Isolationshaft ist Folter

Isolationshaft ist Folter

Für Daniela Klette und alle Gefangenen in Einzelhaft

Unter der Überschrift „Rentner Armee Fraktion“ war auf Spiegel-online zu lesen: “Ein Trio holt die bleiernen Jahre der RAF zurück in die Gegenwart“.  Als wären es nicht Polizei, Medien und Politik gewesen, die mit ihren Reaktionen auf die Festnahme von Daniela Klette die Hysterie der 1970er Jahre wiederaufleben ließen. Der kritische Kriminologe Sebastian Scheerer hat 1978 den Begriff des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs eingeführt, der noch heute geeignet ist, zu verstehen, was in der RAF-Debatte vor sich geht, wie sich Polizei, Medien und Politik im Tanz um das Law-and-Order-Kalb gegenseitig heiß machen. .

Bisher ist mir kein Text bekannt geworden, in dem Journalistinnen in dieser Geschichte den Blick auf sich selbst richten, also selbstreflexiv werden. Die Medien waren und sind nicht nur Echo-Kammer. Was machten die Journalistinnen eigentlich, die über die RAF schrieben und berichteten, wessen Interessen verfolgten sie, mit welchen Konsequenzen und mit welchem Ziel gingen sie ihrer Arbeit nach, dass heute immer noch behauptet werden kann, Isolationshaft ist eine Propagandamärchen der RAF?

Angesichts der Haftbedingungen von Daniela Klette ist es angebracht an die Corona-Jahre zu erinnern und an das was damals in allen Medien zu sozialer Isolation, den Kontaktbeschränkungen  und ihren Folgen zu vernehmen war – in leichter Sprache, in schwerer Sprache, schriftlich und mündlich, aber ohne jeden Bezug zur Geschichte der RAF oder auch nur zum Alltag in den Zellengefängnissen. .

Mit der Covid-19-Pandemie begann Anfang 2020 eine Zeit umfangreicher Kontaktbeschränkungen und Kontaktverbote. Von Anfang an wurde von den maßgeblichen Institutionen und ihren Repräsentantinnen, aber auch in einer Vielzahl von Medien immer wieder vermittelt: Wir wissen, dass mit den Corona-Maßnahmen die Gefahr sozialer Isolation einhergeht und dass diese Wohlbefinden und Gesundheit beeinträchtigen kann. Und wir wissen, dass bestimmte Gruppen der Bevölkerung davon besonders stark betroffen sind.

Es gab und gibt also durchaus Bekundungen der Solidarität mit den Menschen, für die soziale Isolation oder man kann fast sagen: eine weitere soziale Isolation besonders schmerzhaft sein musste. Dies gesagt, fällt aber auch auf: In Bezug auf Gefängnisse und ihre Gefangenen waren diese Bekundungen extrem selten. Dabei ist die Isolation für die Gefangenen bereits unter sogenannten Normalbedingungen eine psychische Belastung.

Zweifelsfrei zählen daher Gefangene in Bezug auf ihre psychische Gesundheit zu den besonders gefährdeten Gruppen. Der Anteil psychischer Erkrankungen in der deutschen Gesamtbevölkerung liegt bei 27 Prozent. Studien mit unterschiedlichem Forschungsdesign kommen in Bezug auf Strafgefangene auf einen Anteil von 40 bis 70 Prozent mit psychischen Erkrankungen und Auffälligkeiten. Es liegt also nahe, dass sich die jüngsten Kontaktbeschränkungen auf Gefangene besonders negativ ausgewirkt haben, da sie bereits vorhandene Mängel weiter verstärkten.

Den Machern des Strafvollzugsgesetzes war das bewusst. Daher wurde im § 3 zur „Gestaltung des Vollzuges“ festgehalten: „(1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“

Der Haptikforscher Prof. Dr. Martin Grundwald erklärte zum Mangel an Berührungen: „Sicher ist, dass soziale Vereinsamung und fehlender zwischenmenschlicher Körperkontakt über einen längeren Zeitraum auf der psychischen und körperlichen Ebene zu relevanten Erkrankungen führen können.“ Und er ergänzt: „Insofern ist die körperlichen Zurückhaltung aktuell gegenüber allem und jedem eine erhebliche Stresssituation, die nicht jeder gut verkraftet.“
(https://www.uniklinikum-leipzig.de/presse/Seiten/Pressemitteilung_6986.aspx)

Ein weiterer Punkt, wusste das ZDF, sind Gespräche, die gerade in Krisen und beim Umgang mit Einsamkeit, Depression und Angstzuständen besonders wichtig sind. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-depression-einsamkeit-100.html

Angesichts der offenkundigen Schädigung der psychischen Gesundheit durch soziale Isolation fordert Prof. Dr. med. Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Universität Leipzig, eine bessere Aufklärung über die Folgen der Isolation, entsprechende präventive Maßnahmen sowie Therapieangebote – auch unter Einbeziehung der Telemedizin.
( https://www.mdr.de/wissen/psychische-folgen-corona-kontaktbeschraenkung-social-distancing-100.html )

Besonders deutlich wird schließlich Prof. Dr. James Coan, Direktor des Virginia Affective Neuroscience Laboratory:„Wer einsam ist, wird öfter krank. Wunden heilen schlechter, das Immunsystem ist schwächer.“ Man sterbe früher, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes und Depressionen steige, man werde eher dement: „Soziale Isolation tötet, das ist eine Tatsache.“ (Der Spiegel, Nr. 21/16.5.2020, S.116)

„Soziale Isolation tötet“ stand im Spiegel und niemand in den Medien fiel dazu die Geschichte der RAF und die andauernde Auseinandersetzung um Isolationsfolter ein.

Robi Friedman beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie Krieg eine Gesellschaft verändert. Von Antje Lang-Lendorff wurder er für die taz zu seinem Buch „Soldatenmatrix“ interviewt:

„Eine Matrix ist eigentlich eine Kultur. Der Begriff beschreibt die Kultur der Beziehungen, die Kultur der Kommunikation und ihren Sinn. Die Geschichte, die Erinnerungen sind auch Teil der Matrix. Sie prägt die Gespräche, aber auch die Berichterstattung in den Medien und das Internet. Wenn es Krieg gibt, dann verändert sich die Matrix. Wie auf Knopfdruck werden alle zu Soldaten, die gesamte Bevölkerung wird eingezogen. Natürlich müssen nicht alle kämpfen, aber jeder hat eine Rolle in diesem Krieg. Deshalb habe ich mein Konzept ‚Soldatenmatrix‘ genannt.“
https://taz.de/Israelischer-Psychologe-ueber-Krieg/!6000125&s=Soldatenmatrix/

Für mich eine einleuchtende Erklärung dafür, dass auch 2011 keine Stimme in den bundesdeutschen Medien zu vernehmen war, als Vereinte Nationen und das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter die Einzelhaft skandalisierten und ihre Ächtung forderten.

Im Jahr 2011 veröffentlichte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Juan Ernesto Méndez, einen Bericht, in dem er zu dem Schluss kam, dass mehr als 15 Tage Einzelhaft als Verstoß gegen die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe gelten sollten.

Es gibt zwar keine universelle Definition für Einzelhaft, da der Grad der sozialen Isolation je nach Praxis variiert. Aber Herr Méndez definierte sie als jedes Regime, bei dem Insassinnen mindestens 22 Stunden am Tag von anderen Gefangenen, mit Ausnahme von Wärterinnen, isoliert sind. https://news.un.org/en/story/2011/10/392012-solitary-confinement-should-be-banned-most-cases-un-expert-says#.UdsQoT5gaBg und https://www.un.org/press/en/2011/gashc4014.doc.htm

Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) ist der Meinung, dass die maximale Dauer von Einzelhaft 14 Tage nicht übersteigen und vorzugsweise darunter liegen sollte. Im 21. Jahresbericht des CPT, der auch 2011 veröffentlicht wurde, werden gleichfalls unter dem Begriff „Einzelhaft“ alle Fälle verstanden, bei denen die Unterbringung von Gefangenen getrennt von anderen Inhaftierten angeordnet wird.
https://rm.coe.int/16806fa178

Als nach 2002 immer wieder Fotos von den Gefangenen in Guantanomo in den Medien zu sehen waren, auf denen die Gefangenen die Augen verbunden waren, die Ohren mit Kopfhörer verschlossen, Mund und Nase bedeckt, die gefesselten Hände in Handschuhen wurde die bundesdeutsche Öffentlichkeit nicht über sensorische Deprivation aufgeklärt. Dabei war diese Foltermethode durch die Veröffentlichung des Kursbuch 32 seit 1973 in der Bundesrepublik bekannt. Was in normalen Zellengefängnissen mit strenger Einzelhaft in Monaten und Jahren bewirkt wird, die Leidensfähigkeit der Gefangenen zu überschreiten, haben die USA auf Guantonamo mit ihren Methoden in Stunden und Tagen hergestellt. Allein  2003 versuchten 120 Gefangene in Guiantanom0 sich das Leben zu nehmen. https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenlager_der_Guantanamo_Bay_Naval_Base#Suizide_und_Suizidversuche_von_Gefangenen.

Auf der Informationsveranstaltung des Kölner „Komitee zur Aufklärung über Gefängnisse / Initiative gegen Folter“ am 18.2.1974 im Wallraf-Richartz-Museum erklärt die Theologin Dorothee Sölle, warum sie lernte Isolationshaft als Folter zu bezeichnen:

 „Ich möchte Ihnen kurz meinen eigenen Lernprozess in dieser Sache darstellen. Ich habe mich zunächst gegen den Ausdruck Folter hier in der Bundesrepublik gewehrt und zwar, weil ich eine Reihe von sehr gründlichen Studien, Reflexionen und Berichten habe, über das, was an Folter z.B. in Süd-Vietnam oder Brasilien passiert. Und so meinte ich zunächst, man sollte doch diesen Ausdruck Folter beschränken auf die Zerstörung  körperlicher Unversehrtheit durch direkten physischen Eingriff. Ich muss sagen, die Beschäftigung mit den Berichten, mit dem, was im Kursbuch steht, das hat mich mehr und mehr davon abgebracht, das Wort Folter in diesem älteren Sinne zu nehmen. Es ist  meiner Ansicht nach also notwendig, eine Art Revision des Begriffes Folter vorzunehmen. Auch die Anwendung seelischer Zerstörungsmechanismen, mit dem Ziel nun nicht mehr des Geständnisses, ist Folter. Die neue Definition müsste heißen: Folter ist die Anwendung von Isolation zum Zweck der psychisch – physischen  Zerstörung der Persönlichkeit des Häftlings. Auch das wird man als Folter ansehen müssen.“  (Christiane Ensslin: Isolationshaft ist Folter. In: Reiner Schmidt, Anne Schulz und Pui von Schwind: Die Stadt, das Land, die Welt verändern. Köln 2014, S.401)

Köln, 8. April 2024
Klaus Jünschke

Amnestie für Daniela Klette und alle anderen Ehemaligen aus der RAF

Das liberale Zentrum Köln veranstaltete am 19.11 1987 die Podiumsdiskussion „ 10 Jahre danach – Die RAF und ihre Folgen“ in der Aula der Berufsschule Lindenstraße.

Moderiert von Volker Happe von monitor  diskutierten  Gerhart Baum, Antje Vollmer, Stefan Aust und ich. Antje Vollmer und Stefan Aust hatten kein Problem mir zuzustimmen, als ich erklärte, dass es ohne den Vietnamkrieg keine RAF gegeben hätte und ohne Isolationshaft keine 2. und 3. Generation der RAF. Zu unserer Überraschung sagte der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum „Die Isolationshaft war ein Fehler.“


In der Politik und im Strafvollzug ist das bis heute nicht angekommen. Isolationshaft, im Justizjargon „strenge Einzelhaft“ genannt, wird immer noch praktiziert.


Im Jahr 2011 veröffentlichte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Juan Mendez, einen Bericht, in dem er zu dem Schluss kam, dass mehr als 15 Tage Einzelhaft als Verstoß gegen die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe gelten sollten.
Es gibt keine universelle Definition für Einzelhaft, da der Grad der sozialen Isolation je nach Praxis variiert, aber Herr Méndez definierte ihn als jedes Regime, bei dem ein Insasse mindestens 22 Stunden am Tag von anderen Gefangenen, mit Ausnahme von Wärtern, isoliert ist.
https://news.un.org/en/story/2011/10/392012-solitary-confinement-should-be-banned-most-cases-un-expert-says#.UdsQoT5gaBg
und
https://www.un.org/press/en/2011/gashc4014.doc.htm

Das Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) ist  der  Meinung,  dass  die  maximale Dauer der Einzelhaft 14  Tage  nicht  übersteigen  und  vorzugsweise  darunter  liegen sollte. Im 21. Jahresbericht des CPT, der auch 2011 veröffentlicht wurde, werden gleichfalls unter dem Begriff „Einzelhaft“  alle  Fälle verstanden,  bei  denen  die  Unterbringung eines Gefangenen getrennt von anderen Inhaftierten angeordnet wird.
https://rm.coe.int/16806fa178

In den Coronajahren erlebte die bundesrepublikanische Gesellschaft eine noch nie dagewesene sensible Aufklärung in allen Medien über die krank machenden Folgen von in der Pandemie verhängten Kontaktbeschränkungen.

Beispielhaft sei Prof. Dr. James Coan, Direktor des Virginia Affective Neuroscience Laboratory zitiert: „Wenn wir uns von anderen Menschen fern halten, setzen wir uns selbst enormen Risiken aus. Wer einsam ist, wird öfter krank. Wunden heilen schlechter, das Immunsystem ist schwächer.“  . Man sterbe früher, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes und Depressionen steige, man werde eher dement. „Soziale Isolation tötet, das ist eine Tatsache.“ (Der Spiegel, Nr. 21/16.5.2020, S.116)

Alle Berichte über die Folgen sozialer Isolation blieben ohne jeden Bezug zur Geschichte der RAF und dem Alltag in den Zellen-Gefängnissen. Aber diese Auseinandersetzung steht aus.


28. Februar 2024
Klaus Jünschke

Ersatzfreiheitsstrafe – Kampf gegen die Armen, statt Bekämpfung der Armut

Wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und nicht zahlt, kommt in den Knast. Die betroffenen Frauen und Männer wurden zu einer Geldstrafe verurteilt, weil die angezeigten Delikte mehr oder weniger geringfügig waren: kleine Eigentumsdelikte, Drogenbesitz und Fahren ohne Ticket.

Moderiert von Martin Stankowski informierten am 30. November 2022 in der Karl-Rahner-Akademie über die Ersatzfreiheitsstrafe Dr. Nicole Bögelein vom Kriminologischen Institut der Kölner Universität, Petra Hastenteufel von der OASE  und der ehemalige NRW-Justizminister Dr. Peter Biesenbach.

Nicole Bögelein vermittelte den Umfang dieses sozialen Skandals: zwar wird an den jeweiligen Stichtagen bekannt, dass „nur“ 10% aller Insassen des Strafvollzugs in der Bundesrepublik  in Haft sind, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Aber übers Jahr gesehen sind mehr als die Hälfte aller Neuzugänge in den Strafanstalten sogenannte Ersatzfreiheitsstrafler. Sie sprach von 56.000 Frauen und Männern. Ein sehr deutsches Phänomen, wie Martin Stankowski mit Zahlen aus den europäischen Nachbarländern ergänzen konnte.

Eindringlich verwies Frau Bögelein auf eine Studie, mit der bekannt wurde, dass 15% aller Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen, suizidgefährdet sind – mit der Folge, dass einige von ihnen in Haft sterben.

Petra Hastenteufel erzählte von Frauen und Männer auf der Straße, die sie als Streetworkerin persönlich kennengelernt hat und deren Überlebensbedingungen eng mit ihrer Kriminalisierung verbunden sind. Eindrücklich war ihr Bericht von einem Forschungsprojekt der Katholischen Fachhochschule zum „Raumnutzungsverhalten von Menschen in Obdachlosigkeit“. Menschen auf der Straße legen täglich Strecken zurück, die Menschen mit einer Wohnung sich gar nicht vorstellen können, weil sie fast alles in den eigenen vier Wänden haben: Schlafplatz, Toilette, Waschgelegenheit, Waschmaschine, Computer, Kühlschrank, Küche, TV usw. Da fallen so viele für die Obdachlosen unbezahlbare KVB-Fahrten an, dass es niemand verwunderte von Nicole Bögelein zu erfahren, dass „Beförderungserschleichung“  20% aller Geldstrafen stellt und insgesamt der Anteil der Obdachlosen an den zu einer Ersatzfreiheitsstrafe Verurteilten extrem hoch ist. https://www.hn-nrw.de/raumnutzungsverhalten-von-menschen-in-obdachlosigkeit/

Bei der letzten Stichtagszählung waren 13,8% aller Gefangenen bei der Inhaftierung ohne festen Wohnsitz. Das bedeutet, dass sie nicht nur wegen nichtbezahlten Geldstrafen sitzen – wie die Armen mit Wohnungen auch, die die Mehrheit in den Gefängnissen stellt.

Dr. Peter Biesenbach hat erklärt, dass der Strafvollzug Straftäter resozialisieren sollte, aber das sei nicht das, was sich Richter bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe vorgestellt hatten. Er hatte schon vor zehn Jahre eine Initiative zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen gestartet, war aber im Bundesrat an den Mehrheitsverhältnissen gescheitert, die von seiner eigenen Partei, der CDU, bestimmt waren.

Er erinnerte, wie Fahren ohne Ticket zu einem Massendelikt werden konnte – nämlich ab der Zeit, als die Schaffner in Bussen und Bahnen abgeschafft wurden. Das wird oft vernachlässigt, wenn davon gesprochen wird, dass im kapitalistischen Wirtschaftssystem Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Unerwähnt blieb, dass auch ein anderes Massendelikt dieselbe Geschichte hat. Als die Selbstbedienungsläden entstanden und in den Kaufhäusern immer weniger Verkäuferinnen für immer größere Warenflächen zuständig wurden, eskalierte dieser Diebstahl. Allerdings angesichts der geringen Löhne auch durch das eigenen Personal, und nicht nur durch wohnungslose Arme.

Mindestens die Hälfte aller Obdachlosen ist suchtkrank. Manche wurden durch ihre Sucht obdachlos, andere wurden durch die Obdachlosigkeit süchtig. Als Haschisch, Opium und Heroin in Deutschland wie in den anderen europäischen Ländern Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre auftauchten, wurde mit einer Repressiven Drogenpolitik versucht die Gesellschaft drogenfrei zu machen. Jörn Foegen, der Leiter der JVA Köln, hatte in den 1990er Jahren angesichts des Scheiterns des „war on drugs“ immer wieder öffentlich erklärt, dass er ein Drittel aller Zellen dicht machen könnte, wenn es in Deutschland eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik geben würde. Die von ihm geforderte Abgabe von „anständigem Heroin“ an die Süchtigen, darunter auch viele Obdachlose, wurde erst 2008 vom Bundestag beschlossen, allerdings profitiert davon nur eine winzige Minderheit. 

Ex-Justizminister Biesenbach stellte fest, was alle an dem Abend Anwesenden wissen: Polizei und Justiz können die Armut und die Suchtkrankheiten nicht bekämpfen.

In der Bundesregierung ist diese Einsicht nicht angekommen. Die Ampel will die Ersatzfreiheitsstrafe nicht abschaffen, sondern nur halbieren. Damit werden weiterhin bundesweit Zehntausende arme Frauen und Männer zum Verbüßen einer Ersatzfreiheitsstrafe in die Gefängnisse einrücken müssen.

Schon bei der minimalen Reform von Hartz IV zum Bürgergeld hat sich gezeigt, dass die FDP mit der CDU stimmte, um zu verhindern, dass die ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit sanktionsfrei werden.

Da es in den Parlamenten noch keine Mehrheiten für die Entkriminalisierung der Armen gibt, entstehen an der Basis Initiativen, die an diesem Abend in der Karl-Rahner-Akademie auch vorgestellt wurden.

Reinhold Goss hat die grüne Kreismitgliederversammlung aufgefordert, dass die grüne Ratsfraktion ihren Einfluss geltend macht, dass die KVB „keine Strafanzeige aufgrund des Erschleichens von Leistungen nach § 265a StGB (dem Fahren ohne Fahrschein) bis zum Inkrafttreten eines sich aktuell abzeichnenden Bundesgesetzes stellt.“

Der Stadt-Anzeiger hatte am 30. 11. 2022 über Frau Wotzlaw, die Leiterin der JVA Köln berichtet:   „Nichts hält Wotzlaw von einem sogenannten Freiheitsfonds, mit dessen Hilfe Betroffene aus dem Gefängnis freigekauft werden.“ https://www.ksta.de/koeln/schwarzfahren-kvb-koeln-koelner-schon-viermal-im-gefaengnis-374518

Zu Beginn der Veranstaltung hatte Hans Mörtter vom Vringstreff die Gründung des regionalen Freiheitsfonds „Freikaufen Köln“ mit einem Flugblatt bekanntgegeben. Am Ende konnte er von einem Gespräch mit Frau Wotzlaw mitteilen, dass sie sehr wohl bereit ist mitzuhelfen, Ersatzfreiheitsstrafler in der Köln JVA  auszulösen. Die Einnahmen des Abends gingen an „Freikaufen Köln“.
https://vringstreff.de/freikaufen-koeln/

Die Kölner Regionalgruppe des bundesweiten Netzwerks Abolitionismus plant für das kommende Frühjahr eine Veranstaltung mit dem ehemaligen Gefängnisdirektor Thomas Galli zur Abschaffung der Gefängnisse.
https://strafvollzugsarchiv.de/abolitionismus   und https://www.thomas-galli.de/

Abschließbare Einzelzimmer für alle

Wohnungslosigkeit ist eine Menschenrechtsverletzung

Es ist prima, was die Stadt alles unternimmt, um Flüchtlinge unterzubringen. Wenn die Stadt sich weiterhin nicht traut den Leerstand an Wohnungen zu beschlagnahmen: Warum kann man nicht an all diesen Standorten mit Unterkünften für Flüchtlinge ein paar Container für die Obdachlosen dazustellen – oder sonst wo in der Stadt auf Parkplätzen? Die am 14.Januar 2021 vom Sozialausschuss beschlossene Unterbringung aller Obdachlosen in abschließbaren Einzelzimmern ist möglich.

Herr Prof. Dr. Rau, warum wollen Sie nicht?

Oder warum dürfen Sie nicht?

Luisa Schneider war Referentin auf einem workshop der Stadt Köln zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und hat eindringlich vermittelt wieso gerade auch Obdachlose ein Recht auf Privatsphäre und Intimsphäre haben müssen.
https://www.youtube.com/watch?v=4w1eRJfdn-0

und
https://www.youtube.com/watch?v=7eVeVbyQNd4

Eine mörderische Stadt

Für das vergangene Jahr wurde mit 74 verstorbenen Frauen und Männern ein neuer Höchststand an Drogentoten von der Polizei in Köln bekannt gegeben. In der Berichterstattung um den Neumarkt geht es jedoch in erster Linie nicht um die Not und das Elend der Drogenkranken, sondern um die Belästigung der Anwohner. Wie heute der Stadt-Anzeiger meldet, soll die Belästigung durch die Drogenkranken durch eine Neugestaltung des Platzes und eine Verlängerung der Öffnungszeiten des Konsumraums im Gesundheitsamt gemildert werden.

Was seit Jahren aus der Drogen-Hilfe gefordert wird, kommt im Stadt-Anzeiger nicht vor und bei der Stadt Köln nicht an.

Benötigt werden in Köln Drogenkonsumräume in Mülheim, Kalk, Chorweiler und Kölnberg. Sie müssen rund um die Uhr geöffnet sein. Das würde die Scene um den Neumarkt entlasten.

Es muss Drug-Checking geben. Die Drogenkranken müssen die Möglichkeit haben vor dem Konsum testen zu lassen, inwieweit das Heroin gesundheitsgefährdend verunreinigt ist.

Die Substitution mit Diamorphin muss ausgeweitet werden. Wie kann es sein, dass Heroin als Medikament 2009 vom Bundestag zugelassen wurde, aber in Köln angesichts von mehreren Tausend Heroinabhängigen keine 80 mit Diamorphin substituiert werden?

Alle Drogenkranken müssen Wohnungen bekommen, wenigstens ein abschließbares Zimmer. Statt die obdachlosen Drogenkranken von der Straße zu holen, werden Drogenkranke aus der JVA in die Obdachlosigkeit entlassen.

Für eine Stadt ohne Obdachlosigkeit
Für eine Stadt ohne Zwangsräumungen
Für eine Stadt ohne Drogentote
Für eine Stadt ohne Gewalt gegen Frauen und Kinder
Für eine Stadt ohne Abschiebungen
Für eine Stadt ohne Armut

22.11.2022
Klaus Jünschke

PS
Der Express meldet: Köln: Zwei 14-Jährige greifen Obdachlosen an
Am Sonntag wurden die Einsatzkräfte der Bundespolizei zu einem weiteren brutalen Angriff gerufen. Gegen 18.30 Uhr sollen demnach zwei 14-Jährige einem 34-jährigen Mann eine Glasflasche gegen seinen Kopf geworfen und danach auf ihn eingeschlagen haben. Der Obdachlose erlitt dabei eine Platzwunde am Kopf.
https://www.express.de/…/koeln-hbf-zwei-brutale…

Von wem und wodurch lernen Kinder und Jugendliche Missachtung von Obdachlosen, wenn nicht von einer Stadt, die sie auf den Straßen verwahrlosen lässt.

Die Zahl der Drogentoten in NRW steigt

Wo bleiben die Drogenkonsumräume in Kalk, Mülheim, Kölnberg und Chorweiler?

Die Kölnische Rundschau berichtet:
„Die Zahl der Drogentoten in NRW entwickelt sich sehr besorgniserregend: Sie stieg von rund 200 im Jahr 2017 auf den Rekordwert von zuletzt fast 700. Ein Faktor, der zu den gestiegenen Zahlen beigetragen haben könnte, ist laut der Landesregierung „die eingeschränkte Verfügbarkeit niedrigschwelliger Suchthilfeangebote während der Corona-Pandemie.“ So sei die Zahl der Konsumvorgänge in den Drogenkonsumräumen in NRW von etwa 298 000 Vorgängen im Jahr 2019 auf 212 000 im Jahr 2021 zurückgegangen.“
https://www.rundschau-online.de/nrw/suchtproblem-in-nrw-die-zahl-der-drogentoten-steigt-immens-39971120?backlink

In Köln gibt es keine Drogenkonsumräume die rund um die Uhr geöffnet sind. Der Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt schließt werktags um 18:30 Uhr, samstags um 15:30 Uhr und ist sonntags geschlossen.

Seit Jahren wird auf den Gedenktagen für die Drogentoten die Eröffnung von Drogenkonsumräumen in Kalk, Mülheim, Chorweiler und Kölnberg gefordert.

Wenn es richtig ist, dass eine weitere Ursache der gestiegenen Zahl der Drogentoten der erhöhte Wirkstoffgehalt der Drogen ist, wie  LKA-Dezernatsleiter Colin Nierenz im Interview der Kölnischen Rundschau mitteilte, stellt sich die Frage nach dem Ausbleiben von Angeboten zum  drugchecking.
http://drugchecking.de/

Obwohl die Zahl der Drogentoten angestiegen ist, sind seit vielen Jahren die Landesmittel für Hilfsangebote nicht mehr erhöht worden.

Es ist überfällig, das Ende der repressiven Drogenpolitik zu fordern und die Initiativen für eine an einer Leidverminderung orientierten Drogenpolitik zu unterstützen. Dazu gehört die Entkriminalisierung der Drogen. Obwohl der Bundestag schon Heroin als Medikament zugelassen hat, um die Suchtkranken zu substituieren, endet der Artikel der Kölnischen Rundschau mit der Behauptung des LKA Düsseldorf, der Ruf nach einer Legalisierung des Cannabiskonsums sei fatal.

Am 27.01.1997 berichtete der Spiegel in seiner Titelgeschichte, dass viele Polizeipräsidenten für die Abgabe von Heroin an die Süchtigen sind, auch Kölns damaliger Polizeipräsident Roters zählte zu den Befürwortern.

Der damalige Leiter der JVA Köln, Jörn Foegen, erklärte, dass er ein Drittel der Zellen dicht machen könnte, wenn es eine an Leidverminderung orientierte Drogenpolitik geben würde. http://www.jugendliche-in-haft.de/wp-content/2007/04/Foegen.pdf

Auch das Leid und der finanzielle Schaden durch die Beschaffungsdelikte der Drogenkranken kann gemildert werden. In den Städten dürfte den Drogen ein Drittel der Eigentumskriminalität zuzurechnen ist.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8651170.html

OMZ unvergessen

Gestern, am 22.09.2022,  wurde in der Südstadt mit dem Zugang über den Bischofsweg 48-50, der Pionierpark eingeweiht. Der Name ist vorläufig. Auf der website für dieses Projekt ist auf der Startseite ein Foto vom Gelände aus der Vogelperspektive:
https://www.parkstadt-sued.de/

Am unteren Ende des Parks in Richtung Bonner Straße sind große Haufen Erde und dahinter ein Zaun, der das noch nicht begrünte Gelände vom Pionierpark abtrennt.
Hier stand das Verwaltungsgebäude, das von Obdachlosen zu Beginn der Pandemie vor zwei Jahren besetzt wurde. Sie nannten sich Obdachlose mit Zukunft (OMZ).

Diese Zeit mit ihren Hoffnungen und Träumen von einem selbstbestimmten Leben in eigenen vier Wänden hat Susanne Böhm mit ihrem Team in einem Film dokumentiert: https://youtu.be/BMX5AF22jCs               

Der Film wurde gestern auf dem Kunstboot im Rheinau Hafen gezeigt, und Kalle Gerigk, einer der vielen Unterstützer der OMZ von Anfang an, schilderte wie das Projekt mit dem Umzug in die Gummersbacher Straße zum Scheitern gebracht wurde. Die in der Marktstraße vorhanden Räume erlaubten Hausversammlungen und boten realistische Aussicht den Traum vom gemeinsamen Wohnen und Arbeit zu verwirklichen. https://www.facebook.com/100003640373040/videos/3282042658740292

Ich  bin gestern auf einen dieser Erdhaufen im Pionierpark  gestiegen, um einen Blick über die Mauer werfen zu können und Fotos von der Freifläche aufnehmen zu können, die dahinter liegt.

Das OMZ hätte dort nicht nur bis heute stehen können. Es wäre auch möglich gewesen das Projekt mit seinem Café in den entstehenden Park zu integrieren.

Es konnte nicht realisiert werden, weil in der Stadtspitze und im Rat der Stadt Köln der Mehrheit jeder Bezug zur Armut in der Stadt fehlt.

Tag der Wohnungslosen auf dem Rudolfplatz

Holt die Obdachlosen endlich von der Straße in Wohnungen

„Eigentlich dürfte kein Mensch auf der Straße leben oder ohne Wohnraum sein“, erklärte
Sozialdezernent Rau im Interview mit dem Stadt-Anzeiger am 10.September 2022 zum Tag der Wohnungslosen, an dem in Köln 8.170 Wohnungslose gezählt wurden. Zu den von der Stadt geschätzten 300 Obdachlosen, die auf der Straße leben, sagt Dr. Rau, „dass Obdachlose heute kränker, hilfloser und schutzloser als früher sind.“
https://www.ksta.de/koeln/obdachlosigkeit-in-koeln–das-problem-wird-groesser-werden–39930844

Am heutigen Mittwoch, den 14.September 2022, verwies Herr Rau auf dem Rudolfplatz auf die Empfehlung des Europäischen Parlaments an die Mitgliedsstaaten der EU bis 2030 die Obdachlosigkeit abzuschaffen. Er findet das „ambitioniert“, also nicht zu schaffen. Wobei unerwähnt blieb, dass Finnland öffentlich erklärt hat, bis 2027 ein Land ohne Obdachlosigkeit zu sein.

Damit sich keine Enttäuschung breit machte, berichtete der Sozialdezernent von drei innovativen Projekten, wie es schon Goethe wusste: „Gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen. Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“

Ein paar Housing First- Wohnungen, Obdachlosen die Chance der Selbstorganisation gegeben zu haben und als Makler auf die Wohnungssuche zu gehen, ist schön und gut. Aber die Botschaft des heutigen Tages bleibt, dass die Stadt Köln nicht wirklich an der Abschaffung der Obdachlosigkeit arbeitet.

Im Interview mit dem Stadt-Anzeiger durfte Herr Rau unwidersprochen erklären:  „Wir dürfen Obdachlosigkeit nicht überromantisieren“. Und heute hat er bekannt, dass es auch ihm lästig ist, „alle 20 Meter“ von Obdachlosen angebettelt zu werden, wenn er durch die Stadt geht.  Statt zu skandalisieren wie lästig es ist, in einer Stadt zu leben, die eine Milliarde Euro für die Sanierung der Oper ausgibt, aber nicht in der Lage ist, die geschätzt 300 Obdachlosen von der Straße zu holen.

Herr Rau ganz listig: „Wenn wir allen Obdachlosen Wohnungen geben würden, kämen sofort andere nach.“  Anerkennenswerterweise hat die Stadt, unterstützt von vielen Freiwilligen und Initiativen, in kurzer Zeit über1.000 Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht. Da hat keiner befunden: „Wenn wir diese Flüchtlinge unterbringen kommen andere nach“.

Weil das gilt: Wo Not ist muss geholfen werden. Aber für die Obdachlosen gilt das nicht. Die bleiben einfach immer außen vor. Über Jahrzehnte wurde das normalisiert. Die Ärmsten kriegen Hartz IV, von dem man nicht leben kann und wer damit nicht klar kommt und auf der Straße landet, der wird vom Kölner Hilfesystem betreut. Mit der gnädigen Erlaubnis auch mal hin und wieder ein Rolle spielen zu dürfen.

Nicht nur die Obdachlosen wurden normalisiert. Heute war im Stadt-Anzeiger zu lesen, dass der Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt erweiterte Öffnungszeiten bekommt: werktags bis 18:30, samstags bis 15:30, sonntags bleibt er zu – ohne Protest. Angesichts von 54 Drogentoten, die für 2021 gezählt wurden, sind Drogenkonsumräume notwendig, die 24 Stunden geöffnet sind. Während  das nicht geschieht müssen die Drogenberaterinnen Drogenkranke aus der Haft in die Obdachlosigkeit „begleiten“. Soll das normal sein?

Die beiden Frauenhäuser müssen jährlich über 400 schutzsuchende Frauen abweisen. Statt am 4. und 5. Frauenhaus zu arbeiten, ist nicht einmal die Eröffnung des 3. Frauenhauses bekannt. Soll das normal sein?

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre lebten in Köln 18.000 Obdachlose.
Nachzulesen in der ‚apo press‘ Nr. 7 (vgl. 1.7.1970, März 1971) mit einem Titelbild zur Obdachlosigkeit und dem Leitartikel „Obdachlosenarbeit in Köln“.
https://www.mao-projekt.de/BRD/NRW/KOE/Koeln_001/Koeln_Apo_Press_1970_07.shtml

Selbst der Spiegel berichtete am 27.9.1970 über die Kölner Interessengemeinschaft Obdachlosigkeit (IGO) und ihre Obdachlosenzeitung (Auflage 10.000 Exemplare):
https://www.spiegel.de/politik/die-unruhe-breitet-sich-aus-a-31830c82-0002-0001-0000-000044418117 

Die Obdachlosigkeit in Köln konnte fast zum Verschwinden gebracht werden. 1973  wurden allein in der alten Bundesrepublik 714.000  Wohnungen  fertig  gestellt. Heute will man uns weismachen, dass es nicht möglich ist jährlich bundesweit 400.000 Wohnungen zu bauen oder in Köln 6.000.  https://www.deutschlandfunkkultur.de/manuskript-das-ende-der-wohnungszwangswirtschaft-per-gesetz.media.609061d15cda13794adc621e380590ed.pdf

Warum gibt es kein Bewusstsein in der Stadt von dieser Geschichte?

In Köln wurden 2011 genau 3.655 Wohnungslose gezählt.
https://www.express.de/koeln/in-koeln-gibt-es-immer-mehr-wohnungslose-72077?cb=1663165774561

Am heutigen Tag der Wohnungslosen waren es wie gesagt 8.170 Menschen ohne eigene Wohnung und zusätzlich mindestens 300 Obdachlose auf der Straße. Und wir wissen, was das Leben auf der Straße für  Obdachlose bedeutet – sie sterben 30 Jahre früher als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Das ist nicht normal. Das darf nicht hingenommen werden.

Der Sozialausschuss hat am 14. Januar 2021 die Unterbringung aller Obdachlosen in abschließbare Einzelzimmer beschlossen. Der Rat hat das im April 2021 übernommen. Weil es machbar ist. Wenn man es will.

14. September 2022
Klaus Jünschke

Obdachlosigkeit ist mörderisch

Um 1:50 Uhr am Montag, den 29 August 2022  haben zwei etwa 20 Jahre alte Männer in Köln-Longerich eine 46-jährige obdachlose Frau mit einem Baseballschläger schwer verletzt. Sie wollten ihr Geld.
https://www.ksta.de/koeln/nippes/ueberfall-in-koeln-longerich-unbekannte-verpruegeln-obdachlose-mit-baseballschlaeger-39906916

Diese mörderische Gewalt ist eine der Ursachen, warum Obdachlose dreißig Jahre früher als der Bevölkerungsdurchschnitt sterben.

Etwa jeder 2000. Einwohner starb 2015 an den Folgen eines tätlichen Angriffs, so das Statistische Bundesamt. Wer keine eigenen vier Wände hat, wird dagegen 50-mal wahrscheinlicher von anderen Menschen ums Leben gebracht.

Die Hamburger Straßenzeitung HinzundKunzt berichtet über die Doktorarbeit von Nina Asseln. Grundlage ihrer Arbeit sind Daten von 263 Obdach- und Wohnungslosen, deren Leichname zwischen 2007 und 2015 im Institut für Rechtsmedizin untersucht wurden.
https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/7826/1/Dissertation.pdf

Und Stefan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei HinzundKunzt,  spricht über die Gründe und erklärt: „Vier Wände sind die beste Medizin.“
https://www.hinzundkunzt.de/lebenserwartung-obdachlose/

Die Aktuelle Stunde im WDR hat am 11. 09.2022, zum Tage der Wohnungslosen, über die Gewalt gegen Obdachlose berichtet.
Zwei Drittel aller Obdachlosen waren schon Opfer von Gewalt.
Die Polizei hat in NRW im vergangenen Jahr 231 Gewalttaten gegen Obdachlose registriert. 25 % mehr, als noch vor drei Jahren. Über die Zahl der nicht angezeigten Delikte ist nichts bekannt.
https://www1.wdr.de/nachrichten/tag-der-wohnungslosen-nrw-100.html

Die zentrale Veranstaltung zum Tag der Obdachlosen findet in Köln in diesem Jahr am 14.09.2022 von 13 bis 17 Uhr  auf dem Rudolfplatz statt.

Um 14 Uhr beginnt die  Rede von Sozialdezernent Rau zum Tag der Wohnungslosen
https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/24981/index.html

Wir vom Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung  wollen ihn fragen, warum er die Obdachlosen nicht von der Straße holt.

Stephan Karrenbauer nach 27 Jahren Sozialarbeit bei „Hinz&Kunzt“
„Ich habe das Gefühl, dass die Wohnungslosenhilfe dabei ist, Obdachlose zu verwalten. Wir sind dabei Menschen auf der Straße immer mehr zu versorgen. Wir haben mittlerweile den Duschbus, wir haben Leute, die Essen auf der Straße verteilen. Das ist alles notwendig, weil wir die Wurzel nicht angepackt bekommen, nämlich ihnen ein Zuhause zu geben.“
https://taz.de/Sozialarbeiter-ueber-Wohnungslosigkeit/!5874587&s=Friederike+Gr%C3%A4ff/
12. September 2022
Klaus Jünschke