Isolationshaft ist Folter
Für Daniela Klette und alle Gefangenen in Einzelhaft
Unter der Überschrift „Rentner Armee Fraktion“ war auf Spiegel-online zu lesen: “Ein Trio holt die bleiernen Jahre der RAF zurück in die Gegenwart“. Als wären es nicht Polizei, Medien und Politik gewesen, die mit ihren Reaktionen auf die Festnahme von Daniela Klette die Hysterie der 1970er Jahre wiederaufleben ließen. Der kritische Kriminologe Sebastian Scheerer hat 1978 den Begriff des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs eingeführt, der noch heute geeignet ist, zu verstehen, was in der RAF-Debatte vor sich geht, wie sich Polizei, Medien und Politik im Tanz um das Law-and-Order-Kalb gegenseitig heiß machen. .
Bisher ist mir kein Text bekannt geworden, in dem Journalistinnen in dieser Geschichte den Blick auf sich selbst richten, also selbstreflexiv werden. Die Medien waren und sind nicht nur Echo-Kammer. Was machten die Journalistinnen eigentlich, die über die RAF schrieben und berichteten, wessen Interessen verfolgten sie, mit welchen Konsequenzen und mit welchem Ziel gingen sie ihrer Arbeit nach, dass heute immer noch behauptet werden kann, Isolationshaft ist eine Propagandamärchen der RAF?
Angesichts der Haftbedingungen von Daniela Klette ist es angebracht an die Corona-Jahre zu erinnern und an das was damals in allen Medien zu sozialer Isolation, den Kontaktbeschränkungen und ihren Folgen zu vernehmen war – in leichter Sprache, in schwerer Sprache, schriftlich und mündlich, aber ohne jeden Bezug zur Geschichte der RAF oder auch nur zum Alltag in den Zellengefängnissen. .
Mit der Covid-19-Pandemie begann Anfang 2020 eine Zeit umfangreicher Kontaktbeschränkungen und Kontaktverbote. Von Anfang an wurde von den maßgeblichen Institutionen und ihren Repräsentantinnen, aber auch in einer Vielzahl von Medien immer wieder vermittelt: Wir wissen, dass mit den Corona-Maßnahmen die Gefahr sozialer Isolation einhergeht und dass diese Wohlbefinden und Gesundheit beeinträchtigen kann. Und wir wissen, dass bestimmte Gruppen der Bevölkerung davon besonders stark betroffen sind.
Es gab und gibt also durchaus Bekundungen der Solidarität mit den Menschen, für die soziale Isolation oder man kann fast sagen: eine weitere soziale Isolation besonders schmerzhaft sein musste. Dies gesagt, fällt aber auch auf: In Bezug auf Gefängnisse und ihre Gefangenen waren diese Bekundungen extrem selten. Dabei ist die Isolation für die Gefangenen bereits unter sogenannten Normalbedingungen eine psychische Belastung.
Zweifelsfrei zählen daher Gefangene in Bezug auf ihre psychische Gesundheit zu den besonders gefährdeten Gruppen. Der Anteil psychischer Erkrankungen in der deutschen Gesamtbevölkerung liegt bei 27 Prozent. Studien mit unterschiedlichem Forschungsdesign kommen in Bezug auf Strafgefangene auf einen Anteil von 40 bis 70 Prozent mit psychischen Erkrankungen und Auffälligkeiten. Es liegt also nahe, dass sich die jüngsten Kontaktbeschränkungen auf Gefangene besonders negativ ausgewirkt haben, da sie bereits vorhandene Mängel weiter verstärkten.
Den Machern des Strafvollzugsgesetzes war das bewusst. Daher wurde im § 3 zur „Gestaltung des Vollzuges“ festgehalten: „(1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“
Der Haptikforscher Prof. Dr. Martin Grundwald erklärte zum Mangel an Berührungen: „Sicher ist, dass soziale Vereinsamung und fehlender zwischenmenschlicher Körperkontakt über einen längeren Zeitraum auf der psychischen und körperlichen Ebene zu relevanten Erkrankungen führen können.“ Und er ergänzt: „Insofern ist die körperlichen Zurückhaltung aktuell gegenüber allem und jedem eine erhebliche Stresssituation, die nicht jeder gut verkraftet.“
(https://www.uniklinikum-leipzig.de/presse/Seiten/Pressemitteilung_6986.aspx)
Ein weiterer Punkt, wusste das ZDF, sind Gespräche, die gerade in Krisen und beim Umgang mit Einsamkeit, Depression und Angstzuständen besonders wichtig sind. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-depression-einsamkeit-100.html
Angesichts der offenkundigen Schädigung der psychischen Gesundheit durch soziale Isolation fordert Prof. Dr. med. Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Universität Leipzig, eine bessere Aufklärung über die Folgen der Isolation, entsprechende präventive Maßnahmen sowie Therapieangebote – auch unter Einbeziehung der Telemedizin.
( https://www.mdr.de/wissen/psychische-folgen-corona-kontaktbeschraenkung-social-distancing-100.html )
Besonders deutlich wird schließlich Prof. Dr. James Coan, Direktor des Virginia Affective Neuroscience Laboratory:„Wer einsam ist, wird öfter krank. Wunden heilen schlechter, das Immunsystem ist schwächer.“ Man sterbe früher, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes und Depressionen steige, man werde eher dement: „Soziale Isolation tötet, das ist eine Tatsache.“ (Der Spiegel, Nr. 21/16.5.2020, S.116)
„Soziale Isolation tötet“ stand im Spiegel und niemand in den Medien fiel dazu die Geschichte der RAF und die andauernde Auseinandersetzung um Isolationsfolter ein.
Robi Friedman beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie Krieg eine Gesellschaft verändert. Von Antje Lang-Lendorff wurder er für die taz zu seinem Buch „Soldatenmatrix“ interviewt:
„Eine Matrix ist eigentlich eine Kultur. Der Begriff beschreibt die Kultur der Beziehungen, die Kultur der Kommunikation und ihren Sinn. Die Geschichte, die Erinnerungen sind auch Teil der Matrix. Sie prägt die Gespräche, aber auch die Berichterstattung in den Medien und das Internet. Wenn es Krieg gibt, dann verändert sich die Matrix. Wie auf Knopfdruck werden alle zu Soldaten, die gesamte Bevölkerung wird eingezogen. Natürlich müssen nicht alle kämpfen, aber jeder hat eine Rolle in diesem Krieg. Deshalb habe ich mein Konzept ‚Soldatenmatrix‘ genannt.“
https://taz.de/Israelischer-Psychologe-ueber-Krieg/!6000125&s=Soldatenmatrix/
Für mich eine einleuchtende Erklärung dafür, dass auch 2011 keine Stimme in den bundesdeutschen Medien zu vernehmen war, als Vereinte Nationen und das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter die Einzelhaft skandalisierten und ihre Ächtung forderten.
Im Jahr 2011 veröffentlichte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Juan Ernesto Méndez, einen Bericht, in dem er zu dem Schluss kam, dass mehr als 15 Tage Einzelhaft als Verstoß gegen die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe gelten sollten.
Es gibt zwar keine universelle Definition für Einzelhaft, da der Grad der sozialen Isolation je nach Praxis variiert. Aber Herr Méndez definierte sie als jedes Regime, bei dem Insassinnen mindestens 22 Stunden am Tag von anderen Gefangenen, mit Ausnahme von Wärterinnen, isoliert sind. https://news.un.org/en/story/2011/10/392012-solitary-confinement-should-be-banned-most-cases-un-expert-says#.UdsQoT5gaBg und https://www.un.org/press/en/2011/gashc4014.doc.htm
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) ist der Meinung, dass die maximale Dauer von Einzelhaft 14 Tage nicht übersteigen und vorzugsweise darunter liegen sollte. Im 21. Jahresbericht des CPT, der auch 2011 veröffentlicht wurde, werden gleichfalls unter dem Begriff „Einzelhaft“ alle Fälle verstanden, bei denen die Unterbringung von Gefangenen getrennt von anderen Inhaftierten angeordnet wird.
https://rm.coe.int/16806fa178
Als nach 2002 immer wieder Fotos von den Gefangenen in Guantanomo in den Medien zu sehen waren, auf denen die Gefangenen die Augen verbunden waren, die Ohren mit Kopfhörer verschlossen, Mund und Nase bedeckt, die gefesselten Hände in Handschuhen wurde die bundesdeutsche Öffentlichkeit nicht über sensorische Deprivation aufgeklärt. Dabei war diese Foltermethode durch die Veröffentlichung des Kursbuch 32 seit 1973 in der Bundesrepublik bekannt. Was in normalen Zellengefängnissen mit strenger Einzelhaft in Monaten und Jahren bewirkt wird, die Leidensfähigkeit der Gefangenen zu überschreiten, haben die USA auf Guantonamo mit ihren Methoden in Stunden und Tagen hergestellt. Allein 2003 versuchten 120 Gefangene in Guiantanom0 sich das Leben zu nehmen. https://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenlager_der_Guantanamo_Bay_Naval_Base#Suizide_und_Suizidversuche_von_Gefangenen.
Auf der Informationsveranstaltung des Kölner „Komitee zur Aufklärung über Gefängnisse / Initiative gegen Folter“ am 18.2.1974 im Wallraf-Richartz-Museum erklärt die Theologin Dorothee Sölle, warum sie lernte Isolationshaft als Folter zu bezeichnen:
„Ich möchte Ihnen kurz meinen eigenen Lernprozess in dieser Sache darstellen. Ich habe mich zunächst gegen den Ausdruck Folter hier in der Bundesrepublik gewehrt und zwar, weil ich eine Reihe von sehr gründlichen Studien, Reflexionen und Berichten habe, über das, was an Folter z.B. in Süd-Vietnam oder Brasilien passiert. Und so meinte ich zunächst, man sollte doch diesen Ausdruck Folter beschränken auf die Zerstörung körperlicher Unversehrtheit durch direkten physischen Eingriff. Ich muss sagen, die Beschäftigung mit den Berichten, mit dem, was im Kursbuch steht, das hat mich mehr und mehr davon abgebracht, das Wort Folter in diesem älteren Sinne zu nehmen. Es ist meiner Ansicht nach also notwendig, eine Art Revision des Begriffes Folter vorzunehmen. Auch die Anwendung seelischer Zerstörungsmechanismen, mit dem Ziel nun nicht mehr des Geständnisses, ist Folter. Die neue Definition müsste heißen: Folter ist die Anwendung von Isolation zum Zweck der psychisch – physischen Zerstörung der Persönlichkeit des Häftlings. Auch das wird man als Folter ansehen müssen.“ (Christiane Ensslin: Isolationshaft ist Folter. In: Reiner Schmidt, Anne Schulz und Pui von Schwind: Die Stadt, das Land, die Welt verändern. Köln 2014, S.401)
Köln, 8. April 2024
Klaus Jünschke