu eigener Kraft zu finden. Und gerade Menschen, die gewissermaßen miteinander leiden, die sich abgehängt und benachteiligt fühlen, dass die sich treffen, dass die sich organisieren, das die überlegen, wo liegt unsere Stärke, wie wollen wir denn leben. Das ist etwas Wertvolles. Das ist auch die Pflicht dieser Menschen. Wir leben nicht in einem Staat, wo jeder nur rufen kann ‚Staat hilf mir‘“.(ab Minute 42)

In dem Film war zuvor von einer vor 10 Jahren gegründeten Mieterinitiative berichtet worden und es wurde gezeigt wie Jugendliche aus Finkenberg vor fünf Jahren, als Rau als Sozialdezernent anfing, ein Video über ihre Situation gedreht und an Oberbürgermeisterin Reker geschickt haben, die Frau die vor Rau Sozialdezernentin war. Ohne Antwort.

Rau ab Minute 38: „Da wo eine hohe Nachfrage ist, da haben die Vermietenden auch eine hohe Macht, das ist quasi eine Gesetzmäßigkeit des Marktes. Und ich sage jetzt mal von mir selber, wenn ich sehr leiden würde, würde ich mir schon auch überlegen, welche anderen Möglichkeiten habe ich, muss ich in eine Millionenstadt oder kann ich vielleicht auch an den Rand einer Stadt.“

Der zweite Teil dieses Abends auf dem Rathenauplatz wurde von Hans-Jörg Depel, dem Geschäftsführer des Mietervereins Köln eröffnet. Er war gebeten worden seine Einschätzung zur wohnungspolitischen Lage in Köln mitzuteilen. https://www.mieterverein-koeln.de/

Für Herrn Depel ist die Lage auch dem Kölner Wohnungsmarkt dramatisch: es gibt nicht genügend Wohnungen und es fehlt an bezahlbaren Mieten. Im Kölner Wohnbündnis wurde 2007 vereinbart die jährliche Bauleistung schrittweise auf bis zu 6000 Wohnungen zu steigern. Es wurde nie erreicht.
2016 – 2020 gehörte Köln nicht zu den 30 deutschen Städten mit dem meisten Wohnungsbau.
Er verglich Köln und München, das mehr Einwohner und eine geringere Fläche als Köln hat und leitete daraus die Forderung nach Verdichtung im Wohnungsbau ab.
Er erinnerte, dass die Hälfte der Bevölkerung in Köln einen Wohnberechtigungsschein hat. Gab es Anfang der 1990er Jahren noch gut 20 Prozent Sozialwohnungen in der Stadt, waren es 2018 nur noch 6,9 Prozent oder gut 38.600 Wohnungen gewesen.
Er zitierte die Studie der Hans-Böckler-Stiftung, laut der immer mehr Haushalte über 40% ihrer Einkünfte für die Miete ausgeben müssen und prognostizierte, dass das mit den geraden steigenden Energiekosten noch schlimmer wird. Die Mietpreisbremse hat seiner Einschätzung nach zuviele Schlupflöcher.

In der anschließenden Diskussion wurden die schon oft gehörten Forderungen und Wünsche genannt. Aber nur Kalle Gerigk wagte sich an die Ursachen, in dem er die Entmachtung der profitorientieren Wohnungswirtschaft forderte.

7.Mai 2022
Klaus Jünschke

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